Kurioser Klassenkampf in der Klostergasse
Die Lage ist dramatisch und Andreas Hoffmann ist nicht zu beneiden: Dem Konstanzer Caritas-Chef fehlen fast 200 Pflegeplätze, ihm brechen weitere Plätze weg, er sucht händeringend nach Bauplätzen für neue Heime und er bekommt Ärger mit den Nachbarn. Denn die Niederbürgler machen mobil gegen die Neubaupläne auf dem Zoffingen-Areal.
Gut 15 Bürger trafen sich letzten Freitag in der Niederburg-Kneipe, um ihren Aufstand zu proben. Nein, sie sind nicht gegen ein Pflegeheim und gegen eine Kita schon gar nicht – beides soll auf dem Areal an der Klostergasse entstehen, wenn die Mädchenschule Zoffingen wohl schon 2018 ihren Betrieb dort einstellt. Aber die „Massigkeit des Neubaus“ ist den betuchten Bürgern, fast alle sind Hauseigner oder besitzen Eigentumswohnungen, dann doch ein Dorn im Auge. Und die schönen Kastanien (s. Foto) sollen dem Neubau auch zum Opfer fallen. Und der Verkehr wird zunehmen, wenn Zulieferer und Gäste zusätzlich durch die Gassen düsen.
Gerüchte, Gerüchte
Wo die Informationspolitik von Bauträgern und Baubehörden zu wünschen übrig lässt, sprießen Gerüchte: So ist auch hier von weiteren Baumfällungen die Rede, von zusätzlichen Wohnungen für Nonnen. Und überhaupt seien die Planungen längst in trockenen Tüchern, wieder einmal über die Köpfe der Bürger hinweg. Auch darum hat seemoz bei Andreas Hoffmann nachgefragt.
„Stellen Sie sich mal eine andere Nutzung der Gebäude vor“, antwortet der Caritas-Chef mit einer Gegenfrage. Natürlich habe die nahe Hochschule längst ihr Interesse an den frei werdenden Räumen bekundet und auch Baulöwen stünden Schlange. „Meinen Sie, dann gäbe es weniger Verkehr, weniger Unruhe? Und die Bäume blieben stehen“?
Abriss, Umbau, Anbau
So plant die Caritas als größter Träger von Pflege- und Altersheimen im Landkreis Konstanz den Abriss der Schulturnhalle, den Umbau der Schulräume und einen vierstöckigen Anbau, der den größten Teil des bisherigen Schulhofs einnehmen soll. „Aber noch ist nicht einmal ein Bauantrag gestellt, an einer Bauvoranfrage wird gegenwärtig gearbeitet“, so Hoffmann. Und dem müssen dann noch Ausschüsse und Gemeinderat zustimmen; bislang hat nur der – nicht entscheidungsbefugte – Gestaltungsbeirat nach kontroverser Diskussion sein positives Votum abgegeben. Als Baubeginn ist der Herbst 2018 angepeilt, die Baudauer wird auf eineinhalb Jahre angesetzt, eine Kostenschätzung will Hoffmann im Oktober 2017 vorlegen.
Denn die Zeit drängt. Absehbar fehlen 181 Pflegeplätze in Konstanz, 101 Plätze fallen allein durch die Aufgabe des St. Marienhauses im Paradies weg, das nicht gemäß der neuen Baubestimmungen für Pflegeheime umgebaut werden kann. „Dass dort Eigentumswohnungen entstehen sollen, ist wieder so ein Gerücht“, schimpft Andreas Hoffmann, „die Caritas plant dort Alten-WGs und andere Pflegeeinrichtungen wie ‚betreutes Wohnen’“.
„Alles auf Wunsch“
Es sei ausdrücklicher Wunsch der Stadt gewesen, im linksrheinischen Stadtgebiet für Ersatz zu sorgen („die Pflegeplätze sollen nicht an den (Stadt-)Rand verlagert werden“), auch die Einrichtung einer Kita entspräche den Vorstellungen der Stadt. „Und weil die Zusammenarbeit mit den Behörden bislang so gut funktioniert, erwarte ich auch weiterhin keinen Widerstand der Stadt gegen unsere Pläne“, versichert der Caritas-Chef.
