Nycomed-Takeda: „Jetzt geht der Kampf los“

Die Heuschrecken verlassen das sinkende Schiff. So zumindest muss es den immer noch 1300 Nycomed-Beschäftigten in Konstanz vorkommen, die am Donnerstag-Nachmittag in einer Mitarbeiter-Versammlung über den Verkauf „ihres Unternehmens“ an Japans größten Pharmakonzern Takeda informiert wurden. Dennoch spürt Betriebsrats-Chef Benz auch Hoffnung unter den Beschäftigten: „Wir können den Standort Konstanz retten. Aber immerhin geht der Kampf jetzt los“.

Der neue Eigentümer aus Japan, so Rolf Benz, „geht nicht mit der Knochensäge vor“. Nach einem Zukauf in den USA vor zwei Jahren habe Takeda zum Beispiel alle Arbeitsplätze erhalten – das erhofft sich Benz auch für Deutschland. Andererseits muss man wissen: Takeda verfügt für Deutschland über eine eigene Vertriebsorganisation in Aachen und unterhält Forschungseinrichtungen in Japan, den USA und Indien. Da drängen sich Einsparpotentiale geradezu auf, fürchtet auch Benz.

Der Deal war vorbereitet

Der Verkauf wurde erwartet. Und darum sind „die Beschäftigten auch nicht so vor den Kopf geschlagen wie vor vier Jahren“, berichtet Rolf Benz: Schon 2007, als die Pharmasparte der deutschen Altana von Nycomed übernommen wurde – damals wurden 800 Arbeitsplätze abgebaut, seemoz berichtete mehrfach – war klar: Die vier Beteiligungsgesellschaften, denen Nycomed gehört, warteten nur auf einen günstigen Zeitpunkt zum Ausstieg.

Und der Deal der Finanzinvestoren, gemeinhin „Heuschrecken“ geschimpft, wurde penibel vorbereitet – die Vorzeichen häuften sich 2011.

Zunächst der Wechsel in der Führungs-Etage: Stefan Brinkmann, bis dahin als Country Manager für das Nycomed-Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich, verließ im März das Unternehmen. Und Gilbert Rademacher, in Konstanz als unbeliebter Personalchef bekannt, übernahm die Rolle des Country Managers. Auch Dr. Wolfgang Walter und Dr. Lothar Bösch stiegen im Nycomed-Europa-Management auf.

Dann der Umbau im Deutschland-Geschäft: Erst im Mai, vor wenigen Tagen also, übernahm der italienische Pharmaproduzent Bracco die Kontrastmittel-Produktion im Nycomedwerk Singen, das immerhin noch über 880 Arbeitsplätze verfügt. Rund 220 Beschäftigte in Singen werden bis Ende des Jahres zu Bracco wechseln: Gleiche Produktion, aber neuer Arbeitgeber also.

Am 19.5. war der Deal perfekt, Management, Betriebsrat und Gewerkschaft wurden offiziell auch erst am Donnerstag informiert: Japans größter Pharmakonzern Takeda will für 9,6 Milliarden Euro den Schweizer Arzneimittelhersteller Nycomed kaufen. Die Fusion soll bis Ende September 2011 abgeschlossen sein. Nicht Bestandteil der Übernahme ist das Dermatologie-Geschäft in den USA. Nycomed beschäftigt weltweit 12.500 Mitarbeiter, davon über 1300 in Konstanz (darunter viele Außendienstler), noch 880 in Singen, 110 in Hamburg und 470 in Oranienburg. Im Jahr 2010 sank der Umsatz von Nycomed um 1,8 Prozent auf 3,17 Milliarden Euro. Operativ rutschte das Unternehmen mit einem Ebit-Verlust von 44,2 Millionen Euro in die roten Zahlen. Der Takeda-Umsatz betrug 1,42 Billionen Yen (12,3 Milliarden Euro), der Gewinn 248 Milliarden Yen (2,12 Milliarden Euro).

Überrascht war auch Wilfried Penshorn. Der Bezirksleiter der IG BCE (früher IG Chemie) in Freiburg ist verantwortlicher Gewerkschaftssekretär für die Standorte Singen und Konstanz. Er befürchtet „Synergie-Effekte durch die Fusion“. Denn immerhin verfüge Takeda über eine eigene Vertriebsorganisation in Deutschland (in Konstanz sind bislang 450 Menschen im Nycomed-Geschäftsbereich Marketing und Vertrieb beschäftigt) sowie über „weltweit effektive Forschungs-Kapazitäten“ (680 Nycomed-Beschäftigte in Konstanz und Hamburg).

Takeda braucht Deutschland“

Die Gefahr von Arbeitsplatz-Verlusten sieht auch der Konstanzer Betriebsrat Rolf Benz, gleichzeitig Vorsitzender des Konzernbetriebsrates. Dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf, das deutsche Management mit ins Boot zu ziehen, wenn es gilt, die japanischen Neu-Eigentümer zum Erhalt der deutschen Standorte zu bewegen: „Unser gemeinsames Motto: Takeda braucht Deutschland. Das heißt: Keine Standort-Schließungen und kein Stellenabbau. Und das heißt auch: Einhaltung der Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Und das heißt: Zukunftsinvestitionen, damit wir weiter einen guten Job abliefern können“. Für diese Politik hofft Benz auf die Unterstützung der Geschäftsleitung ebenso wie auf die der Leitenden Angestellten.

In einer gemeinsamen Erklärung von Betriebsrat und IG BCE betonen Rolf Benz und Wilfried Penshorn, dass die Arbeitnehmer-Vertreter einen Börsengang von Nycomed dem Verkauf vorgezogen hätten. „Denn in der Verkaufslösung stecken für die Arbeitnehmer größere Risiken“. Beide betonen, dass sie als Arbeitnehmer-Vertreter weder in die Verkaufsgespräche einbezogen wurden noch derzeit genaue Kenntnis über das zukünftige Geschäftsmodell haben. Allerdings sagen sie auch: „Sollten von den neuen Eigentümern Arbeitsplätze oder Standorte infrage gestellt werden, bedeutet dies eine Kampfansage, die wir mit den Belegschaften auch annehmen werden“. Was durchaus als Drohung zu verstehen ist.

Hilflose Kommunalpolitiker

Dennoch: Die Unsicherheit ist mächtig unter den Noch-Nycomed-Beschäftigten. Bis spätestens September wird sie die Arbeitsplatz-Angst begleiten. Und unter den Stadtpolitikern ist die Sorge nicht minder groß. Denn was das für die Steuereinnahmen des ohnehin gebeutelten Konstanzer Stadtsäckels bedeutet, ist noch gar nicht abzusehen. OB Frank hofft zwar vom neuen Eigentümer auf „ein Bekenntnis zum Forschungsstandort Konstanz“, wie er per Pressemitteilung mitteilen ließ, doch das ist nicht mehr als ein frommer Wunsch der ansonsten hilflosen Kommunalpolitiker.

Autor: H.-P. Koch

(Arbeitsaufwand für diesen Beitrag: 6 Stunden)