Mainau beruft erneut Historikerkommission ein

Recherchen zu einem Seemoz-Artikel über die Gedenkstätte für die im Sommer 1945 auf der Insel Mainau verstorbenen KZ-Opfer brachten zutage, dass – anders als bisher offiziell verlautbart – längst nicht nur Franzosen während ihres Aufenthalts in dem von den Besatzungskräften eingerichteten Notlazarett starben. Auch Angehörige anderer Nationen, darunter auch jüdische Auschwitz-Überlebende, gehörten zu den Toten – werden aber an der Gedenkstätte negiert. Zur Klärung dieser bisher vernachlässigten Aspekte beruft die Mainau jetzt nochmals die Historikerkommission ein.

Die Einweihung der Gedenkstätte auf der Mainau am 18. November 2012 löste eine bereits Mitte der 1990er Jahre aufgestellte Forderung ein. Mit drei Granitstelen und einer Gedenktafel wird seither namentlich an 25 der mutmaßlich 33 „ehemalige(n)  französische(n) Häftlinge des nationalsozialistischen Konzentrationslagers in Dachau“ erinnert, „die nach der Befreiung durch alliierte Truppen im Frühjahr 1945 im damaligen Notlazarett der französischen Armee auf der Insel Mainau an den Folgen der zuvor erlittenen Lagerhaft gestorben sind.“
Bei der Gestaltung und Ausführung der Gedenkstätte wurden Gräfin Bettina Bernadotte und Graf Björn Bernadotte von einer Historikerkommission beraten, die sie Ende 2011 beriefen, um die Geschichte der Mainau zwischen 1930 und 1945 aufzuarbeiten. Ihr gehörten der Geschichtswissenschaftler Prof. Dr. Lothar Burchardt, der Direktor der Städtischen Museen Konstanz, Dr. Tobias Engelsing, und Dr. habil. Jürgen Klöckler, der Leiter des Stadtarchivs Konstanz, an.

Nur 25 Menschen werden auf der Mainau namentlich geehrt

Karteikarte Eugenie Bril aus der Kartothek des Judenrats in Amsterdam, 1.2.4/ 12698577/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive

Eugenie Nicolette Bril gehört zu jenen 25 Menschen, derer bisher an der Gedenkstätte gedacht wird. Dass sie aber nicht Französin – sondern Niederländerin war, haben wir bereits im Seemoz-Artikel Ausflüge gegen das Vergessen: Die andere Mainau aufgezeigt. Zusammen mit ihren Eltern war das junge Mädchen im Rahmen der „Entjudung“ der Niederlande zunächst nach Kamp Westerbork verschleppt worden. Dieses „Judendurchgangslager“ war zwischen Juli 1942 und September 1944 der Ausgangspunkt für annähernd hundert Züge in die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und Sobibor, nach Theresienstadt und Bergen-Belsen. Über 100.000 niederländische und deutsche Jüdinnen und Juden wurden von dort aus im Wochentakt deportiert. Eugenie Nicolettes Vater starb am 1. Oktober 1944 in Auschwitz. Sie selbst überlebte Theresienstadt und Auschwitz, gehörte nach der Befreiung aber zu jenen mindestens 33 Menschen, die auf der Insel Mainau starben.

In den „Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution“ (früher: Internationaler Suchdienst) sind mehrere Dokumente über Eugenie Nicolette Bril verfügbar, unter anderem ihre Karteikarte aus der Kartothek des Amsterdamer Judenrats (siehe Abbildung). Sie wird auch bei der Gedenkstätte Kamp Westerbork als von dort aus Deportierte geführt. Und am 23. Februar 2016 verlegte Gunter Demnig in der Rotterdamer Mathenesserlaan 417b für sie einen Stolperstein: „Overleden 11.6.1945 Mainau“ ist darauf zu lesen.

Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn auch sein Name vergessen ist

Mag im Fall von Eugenie Nicolette Bril, die auf der im Jahr 2012 errichteten Gedenktafel noch immer als Französin geführt wird, noch eine bedauerliche Verwechslung vorgelegen haben, so bleibt doch unverständlich, wieso acht weitere im Notlazarett auf der Mainau verstorbene Menschen keinerlei Erwähnung fanden. Ihre Namen listet bereits der offene  Brief auf, mit dem die Deutsch-Französische Vereinigung (DFV) im Dezember 2011 Gräfin Bettina und Graf Björn Bernadotte als Mainau-Verantwortliche aufforderten, eine Gedenkstätte auf der Insel zu schaffen.

Diese bisher ungenannten Menschen sind, so ist auf der Gedenktafel seit dem Jahr 2012 zu lesen, „die Übrigen“, zu deren Leben weitere Recherchen nötig seien, „um unsichere Überlieferungen zu klären“.

Häftlings-Personal-Karte Berthold Krebs, KZ Mauthausen, 1.1.26/ 151676/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive

Einer dieser „Übrigen“, die auch neun Jahre, nachdem ihre Namen bekannt wurden und acht Jahre nach Errichtung der Gedenkstätte, noch immer nicht namentlich erwähnt werden, ist  Berthold Krebs. Der am 4. Juni 1913 in Berlin geborene jüdische Zahntechniker siedelte nach Apeldoorn über und nahm die niederländische Staatsangehörigkeit an. Zusammen mit seiner jungen Familie wurde er am 29. August 1942 verhaftet und später über Kamp Westerbork nach Auschwitz deportiert. Seine Frau Josefine, seine fünfjährige Tochter Carola und seine beiden Söhne Rudolf und Paul (vier und zwei Jahre alt) wurden sofort bei der Ankunft in Auschwitz im Februar 1943 ermordet. Berthold Krebs selbst überlebte Auschwitz. Er überlebte auch das Konzentrationslager Mauthausen, in das er im Januar 1945 verlegt wurde. Am 27. Juni 1945 starb er an den Folgen der zuvor erlittenen Lagerhaft auf der Insel Mainau.

Auch zu Berthold Krebs sind Unterlagen in den Arolsen Archives verfügbar, so seine Überführungspapiere von der Mainau und seine Häftlingskarte des KZ Mauthausen (siehe Abbildung). Das United States Holocaust Memorial Museum Washington verwahrt darüberhinaus seine Häftlingskarte des KZ Auschwitz, sodass sein Leidensweg weitgehend nachvollziehbar ist.

Nach diesen ersten Recherchen für den Seemoz-Artikel zur Mainau-Gedenkstätte hat Dr. Arnulf Moser weitere Nachforschungen zu den bisher nicht genannten Menschen angestellt, die auf der Mainau verstorben sind. Ohne Mosers jahrelange Forschungen und ohne sein 1995 erstmals veröffentlichtes Buch „Die andere Mainau 1945. Paradies für befreite KZ-Häftlinge“ wären die Geschehnisse auf der Mainau einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt geblieben. Nun hat er alle zusammengetragenen Unterlagen an die Mainau gesandt. Als Reaktion darauf beriefen die Verantwortlichen jetzt erneut die Historikerkommission ein.

Sollte diese aufgrund ihrer wissenschaftliche Bewertung eine neue Gedenktafel anraten, spräche vieles dafür, BesucherInnen der Gedenkstätte auch weitere Informationen über den Lebens- und Leidensweg der hier verstorbenen ehemaligen KZ-Häftlinge zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise durch einen QR-Code, über den biografische Informationen abgerufen werden könnten. Dieses Verfahren findet mittlerweile an vielen Gedenkstätten Anwendung.

Sabine Bade (Text und Foto)