Wer will denn gleich vor Gericht ziehen?

seemoz-cropped-Justitia_Gesetze21 Jura-StudentInnen der Konstanzer Uni haben sich zur studentischen Rechtsberatung „Law and Lake“ zusammen gefunden. Kostenlos beraten sie auf fast allen Rechtsgebieten – und lernen selber dabei. seemoz sprach mit zwei der angehenden Juristen.

Was ist an „LAW and LAKE“  außer der Alliteration noch Besonderes?

Sebastian Puhl: Ganz besonders ist natürlich schon das – zumindest für die Juristenausbildung in Deutschland – revolutionäre Konzept des Projektes, die theoretisierte Juristenausbildung um unmittelbar selbst erfahrbare Elemente der tatsächlichen Rechtsanwendung und der anwaltlichen Beratungsperspektive zu bereichern und dabei den Mitwirkenden zugleich die Möglichkeit zu eröffnen, sich höchst wirksam für andere Menschen engagieren zu können.

Simon Pschorr: Der karitative und soziale Aspekt der Arbeit steht ganz klar im Zentrum. Wir Studenten haben im Rahmen unserer Ausbildung die Chance, sehr viel Neues zu lernen – wir wollen dieses Wissen mit denen teilen, die die universitäre Ausbildung mitfinanzieren; das sind alle Steuerzahler! Mit anderen Worten: Wir wollen etwas von dem zurückgeben, was wir erhalten haben und gleichzeitig denen helfen, die Rat suchen. Eine weitere Besonderheit von LAW& LAKE ist das Vier-Augen-Prinzip. Alle Beratung, die wir unseren Mandanten gegenüber leisten, geht durch vier Hände, es sind immer zwei Bearbeiter beteiligt. Das sichert unseren Qualitätsstandard und bewahrt uns zugleich vor Fehlern, die aus mangelnder Erfahrung resultieren könnten.

Warum soll ich zu einer studentischen Rechtsberatung gehen, wenn doch in Konstanz geradezu eine Anwaltsschwemme herrscht? Nur des Geldes wegen, weil die Beratung ja kostenlos ist?

seemoz-SimonPschorrSimon Pschorr: Das Konzept der ‚Law clinic‘ kommt aus den USA. Wegen der Erfolgshonorare kämen dort Streitigkeiten um kleine Summen erst gar nicht vor Gericht, wären da nicht die Studenten. Dieses prozessuale Defizit besteht in Deutschland nicht so sehr, jedoch ist es gesellschaftlich immer noch verpönt, sich juristisch zu streiten. Einmal außerhalb der quasi offiziellen Wege – Anwalt und Gerichtsbarkeit – Rechtsrat zu erhalten, ermöglicht einigen, sich über ihre Situation zu informieren, um dann abschätzen zu können, ob sich weitere Schritte lohnen. Wir können und wollen jedoch die Anwaltschaft nicht ersetzen! Ich verweise regelmäßig in meiner Beratertätigkeit auf Gewerkschaften und Anwälte, wenn aus meiner Sicht unsere Mandanten dort besser beraten sind.

Sebastian Puhl: Unsere bisherige Praxis zeigt, dass sich allermeist Anfragende an uns wenden, die mit ihrem Anliegen jedoch erst gar nicht einen Rechtsanwalt konsultiert hätten, entweder weil eine gewisse Berührungsangst diesem Berufsstand gegenüber besteht oder weil der „Streitwert“ der Sache wirtschaftlich außer Verhältnis zu den anwaltlichen Gebühren steht. Gerade im Hinblick auf diese beiden Aspekte können niederschwellige karitative Angebote – wie das von LAW & LAKE – wesentlich dazu beitragen, Rechtsratsuchenden doch noch zu einer fundierten juristischen Beratung zu verhelfen.