Und das wünscht er sich auch im Umgang mit den Anrainern. „Wir schonen die Niederburg“, meint Hoffmann und verweist darauf, dass die Abstände zu den Nachbarhäusern elf bis siebzehn Meter betrügen – „deutlich mehr als in der Niederburg üblich“. Mehr noch: „Wir werden den Garten nach-bepflanzen; er soll für jedermann zugänglich werden. Und die Gebäudehöhe wird weder die der Nachbarhäuser noch die der übrigen Zoffingen-Gebäude überragen. Das sind wir dem Denkmalschutz schuldig“. Und zum Schluss noch: „Wir wollen gute Nachbarn sein“.
„Wie bei Woolworth“
Das sehen die Anrainer der neu gegründeten Interessengemeinschaft ganz anders. In Briefen an die Bürgermeister und die Ratsfraktionen beklagen sie „die Nachverdichtung im Zentrum der Stadt“, den „Wegfall von Parkplätzen“ und bezweifeln die vorgelegten Ausmaße des Anbaus. Sie kritisieren „einen Eingriff in die historische, filigrane Bausubstanz“ und fühlen sich „in die Zeit der Bausünden von Woolworth und Karstadt“ zurückversetzt. Die Gemeinderatsfraktionen werden von den Protestlern zudem zu „einer intensiven Diskussion nach der Sommerpause“ eingeladen.
Da steht ein kurioser Klassenkampf ins Haus: Immobilienbesitzer in privilegierter Wohnlage, die um den Wert ihrer Anwesen und die Beschaulichkeit ihres Quartiers fürchten, gegen Pflegeheim-Betreiber, die für Pflegeplätze sorgen sollen und dabei historische Bausubstanz verschandeln. Oder ist es doch ganz anders: Muss dem Pflegeplatz-Bedarf die Wohnqualität geopfert werden, müssen wir alle mehr zusammenrücken, um im stetig wachsenden Konstanz genügend Platz für alle, eben auch für Pflegebedürftige, zu schaffen? Die Diskussion jedenfalls ist eröffnet …
hpk
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12.07.17 | Zoff um Zoffingen
…….das neue Pflegeheim ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Es werden noch hunderte mehr Plätze benötigt. Ein Pflegeheim muss man doch nicht in so einen ästhetisch dominanten Stadtteil bauen. Ich warte nur noch darauf, dass der Lotettowald und das Schwaketengebiet zugebaut wird. Gohts no?
Mein Verständnis für diesen Protest hält sich in engen Grenzen und das Statement von Frau Rabus finde ich einigermaßen peinlich und selbstentlarvend.
Erstens ist schon mal festzuhalten, dass es natürlich richtig ist, wenn der Autor im Text feststellt, dass diese Initiative von gutbetuchten Eigentümern ausgeht. Wer eine Immobilie in der Niederburg besitzt, hat ein Vermögen von mehreren hundertausend Euro. Das ist auch völlig in Ordnung, für Eigentum muss sich auch niemand rechtfertigen und schön für diejenigen, die hart gearbeitet haben und/oder Glück im Leben hatten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie diese Vermögenssituation nun einmal haben und der Großteil der deutschen (und Konstanzer) Bevölkerung eben im Grund gar kein Vermögen hat, sondern gerade so die Rechnungen jeden Monat bezahlt. Insofern erfolgt so ein Protest natürlich aus einer priviligierten Stellung, da muss man sich auch einfach mal selbst hinterfragen. Finden Sie sich damit ab (es gibt nun wahrlich Schlimmeres), dass sie gutbetucht sind.
Zweitens ist der Vergleich mit dem La Bodega Haus eine Rosinenpickerei sondergleichen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist ausgerechnet dieses Haus ein (oder zwei?) Stockwerke kleiner als alle umgebenden Häuser. Da sucht man sich also den kleinsten Fixpunkt aus, um dann festzustellen, was für ein „Monsterblock“ da angeblich in die Niederburg gesetzt werden sollte. Da scheint mir die Aussage von Herrn Hoffmann, dass das Gebäude die umliegenden nicht überragt, doch sehr viel glaubhafter.
Auch das Flachdach scheint ja, verstehe ich die Interpunktion richtig, ganz arg schlimm zu sein. Warum das so sein soll, erschließt sich mir nicht, sind Flachdächer doch schließlich die effizienteste Art des Bauens, wenn es um Flächennutzung geht. Aber auf der einen Seite rumnörgelt, dass es zu groß ist und dann aber auch noch die Flächeneffizienz reduzieren wollen, damit da auch ja kein Flachdach hinkommt, was scheinbar eine Beleidigung für das Auge für die IG zu sein scheint?
