Linkspartei: Das politische Lazarett
Bei diesen Ergebnissen zeugt die folgende Frage nicht von Panik, sie ist angemessen: Ist die Partei Die Linke dem Untergang geweiht? Bei dieser Bundestagswahl hat sie sich, im Vergleich zur letzten in 2017, fast halbiert; und damals schon war das Ergebnis (9,2 Prozent) gut, aber nicht berauschend. Zumal das Ergebnis noch desaströser ist, als es auf Bundesebene zu sein scheint. Wohin führt der zukünftige Weg der Partei, fragt sich auch unser Autor.
Der Grund: Gerade dort, wo Die Linke (mit-)regiert, wo sie also beweisen kann, was sie kann und was nicht, sind ihre Ergebnisse deprimierend schlecht. So sackte sie in Thüringen bei dem Zweitstimmenanteil mit einem Minus von mehr als fünf Prozent auf 11,4 Prozent ab; dabei regiert dort seit 2014 der weithin populäre Bodo Ramelow, der erste linke Ministerpräsident. Ähnlich in Berlin, wo sie seit Jahren mitregiert und bei den Zweitstimmen ebenfalls bei 11,4 Prozent landete, mit einem Minus von über sieben Prozent.
Der blasse Herr Bartsch und sein Erfolgsrezept
So stellt sich die alles entscheidende Frage: Was machen Partei und Bundestagsfraktion, um sich wenigstens erst einmal ans rettende Ufer zu ziehen?
Die erste nennenswerte Reaktion: Als ob nichts gewesen wäre, bestätigte die Bundestagsfraktion Ende Oktober ihre beiden Vorsitzenden im Amt, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch. Obwohl es hinter den Kulissen brodelt.
Was sagt diese Wiederwahl? Sie ist sehr vielsagend und führt mit einem — zugegebenermaßen ersten oberflächlichen Blick — zu einer sehr bemerkenswerten politischen Person: zu Dietmar Bartsch. Warum? Dietmar Bartsch ist seit zwei Jahrzehnten in der Linkspartei eine entscheidende Figur: viele Jahre Schatzmeister, dann Bundesgeschäftsführer der Partei, seit 2010 stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, seit 2015 durchgehend Co-Vorsitzender von ihr und 2017 wie 2021 Spitzenkandidat zur Bundestagswahl.
Was fällt auf? Dass erst einmal nichts auffällt. Denn es gibt kein Thema, keine Initiative, die spontan mit Dietmar Bartsch in Verbindung gebracht werden kann. Er ist also entscheidend und politisch blass. Eine interessante Mischung. In den Jahren des Aufstiegs war er in bedeutenden Positionen in der zweiten Reihe. In den Jahren des Abstiegs stand er immer in der vordersten Reihe; als Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion war er allein aufgrund der Ressourcen und des Prestige des Amtes immer deutlich mächtiger als beispielsweise die langjährige Parteivorsitzende Katja Kipping. Das Spannende an Bartsch: Er schafft es, nie mit den letztlich von ihm wesentlich mitzuverantwortenden Niederlagen in Verbindung gebracht zu werden. Er wird einfach immer wieder gewählt, egal wie klein seine Fraktion in der Zwischenzeit geschrumpft ist; so auch jetzt. Das Bieder-Soziale, das er verkörpert, scheint der kleinste gemeinsame Nenner dieser Partei zu sein.
Sein machtpolitisches Erfolgsrezept: Er schloss vor vielen Jahren mit seinen Leuten, die sich Reformer nennen, ein offensichtlich unzerstörbares (eisernes) Bündnis mit dem Flügel um Sarah Wagenknecht — das sogenannte Hufeisen-Bündnis. Eine Formation, die sich allein im Destruktiven findet, stimmt es doch alles nieder, was jenseits dieser beiden machtpolitisch orientierten Hardcore-Fraktionen, versucht, die Linkspartei programmatisch und organisatorisch lebendig zu machen.
Was kann aus diesen eher oberflächlichen Eindrücken geschlossen werden? Wenn Dietmar Bartsch im Amt ist und bleibt, sind die Zeichen weiter auf Selbstblockade gestellt. Weicht er, ist wenigstens mal auf- und ausatmen möglich.
Arbeit gegen Kapital — ein Konflikt, der in die Sackgasse führen muss
Letztlich sind solche Betrachtungen jedoch belanglos anekdotisch.
Deutlich relevanter ist die Intervention von Hans-Jürgen Arlt, als Reaktion auf einen Podcast, den wir (www.bruchstuecke.info) mit Horst Kahrs, dem Politikanalysten und Wahlforscher der Rosa Luxemburg-Stiftung, gemacht haben. Der gräbt meines Erachtens schon sehr tief, um zu den Ursachen des Elends zu kommen. Aber Arlt meint, Die Linke müsse noch tiefer graben. Seine Grundthese, vorausgesetzt ich habe sie richtig verstanden: Die Linkspartei habe sich, wie zuvor jahrzehntelang die Traditionslinke generell, in einen verbissenen Kampf: Arbeit gegen Kapital verstrickt. Dabei sei das Kapital ja nur ein Instrument des Wirtschaftens, so dass es darauf ankomme, für was das Kapital eingesetzt werde, zu welchen Bedingungen und mit welchem Ziel. Entscheidend sei also: das andere Wirtschaften, ausgerichtet am Bedarf der Menschen, nicht am Profit. Er konstatiert also einen komplett fehlgesteuerten politischen Kampf der Traditionslinken, der enorme politische Energien für nichts und wieder nichts vergeude. Ein Kampf, mit dem sich die Linkspartei selbst denunziere: Suggeriere sie doch selbst, weil sie unzureichend differenziere, sie sei mit ihrem Windmühlenkampf gegen das Kapital gegen jegliche Art des Wirtschaftens, dabei müsse sie doch deutlich machen, dass sie das Kapital nehme, um es für ein positives menschengerechtes Wirtschaften einzusetzen.
