Machtkampf lähmt die Chérisy

Der Konflikt schwelt seit Herbst letzten Jahres und spätestens seit Februar wird im Chérisy-Machtkampf auch schmutzige Wäsche gewaschen. Dieter Bellmann und Andreas Maucher, beide Geschäftsführer in der ‚Neuen Arbeit‘, der Trägergesellschaft des Chérisy-Projekts, unterstellen sich gegenseitig schlimme Machenschaften – von Erpressung und Unterschlagung ist die Rede, von Verleumdung, Schmiergeldern und Suspendierung. Aber erst auf der Mitgliederversammlung am 15. Mai ist mit einer (Auf)Klärung zu rechnen

Die ersten Gerüchte waberten im November 2012 durch Konstanz, von Zoff wurde gemunkelt. Nach achtjähriger, fast freundschaftlicher Zusammenarbeit gibt es den ersten, ernsten Konflikt zwischen den Geschäftsführern. Bellmann, der kurz vor der Pensionierung steht, kann sich mit seinem Co-Geschäftsführer nicht über die Neubesetzung des Bauleiter-Postens einigen, ein für die Chérisy mit ihren Bau- und Sanierungsvorhaben ungemein wichtiger Posten, den Bellmann zwischenzeitlich kommissarisch betreute. Als Bellmann die Vorstände und Gesellschafter der beiden tragenden Vereine ESG e.V. und Soziale Arbeit e.V. zu einer Personalentscheidung drängt, fühlt sich Maucher übergangen.

Die Neue Arbeit Konstanz gGmbH ist ein Sozialunternehmen, das aus einer von der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) initiierten Selbsthilfeinitiative zur Schaffung von Wohnraum für Studenten und Familien hervor gegangen ist. Sie baut bis heute Wohnungen und unterhält Betriebe, die vornehmlich der Ausbildung von Langzeitarbeitslosen, Asylbewerbern und arbeitslosen Jugendlichen dienen. Sie unterhält überdies ein Kinderhaus und schafft Raum für zahlreiche Initiativen (Zebra-Kino, Jugendzentrum „Contrast“, Tagesstätte für Behinderte). Der Gründungsverein ‚ESG e.V.‘ vertritt die Bewohner und den Aufgabenbereich Wohnungsbau und -bewirtschaftung, während sich der zweite Trägerverein ‚Soziale Arbeit‘ e.V. um die Bereiche ‚Beschäftigung, Ausbildung und Soziales‘ kümmert.

Der aufkommende Streit, so beschließt man bei der ‚Neuen Arbeit‘, soll intern bereinigt werden. Die meisten Chérysianer und fast alle Journalisten halten sich an diese Vereinbarung. Doch dann, im Januar, kommt es zu einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft, die bis zur Klärung durch eine Anwaltskanzlei dennoch nicht ermittelt, und im April zu einer anonymen Information an den Südkurier, die über die Lokalredaktion Radolfzell die Konstanzer Redaktion erreicht, die eilfertig einen Artikel zimmert.

Erpressung kommt ins Spiel

Und Andreas Maucher verschärft die Kontroverse. Ein Erpressungsversuch (es ging um Mietrückstände, die man nicht zahlen wolle, anderenfalls kämen „unliebsame Erkenntnisse“ an die Öffentlichkeit) bringt Maucher in Erklärungsnöte. Unversehens werden vermeintliche Versäumnisse und Mauscheleien des Co-Geschäftsführers Bellmann ins Tageslicht gerückt:

  • Da sollen Beschäftigungsverhältnisse der Bellmann-Kinder nicht ordnungsgemäß abgerechnet worden sein, sogar der Verdacht wird laut, es handele sich um Schein-Arbeitsverhältnisse. Obwohl Bellmann das weit von sich weist, versichert er, mögliche Fehlzahlungen über sein Guthaben-Konto bei der ‚Neuen Arbeit‘ auszugleichen.
  • Da sollen Schmiergelder beim Verkauf von Eigentumswohnungen geflossen sein. Bellmann sammelte diese Gelder – es handelt sich in zwei Fällen um 13 oder 14 000 Euro, da gehen die Angaben beider Seiten auseinander – in einer „schwarzen Kasse“, aus der er mit Wissen seines Geschäftsführer-Kollegen und des Vorstandes ein Weihnachtsgeld für die Beschäftigten finanzierte. Niemand unterstellt irgendwem persönliche Bereicherung, von Unterschlagung ist zwar die Rede, Belege aber fehlen.
  • Dem Finanzamt könnte dadurch eine Steuerschuld entstanden sein. Dabei sollte es sich höchstens um 500 Euro handeln, so Bellmann, „und dieser Steuerschaden kann unschwer zurück erstattet werden“.

Solche Vorwürfe reichten einer Gesellschafter-Versammlung am 27.Februar, zu der Dieter Bellmann nicht zugelassen war, auf der er folglich auch nicht angehört werden konnte, die womöglich sogar nicht ordnungsgemäß war, zu dessen Suspendierung. Wohlgemerkt: Bellmann stand zu dem Zeitpunkt drei Tage vor der Pensionierung, eine Job-Kündigung war mithin überflüssig.  Die Abgabe der Büroschlüssel allerdings verweigert Bellmann bis auf den heutigen Tag.

Machtkampf ist angesagt

In der Folgezeit gibt es zahlreiche Versuche zur gütlichen Einigung, doch werden Freunde, Chérisy-Gründungsmitglieder oder auch Fachanwälte von dem einen oder anderen Streithahn nicht als Mediatoren akzeptiert. Immer deutlicher schält sich heraus: Es geht um einen Machtkampf zwischen den beiden Geschäftsführern – der eine will das alleinige Sagen haben, der andere will nicht loslassen.

Inzwischen sind beiderseits Anwälte eingeschaltet – es muss mit gerichtlichen Auseinandersetzungen gerechnet werden. Es sei denn, die Mitgliederversammlung am 15.5. schafft doch noch einen Schulterschluss wie bei früheren Streitigkeiten auch: Dann könnte es, so hofft Andreas Maucher, einen „Neu-Aufbruch für die Chérisy“ geben. Oder es wäre ein Kompromiss denkbar, an dem – wie man hört – einige Gründungsmitglieder schon fleißig basteln. Oder, dritte Möglichkeit, die Neue Arbeit steht am 16. Mai ganz ohne Geschäftsführer da – Maucher zumindest soll sich bereits nach beruflichen Alternativen umgeschaut haben.

Derzeit jedoch wagt niemand in der Chérisy eine Vorhersage zum Ausgang des Streits. Denn nicht nur die Mitglieder, auch die Vorstände und Gesellschafter teilen sich jeweils in ein Bellmann- und ein Maucher-Lager. Und über das Kräfteverhältnis beider Gruppen gibt es je nach Lager-Zugehörigkeit unterschiedliche Einschätzungen. Erst die Mitglieder-Versammlung am 15.Mai, auf der auch eine neue Satzung beschlossen werden soll und auf der zudem Vorstandswahlen anstehen, kann für Klarheit sorgen.

Übrigens: Die gegenwärtigen juristischen Auseinandersetzungen um den Bau zweier Studenten-Wohnheime auf dem Chérisy-Terrain sind von diesem Zwist nicht betroffen – da stehen offensichtlich Geschäftsführer wie Vorstände wie Mitglieder wie ein Mann hinter den Forderungen des Bürgerprojekts Chérisy. Und um das Geld für etwaige Prozesskosten gibt es ausnahmsweise auch keinen Streit.

Autor: hpk

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