Bedenken wegen Notarzteinsätze sind doch auch hochgradig albern, wenn man die Situation sich überlegt: Ein RTW muss ungefährt 10 Meter in die Niederburg einfahren, danach könnte man berets einen direkten RTW Stellplatz im Hof einrichten. Vielleicht könnten es alle Beteiligten (ob Anwohner oder Eltern) ja einfach mal schaffen, für 10 Meter nicht Rettungswege zu blockieren. Im Übrigen: Ein RTW könnte im Notfall natürlich auch einfach auf dem Rheinsteig halten.
Und die Suche nach Argumenten für eine Position wirkt wirklich verzweifelt, wenn man 4 (!) Kastanien dafür heranzieht. Unseren Planeten interessiert es überhaupt nicht, ob diese Bäume jetzt in der Niederburg stehen oder auf einer Ausgleichsfläche (für eine entsprechende Ersatzpflanzung an anderer Stelle ist man natürlich im Rahmen des Bauantrags im Normalfall verpflichtet) stehen. Und ich muss blind sein, aber ich habe bislang auch nicht Massen an Niederbürglern gesehen, die unter diesen 4 Kastanien ausgiebige Wandertouren unternehmen.
Bei solchen Interessensgemeinschaften, die sich immer wundersamerweise gründen wenn vor der eigenen Haustür gebaut wird, habe ich wirklich mal Mitleid mit der Stadtverwaltung und den Bürgermeistern, weil scheinbar kann man es nie allen recht machen. Alle sind immer für Kindergärten, Flüchtlings- und Pflegeheime, nur der Sankt Florian ist einem dann doch noch heiliger, so dass sie bitte nicht vor der eigenen Haustür sein sollten. Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Die IG sollte vielleicht mal lieber die Vorteile sehen: Wenn Sie selber vielleicht in ein paar Jahrzenten pflegebedürftig sind, dann muss man vielleicht nur über die Straße ziehen. Und kann ganz unkompliziert die eigenen Enkel/Urenkel sehen, die gleich um die Ecke in den Kindergarten gehen.
Ein Pflegeheim und ebenso eine Kindertagesstätte in zentraler Lage wäre z.B. an Stelle des Vincentius-Krankenhauses möglich.
Und sicher gibt es noch weitere Standorte.
Doch das hat mit Vorausschau, Planung, Einbeziehen der Bürgerschaft zu tun und dagegen sprechen die kurzfristigen Profite, die verschiedenen Interessen, die im Sinne der „Vetternwirtschaft“ bedient werden sollen.
Ich verstehe die NiederbürglerInnen völlig in ihrem Protest, ihrer Empörung und finde es sehr überzogen von Immobilienbesitzern in privilegierter Lage zu schreiben. Die mag es vereinzelt geben, aber eben dann überall und nicht nur als spezifisch in der Niederburg.
Sonst wird im Seemoz die Nachverdichtung und Beseitigung von noch Natur ja auch kritisch gesehen!
vielen Dank Herr Hans-Peter Koch für Ihre Polemik, wir sind keine Klassenkämpfer und Großgrundbesitzer. Wir sind in erster Linie Konstanzer und vor allem Niederbürgler, Bewohner der historischen Altstadt, die diese erhalten wollen. Wir sind nicht gegen das geplante Pflegeheim, was Sie zumindest erkannt haben.
Wir wenden uns gegen den massiven, überdimensionierten 4-geschossigen Neubau im heutigen Schulhof, der direkt an die denkmalgeschützte Schule/Fassade angebaut werden soll, ums Treppenhaus herum und bis zur Grenze Klostergasse zur Bodega hin reichen wird. Der 15,5 Meter hohe Betonklotz wird sogar 3 Meter höher als das rote, mittelalterliche Haus aus dem Jahre 1260, in dem sich im EG La Bodega befindet.
Diesem Neubau mit Flachdach (!) sollen der heutige Schulhof und die vier alten, schönen Kastanien zum Opfer fallen. Einer der wenigen grünen, lebensnotwendigen Plätze in der Innenstadt soll verschwinden. In Zeiten des immer schneller voranschreitenden Klimawandels sowie in städtebaulicher Hinsicht bedeutet dieser massive, riegelartige Klotz einen irreparablen Eingriff in das älteste Quartier der Stadt Konstanz. Gibt es keinen Ensembleschutz für gewachsene Strukturen? Ich halte diese Pläne aus Sicht des Denkmalschutzes für bedenklich.