Das Team besteht aus StudentInnen, aus nicht fertigen Juristen also. Kann der Mandant sicher sein, optimalen rechtlichen Rat zu erhalten?

seemoz-Sebastian_PuhlSebastian Puhl: Die Qualität der Beratung ist natürlich ein ganz, ganz wichtiger Aspekt, denn trotz der Unentgeltlichkeit unseres Angebots darf es auf Seiten der Beratungsqualität keinerlei Abstriche geben. Vielmehr muss sich der Mandant darauf verlassen können, auch und gerade bei LAW & LAKE bestmöglich beraten zu werden. Deshalb beschränken wir uns auf Rechtsgebiete, die einerseits in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung gelehrt werden und andererseits für eine Beratung durch Studentinnen und Studenten überhaupt in Frage kommen. Letzteres ist etwa bei strafrechtlichen Konstellationen nicht der Fall, aber auch – im Grundsatz – bei Angelegenheiten, bei denen ausländisches Recht zur Anwendung käme. Jede Anfrage, die uns erreicht, prüfen wir daher zunächst erst einmal darauf, ob wir in der Lage sind, hier qualitativ bestmöglich beraten zu können.

Simon Pschorr: Wir tun unser Bestes, so viel ist sicher. Bis dato bestätigen uns unsere Erfolge und die zufriedene Mandantschaft. Jeder Berater kann sich nach dem Eingang eines Mandates entscheiden, ob er dieses annehmen möchte oder nicht. Dadurch ist gewährleistet, dass die Spezialisten der einzelnen Rechtsgebiete sich um die jeweiligen Mandate kümmern. Ich bin beispielsweise hauptsächlich im Arbeits- und Sozialrecht eingesetzt. Dies ist zugleich mein universitärer Schwerpunktbereich, hier kenne ich mich am besten aus. Wenn ich trotzdem merke, dass ich an meine Grenzen stoße, dann bleibt mir die Rückversicherung bei unseren betreuenden Anwälten und Professoren.

Täuscht mein Eindruck, dass immer mehr Menschen sich zu wehren beginnen, ihr Recht auch vor Gericht beanspruchen und deshalb eine größere Nachfrage nach juristischem Sachverstand entsteht?

Sebastian Puhl: Die Eingangszahlen zumindest bei den ordentlichen Gerichten sind insgesamt eher rückläufig, von 2002 bis 2012 bei den Landgerichten um 19 % und bei den Amtsgerichten sogar um 23 %. Im Detail aber zugenommen haben z.B. Reisevertragssachen (um 50 %) und WEG-Streitigkeiten, also Prozesse im Rahmen der Wohnungseigentümergemeinschaft (um 38 %), zudem Arzthaftungssachen (um 62 %), Versicherungssachen (um 202 %) sowie Kapitalanlagesachen (um 350 %).

Unabhängig von einer Klage beginnt die Nachfrage nach juristischem Sachverstand aber bereits schon früher, nämlich mit der Frage, ob mir entweder überhaupt Ansprüche zustehen oder aber, ob etwaige behauptete Forderungen gegen mich gerechtfertigt sind. Ein „Wehren“ beginnt daher im Grunde schon in der außergerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen bzw. einem solchen Entgegentreten gegen ungerechtfertigte Forderungen.

Simon Pschorr: Wenn ich da etwas einwerfen darf: Die Bedeutung der außergerichtlichen Klärung von Rechtsstreitigkeiten sollte nicht unterschätzt werden. Die Gerichte drängen aus Kostengründen immer häufiger zum Prozessvergleich, doch viele Zwistigkeiten lassen sich auch außerhalb gerichtlicher Instanzen beilegen, wenn sich die Parteien nur auf Augenhöhe begegnen. Wir bemühen uns darum in jedem Stadium um eine gütliche Einigung.

Sebastian Puhl: Dem kann ich mich nur anschließen. Im Hinblick zumindest aber wohl auf die genannten Rechtsgebiete – bei denen zum Teil der Gesetzgeber auch eingeschritten und günstigere Anspruchspositionen geschaffen hat – scheint es im Grundsatz tatsächlich so, dass heute wesentlich mehr Menschen nicht länger bereit sind, Verletzungen der eigenen Rechte durch die Gegenseite stillschweigend hinzunehmen, sondern für diese auch gerichtlich zu streiten.

