Lehmann versus Erikli: „Wo bleibt die Fairness?“

seemoz-Erikliseemoz-LehmannPaukenschlag bei den Grünen. Siegfried Lehmann, seit 2006 Landtagsabgeordneter, galt für die kommenden Wahlen eigentlich als gesetzt. Dann aber unterlag er Anfang Juli bei der Nominierungsversammlung seiner Gegenkandidatin Nese Erikli. Bis heute kann der Stimmenkönig der Grünen im Landkreis Konstanz seine Niederlage nicht verstehen. Im seemoz-Gespräch macht er Erikli schwere Vorwürfe. Von Unfairness, egozentrischem Verhalten und Vertrauensbruch ist unter anderem die Rede.

Ihre Abwahl kam für viele überraschend. Für Sie auch?

Mit einer Abwahl hatte ich nicht gerechnet. Nach der Landtagswahl 2011 haben sich alle über das erste grüne Direktmandat und die eingeleitete Reformagenda der grün geführten Landesregierung gefreut. Die Zusammenarbeit mit dem Kreisvorstand war bis vor wenigen Wochen sehr vertrauensvoll und von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Aufgrund der von CDU-Kreisen initiierten Spekulationen, ob ich nochmals zur nächsten Landtagswahl antrete, hatte ich bereits vor über einem Jahr in einer Mitgliederversammlung der Grünen meine Kandidatur im Wahlkreis Konstanz angekündigt. Dies wurde seinerzeit sowohl vom gesamten Kreisvorstand, deren Vorsitzende schon damals Nese Erikli war, und der Kreismitgliederversammlung der Grünen zustimmend zur Kenntnis genommen.

Bis zwei Wochen vor der Nominierungsversammlung bin ich noch davon ausgegangen, dass ich der alleinige Bewerber um die grüne Landtagskandidatur im Wahlkreis Konstanz sein würde. Die Kreisvorsitzende Nese Erikli hat mich erst am 18. Juni 2015, einen Tag nach dem offiziellen Abgabetermin der schriftlichen Bewerbung, über ihre Gegenkandidatur informiert. Bis dahin hatte ich mit der Kreisvorsitzenden immer sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet und mich auch dafür eingesetzt, dass sie bei der Kreistagswahl im vergangen Jahr auf Platz 1 der Wahlliste in meinem Heimatort Radolfzell kandidieren konnte. Dass sie ihre Gegenkandidatur bis zuletzt mir gegenüber geheim gehalten hat und sich nicht schon vor Wochen offen hierzu bekannt hatte, stellt für mich nach der langjährigen guten Zusammenarbeit einen außerordentlichen Vertrauensbruch dar.

Wie der Südkurier schon berichtet hat, gab es bei den Kreisgrünen innerhalb kürzester Zeit erstaunlich viele Eintritte. Die meisten haben offensichtlich Ihre Gegenkandidatin Nese Erikli gewählt. Halten Sie das für fair? Fühlen Sie sich von Ihrer Partei in den Senkel gestellt?

Von den vielen Neueintritten in den Tagen vor der Nominierungsversammlung wurde ich vollkommen überrascht. Mit Fairness hat das nichts zu tun. Ich empfand es mehr als peinlich, dass am Abend der Nominierungsveranstaltung die Anwesenheit der vielen Neumitglieder vom Kreisvorstand besonders begrüßt wurde und dass meine Mitbewerberin sich offen über deren Anwerbung freute. Auf die Nachfrage in der Versammlung, wie ich zum Anwerben von neuen Mitgliedern stehe, sagte ich, dass es natürlich immer gut und richtig ist, neue Mitglieder für die Unterstützung der Grünen zu gewinnen, dass ich aber eine gezielte und kurzfristige Anwerbung vor einer Nominierungsveranstaltung als unfair gegenüber den Mitbewerbern sowie gegenüber der Partei halte und dies auch nicht meinem politischen Stil entspricht.