Weiterhin befürchte ich eine unzumutbare Folge von Verkehrsaufkommen in der mittlerweile verkehrsberuhigten Niederburg.
Der geplante Hofgarten hinter dem Riegel, in dem auch 6 Parkplätze der Caritas vorgesehen sind, ist kein Ersatz für den großen Schulhof mit den Kastanien. Er muss Wege für die zu Pflegenden und die Besucher aufweisen, es bleibt wenig Platz für Grün. Und der Neubau anstelle der Turnhalle wird 3 Meter weiter als bisher in den „Hofgarten“ hineinragen.
Frühmorgendliche Zulieferer für die ansässige Gastronomie, Handwerker, Taxis und Anwohner kommen „noch“ mit Geduld aneinander vorbei.
Was passiert, wenn der Notfallwagen ins Pflegeheim rasen muss und dort gerade Eltern in der Kindertagesstätte im EG des Querriegels ihre Kinder mit dem Auto abliefern, um dann zur Arbeit weiterzufahren? Ja, im EG ist für 20-30 Kinder als weitere soziale Nutzung eine Kindertagesstätte geplant.
Pflegeheim und Kindertagesstätte sind ganz wichtige soziale Einrichtungen! Doch nicht an diesem Standort, wenn dafür der 4-stöckige Neubau notwendig wird, der die Altstadt nachhaltig prägen wird und der sich nicht in die gewachsene Umgebung einfügt, wie es in § 34 BauGB gefordert ist.
Brigitte Rabus, Sprecherin der Interessengemeinschaft“ Zukunft Zoffingen“.
Na ja, die „Gutbetuchten“, die hier wohnen sind zwar sicher keine „Proletarier“ im Sinne von Marx. Es sind Lehrer, Kindergartenmitarbeiterinnen, Grafikerinnen, Psychotherapeuten, die ihre Häuser zu Zeiten gekauft haben, wo sie runtergekommen waren und niemand sie haben wollte. Mangels großer finanzieller Ausstattung habe z.B. ich mein Haus mit eigenen Händen in einen bewohnbaren Zustand versetzet. Zugegeben, wenn die Hauskredite mal abbezahlt sind, haben wir das Privileg, mietfrei zu wohnen (bei mir ein Teil meiner Altersvorsorge, die sonst nicht gedeckt wäre). Nur weniger Häuser in der Niederburg gehören Investoren, die an der Miete verdienen und damit im „Klassenkampf“ auf der anderen Seite stehen.
Über Zusammenrücken mag man nachdenken, aber ausgerechnet in der Niederburg, deren Gassen jetzt schon so eng sind (und die vielleicht gerade deswegen für Investoren nur einen geringen Wert hatte)? Und rückt der Leiter der Caritas denn zusammen, damit alte Menschen Raum haben? Sicher nicht! Er vergleicht seine Caritas mit „Baulöwen“ – keine Frage, dass sie denen gegenüber dann gut dasteht, aber was ist das für ein Vergleich?
Ob schließlich die künftigen Bewohner des Pflgeheims profitieren, sei auch dahingestellt: Das Marienhaus ist ein großes(!) Altersheim im moderat bebauten und wirklich priviligierten(!) Paradies. Dort ist die baumbestandene Wallgutstraße direkt vorm Haus 23 m breit, die Gehwege sind, selbst wenn dort Fahrräder stehen, immer noch problemlos für Rollator- und Rollstuhlfahrer nutzbar. In der Niederburg dagegen sind die engen, geweglosen Gassen gepflastert und steigen zur Innenstadt hin an. Das macht sie, abgesehen von Autos, für Rollator- und Rollstuhlfahrer zum unüberwindlichen Hindernis.
Wenn also die küftigen Bewohner hier vermehrt auf das Pflegeheim beschränkt sein werden, weil die Umgebung nicht überwinden können, müsste dieses Heim ihnen zumindest viel Platz zur Verfügung stellen und diesen nicht auch noch zubauen.
Dass schließlich 181 Pflegeplätze fehlen, macht weitere Pflegeheime sowieso erforderlich. Da wäre ein Gesamtkonzept wünschenswert, das an mehreren Orten ein tolerierbares „Zusammenrücken“ bedeutet und keine einseitige Überlastung des sowieso engst bebauten Stadtteils, den Konstanz zu bieten hat.