Diesem hier verlinkten Text ist alles weitere, vor allem alles richtig zu entnehmen.
Frage: Was muss Die Linke grundlegend ändern, um auf Bundesebene auf Dauer deutlich über zehn Prozent zu kommen? Anderes Personal? Oder andere Programmatik? Oder eine andere politische Mentalität? Oder muss sich alles ändern, weil eine politische Grundsanierung ansteht?
Auf diese Frage von Horand Knaup und mir antwortete Horst Kahrs in unserem Podcast: Sie muss endlich überhaupt erst einmal Partei werden. Und dann müssen alle jetzigen Amtsinhaber endlich abtreten und die vielen Jungen müssen ran.
Wie? Die Linke ist keine Partei. Was ist sie dann?
Jüngst erschien auf dem Schweizerischen Onlinemagazin Infosperber ein Text, der sich mit der deutschen Linkspartei beschäftigte. Akribisch listet der Autor auf — als wolle er zusätzliches empirisches Material liefern, um die These von Kahrs zu stützen—, wer sich in der Partei Die Linke alles organisiert. Seine Liste ist lang:
• Kommunistische Plattform,
• Antikapitalistische Linke,
• Sozialistische Linke,
• Bewegungslinke,
• Emanzipatorische Linke,
• Forum Demokratischer Sozialismus,
• Netzwerk Reformlinke,
• Ökologische Plattform,
• Marxistisches Forum.
Fehlt da was? Kann gut sein, denn von der Schweiz aus ist es noch schwerer, das politische Gewusel bei der Linkspartei — zwischen orthodox-links, reformorientiert, revolutionärem Umbruch, Systemüberwindung und sozialdemokratischem Reformismus — adäquat im Blick zu behalten.
Nun kann man ja sagen: Das ist doch toll! Wer, wenn nicht die Linkspartei soll lebendig sein, soll debattieren auf Teufel komm`raus — das ist doch ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber all den anderen Parteien, die in Berlin wie gleichgeschaltete Automaten herumlaufen.
Einerseits ist das richtig. Andererseits nicht. Denn die entscheidende Frage lautet: Wie gehen diese gefühlt 30 bis 40 Fraktionen miteinander um? Fruchtbare Debatten, die gute linke Zukunft fest und kreativ im Blick? Oder zerstörerische Intrigen und Denunziationen, deren Ziel es allein ist, meine eigene Gruppe soll die stärkste sein, bedenkenlos auf Kosten der anderen?
Es spricht viel dafür, dass die Linkspartei so etwas wie eine Holding ist. Eine Holding, die den gemeinsamen Namen ebenso liefert wie den notwendigen rechtlichen Rahmen, den Zugang zur Parteienfinanzierung …, eben das alles, was eine kapitalistische Holding auch so liefert; bei letzterer stehen die einzelnen Tochtergesellschaften auch autonom, gesellschaftsrechtlich und organisatorisch für sich.
Das Zerstörerische auf Platz 1
Und bei der Linkspartei steht (wie bei einer richtigen kapitalistischen Holding) jede einzelne Fraktion für sich: Deren Ziel ist es nicht, das Ganze möglichst stark zu machen, sondern nur die eigene Gruppe. Wie anders könnte erklärt werden, dass die Linkspartei sich seit vielen Jahren in härtesten öffentlich ausgetragenen — öffentlich, auf offener Bühne, nicht einmal darum bemüht, das alles in den Hinterzimmern auszutragen — Denunziationen, Intrigen, Fraktionskämpfen und verbissendsten Debatten um jedes Komma in uferlosen und abstrakt formulierten Beschlussvorlagen ergeht; ihrer offiziellen Kernbotschaft zum Trotz, nach der es ihr nur um Solidarität, Empathie und das Gute geht. Das Zerstörerische hat immer einen prominenten Platz.
Es ist über die Jahre auch bei demjenigen, der nur einen Ausschnitt dieser Welt wahrnehmen kann, der Eindruck aufgekommen: Wenn in der Linkspartei gestritten wird, dann oft so böse, so verletzend, so maß- und rücksichtslos, dass die Chance auf Wiedergutmachung, auf ein Zurückholen des im Zorn Gesagten von vornherein ausgeschlossen ist. Kein Erbarmen. So wird die Produktion negativer Emotionen zu einer weithin ausgeübten und geduldeten linken Fingerfertigkeit.
Ein Gedankenexperiment
Machen wir ein technisches Gedankenexperiment: Ich stelle mir vor, es gibt etwa 300 oder 500 Leute in Kommune, Land und Bund, welche die Geschicke dieser Partei als wichtige Funktionäre und verantwortliche PolitikerInnen im weitesten Sinne mitbestimmen. Und diese Gruppe würde mit einem technischen Verfahren fotografiert, das in der Lage wäre, Verletzungen in Gedanken, Seelen und Herzen sichtbar zu markieren – der Betrachter sähe ein Lazarett.
Damit macht sich diese Partei nicht nur selbst kaputt, damit schürt sie sogar in der ihr zugeneigten Öffentlichkeit Misstrauen: Will man einer politischen Holding, die so untereinander umgeht, Macht anvertrauen? Denn, wenn solche Leute Macht in Händen haben — wie rücksichtslos gehen die dann erst mit Dritten um?
Text: Wolfgang Storz. Der Beitrag ist zuerst erschienen auf: https://bruchstuecke.info
Bild: Pixabay