Mit solchen kurzfristigen Anwerbungsmethoden lassen sich natürlich leicht Mehrheitsverhältnisse in einer Wahlkreisversammlung vollständig drehen. An diesem Abend waren 96 wahlberechtigte Mitglieder anwesend. So viel wie nie zuvor bei einer Wahlkreisversammlung. Aufgrund der äußerst unfairen Mehrheitsbeschaffung durch kurzfristig angeworbene Neumitglieder sehe ich meine Abstimmungsniederlage nicht als Abwahl durch meine Partei, sondern als ein schmerzliches Ergebnis eines unfairen politischen Spiels. Die vielen erschrockenen bis entsetzten Zuschriften über meine Abwahl, die ich in den vergangen Tagen aus der Region und von der Landesebene, von Parteimitgliedern der Grünen, GrünwählerInnen und Verbandsvertretern erhalten habe, sind für mich eine Bestätigung meiner sachorientierten Arbeit als grüner Landtagsabgeordneter.

Hat sich da nicht schon im Vorfeld hinter Ihrem Rücken was zusammengebraut?

Wie ich im Nachhinein erfahren habe, wurden schon vor Monaten – als Nese Erikli mir gegenüber nur ihr Interesse für eine Ersatzkandidatur bekundete – im Hintergrund von ihr Gespräche mit einzelnen Mitgliedern über eine Gegenkandidatur geführt. Ebenso wurde vor einigen Wochen auf einer schlecht besuchten Jahreshauptversammlung des grünen Kreisverbandes mein Mitarbeiter (Daniel Eggstein, Anm. d. Red.), der im Kreisvorstand seit längerer Zeit als Kreiskassierer tätig war, völlig überraschend und ohne vorherige Ankündigung, dass sich an diesem Abend jemand anderes für dieses Amt bewerben wird, abgewählt. Auch dieser Vorgang hat mit politischer Fairness nichts zu tun. Auch hier gilt, nicht alles, was formalrechtlich legal ist, wird dem notwendigen hohen Anspruch nach politisch und moralisch korrektem Verhalten gerecht. PolitikerInnen, die sich immer nur auf ihr formalrechtlich korrektes Verhalten zurückziehen und Fragen der Fairness und der notwendigen moralischen Integrität ausblenden, haben nicht erkannt, dass hierin ein wesentlicher Grund für das schlechte Ansehen von PolitikerInnen in der Bevölkerung liegt.

Vor fünf Jahren haben Sie mit rund 34 Prozent ein hervorragendes Ergebnis erzielt und das Direktmandat geholt. Das wird bei der kommenden Landtagswahl wohl kaum mehr möglich sein. Hat Ihre Partei auch strategisch fahrlässig gehandelt?

In den neun Jahren als grüner Landtagsabgeordneter habe ich – auch über Parteigrenzen hinweg –, sowohl im Landkreis als auch auf Landesebene in der Bildungspolitik viel Anerkennung für meine Arbeit erhalten. Dies wurde bei der Landtagswahl 2011 nicht nur mit dem ersten grünen Direktmandat im Wahlkreis Konstanz, sondern auch mit dem landesweit viertbesten Wahlkreisergebnis der Grünen gewürdigt. Da ich ja bereits vor langer Zeit angekündigt hatte, dass das Ziel meiner nochmaligen Kandidatur die Fortsetzung der grün-roten Reformpolitik ist und ich danach einen Generationenwechsel bei den Grünen befürworte, war und ist für mich das egozentrische Verhalten von Nese Erikli zur Gegenkandidatur nicht nachzuvollziehen.

Für mich ist es bis heute immer noch unfassbar, dass die grüne Wahlkreisversammlung dem offensichtlich narzisstischen Ich-Projekt von Nese Erikli auf dem Leim gegangen ist und vom Kreisverband der Grünen damit nur schwer ein ernsthafter Beitrag zur Absicherung der grün geführten Landesregierung zu erwarten ist. Nach dem ersten echten Regierungswechsel in Baden-Württemberg nach über 50 Jahren, den wir gemeinsam mit der SPD bei der Landtagswahl 2011 geschafft haben, muss für die Grünen bei der anstehenden Landtagswahl das Halten der Regierungsmehrheit und die Fortsetzung der eingeleiteten grün-roten Reformpolitik im Zentrum stehen. Voraussetzung hierfür ist eine größtmögliche Mobilisierung unserer Anhängerschaft und eine große innere Geschlossenheit der Grünen nach außen.

Das Gespräch mit Siegfried Lehmann führte Holger Reile[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]