Simon Pschorr: Manchmal muss es dann auch der Klageweg sein. Die deutschen Gerichte haben nichts mehr mit einer unpersönlichen, bürokratischen Mühle zu tun, die noch Franz Kafka in seinem ‚Prozess‘ beschreibt. Gerichte sind heutzutage viel mehr Mediator denn Element hochherrschaftlicher Gewalt. In der Zivilgerichtsbarkeit und im Verwaltungsprozess treffen Sie heute viel eher einen Mittler, der ein Gespräch zwischen den streitenden Parteien moderiert. Streiten Sie für ihr Recht. Vielleicht kann Ihnen eine Richterin oder ein Richter Schlichter sein.

Welche Rechtsgebiete werden am meisten nachgefragt?

Sebastian Puhl: Das Spannende ist, dass wir Anfragen aus einem recht breiten Spektrum an Rechtsgebieten bekommen, jedoch zum absoluten Großteil doch aus dem Zivilrecht, obwohl wir auch verwaltungsrechtliche Mandate übernehmen, etwa aus dem Polizeirecht, dem öffentlichen Baurecht oder nicht zuletzt dem Asyl- und Ausländerrecht.

Im Zivilrecht waren bei den Anfragen bisher alle gängigen Bereiche gut vertreten, angefangen von allgemeinem Vertragsrecht über die jeweilige Mängelgewährleistung der unterschiedlichen Vertragsarten bis hin zu Deliktsrecht und Sachenrecht, aber auch Erbrecht und Familienrecht. In diesem Jahr gingen bei uns bisher am allermeisten Anfragen mit mietrechtlicher Fragestellung ein, das im letzten Jahr recht stark nachgefragte Kaufrecht ging in 2015 zugunsten von arbeits- und sozialrechtlichen Anfragen zurück.

Simon Pschorr: Wie bereits erwähnt, bleibt uns besonders das Strafrecht vorenthalten. Gut so; Da geht es schließlich an’s Eingemachte, da sollten keine Studenten ran. Niemand von uns würde mit der Belastung leben können, aus Unerfahrenheit einen Unschuldigen nicht vor der Haft bewahren zu können. Ob wir ein Mandat deswegen ablehnen müssen, prüfen wir am jeweiligen Einzelfall.

Rechtsberatung ist die eine, Rechtsvertretung die andere Sache. Was passiert, wenn Euer Mandant vor Gericht zieht – arbeitet Ihr dann mit dem Anwalt zusammen?

Sebastian Puhl: In der Tat ist für uns Schluss, wenn das Mandat vor Gericht geht, da wir nur außergerichtlich tätig sind. In den allermeisten Mandaten kommt es auch gar nicht zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Hier versuchen wir vorrangig für unsere Mandanten mit der Gegenseite eine außergerichtliche Einigung und Streitbeilegung zu erzielen, da wegen des oft überschaubaren Streitwerts keine der beiden Parteien ein Gerichtsverfahren anstrebt.

Wenn sich der Mandant jedoch tatsächlich für ein gerichtliches Verfahren entscheidet, überlassen wir alles Weitere aber aus guten Gründen komplett dem Rechtsanwalt. Dieser kann natürlich auf unserem Gutachten zu dem jeweiligen Fall aufbauen, welches wir dem Mandanten mitgeben. Besonders freuen wir uns natürlich über Lob für unsere bisherige Tätigkeit in der Sache, die wir dann natürlich auch noch weiterverfolgen – dann aber nur aus der Perspektive des professionellen Beobachters.

Simon Pschorr: Man sollte natürlich nicht außer Acht lassen, dass zumindest in fast allen Ausgangsinstanzen kein Anwaltszwang herrscht. Mithilfe der Rechtsantragsstellen der jeweiligen Gerichtsbarkeiten kann man auch selbst, als sogenannte Naturpartei, einen Prozess führen, wenn man das Kostenrisiko eines Anwalts scheut. Das bedeutet natürlich ein gewisses Risiko, was die Komplexität eines Rechtsstreits betrifft. Aber auch hier gilt: Deutsche Gerichte helfen weiter. Trauen Sie sich und suchen Sie Rat. Wir helfen Ihnen, so gut wir können.

Die Fragen stellte Hans-Peter Koch[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]