Manchmal wollen sie einfach nicht

Eigentlich war das ebenso bürgerInnenfreundlich wie weltläufig gedacht: Die Stadt gibt einigen AnwohnerInnen in der Zogelmannstraße das Geld, diesen Sommer über versuchsweise vor ihrer Haustür auf sechs Parkplätzen begrünte Sitzecken (fast) ganz nach ihrem Geschmack einzurichten, subventioniert diese gemütlichen Ecken und lagert das Zeug den Winter über ein, damit es, falls gewünscht, im nächsten Jahr wiederverwendet werden kann. Der Haken daran: Ziemlich viele AnwohnerInnen sind strikt dagegen.

Was in Stadelhofen geplant ist, klingt wie das Musterbeispiel für eine gelungene Bürgerbeteiligung: Im Sanierungsgebiet Stadelhofen sollen, wie es in der Sitzungsvorlage für den morgen tagenden Technischen und Umweltausschuss (TUA) heißt, „Stellplätze in der Zogelmannstraße in sogenannte Chill-Oasen (Parklets)“ umgewandelt werden. Was ist eine Chill-Oase? Wir haben es bereits erfahren: Eine Chill-Oase ist ein Parklet. Und was ist ein Parklet? Auch diesbezüglich ist die Verwaltung um eine Auskunft nicht verlegen: „Ein Parklet ist ein temporärer, auf einem Parkplatz eingerichteter Aufenthaltsbereich. Das Parklet darf keinem kommerziellen Zweck dienen und soll mit Sitzmöglichkeiten und Pflanzen ausgestattet werden, damit mehr Grün und ein gemütlicher Austausch der Bewohner im Quartier entsteht.“

Chill-Oasen in Stadelhofen

Nun will die Stadt damit niemandem etwas aufzwingen, es handelt sich lediglich um ein Angebot, das annehmen oder auch nicht annehmen kann, wer auch immer mag, denn diese begrünten Sitzecken soll es nur auf den Antrag interessierter AnwohnerInnen hin geben. Ausschließlich die direkten Bewohnerinnen und Bewohner der Gebäude Zogelmannstraße 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 22 haben das Recht, für die Fläche vor ihrem Haus einen solchen Antrag zu stellen. „Dieser eingeschränkte Personenkreis soll der sozialen Kontrolle und gleichzeitig einer ‚nachbarschaftsverträglichen‘ Nutzung zuträglich sein.“ Mit anderen Worten: Der wachsame Nachbar darf sich sicher sein, dass dort keine Parties bis spät in die Nacht stattfinden und dass nicht betrunkene Horden auf dem Heimweg wohin auch immer dort mit Wein, Weib und Gesang einfallen.

Eine grüne Chill-Oase statt eines Parkplatzes? Das hat doch Charme.

Parklet statt Parkplatz

Nicht aber für die etliche der Antragsberechtigten, die, statt einfach keinen Antrag auf Chill-Oasen zu stellen, an die Öffentlichkeit gegangen sind, um das gesamte Projekt zu verhindern. Es soll niemand etwas beantragen dürfen, lautet ihre zentrale Forderung. Hier ein Auszug aus dem Schreiben an die LokalpolitikerInnen:

„Wir halten die Zogelmannstraße für eine angedachte Aufwertung mit Parklets für völlig ungeeignet. Diese Straße ist ganztags ohne Sonne, die Straßenseiten sind mit Mülltonnen und jeder Menge Fahrrädern gezwungenermaßen vollgestellt.

Es gibt im Quartier Gaststätten und Richtung Innenhof haben die Häuser dieser Straße Gärten oder Balkone, sodass der Bedarf für private Treffen der Anwohner in den Chill-Oasen nicht vorhanden sein dürfte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Wegfall von 6 Anwohnerparkplätzen, für die kein Ersatz vorgesehen ist. Die Parksituation ist in diesem Quartier ohnehin sehr prekär. An manchen Abenden ist kein Parkplatz zu finden. Insbesondere an Wochenenden werden viele Parkplätze von Schweizer Nachbarn frequentiert und wir Anwohner haben das Nachsehen.

Bemerken möchten wir zudem, dass die Verwendung von 30.000 Euro für die geplante Maßnahme unseres Erachtens aus den genannten Gründen Verschwendung von Steuergeldern bedeutet.

Wir Anwohner in Stadelhofen bitten daher nachdrücklich, auf die geplante Einrichtung von Chill-Oasen – soweit sie auch nur versuchsweise erfolgen sollte – zu verzichten.“

So weit der Briefe oder Mails schreibende Teil der Volksseele.

BürgerInnen gegen BürgerInnenbeteiligung?

Die Bürgerinnen sollen also dürfen, aber die BürgerInnen wollen nicht dürfen dürfen und vor allem auch nicht, dass ihre NachbarInnen dürfen. Niemand soll dort etwas Derartiges dürfen. BürgerInnen stehen auf gegen eine Bürgerbeteiligung zur Verschönerung ihrer Nachbarschaft? Nicht mal versuchsweise für ein paar Sommermonate?

Man reibt sich verwundert die Augen. Wäre es nicht zumindest für manche Menschen (wie in anderen Städten auch, wo die Parklets sich großer Beliebtheit erfreuen) ein Vergnügen, in einer grünen Oase auf der Straße zu sitzen? Wäre es nicht ein toller Spaß, den schweizerischen Nachbarn, die wie in dem Schreiben beklagt wird, den Einheimischen am Wochenende die Parkplätze stibitzen, aus seinem eigenen Blumenmeer heraus höhnisch zuzuprosten, während sie nach einem Parkplatz suchen?

Wie gesagt, geplant ist keine (noch dazu auf Dauer angelegte) Zwangsbeglückungsmaßnahme der Stadt, sondern Hilfe zur Selbsthilfe für jene Interessierten, die sich ein grünes Eckchen einrichten wollen. Dass viele andere NachbarInnen lieber auf ihren Balkonen oder in ihren Innenhöfen sitzen, ist durchaus verständlich, und es will sie ja auch in Zukunft niemand daran hindern, dies zu tun, denn niemand muss ja eine solche Oase einrichten oder gar aufsuchen.

Wer ist hier verschattet?

Die Straße ist schattig? Für Leute, die keine Hautkrebsanbeter sind, mag an heißen Sommertagen ein schattiges Plätzchen mit Gelegenheit zum Plausch mit der vorbeikommenden Nachbarschaft ja durchaus seinen Reiz haben. Der „Bedarf für private Treffen der Anwohner in den Chill-Oasen dürfte nicht vorhanden sein“? Ob dieser Bedarf tatsächlich nicht vorhanden ist, ließe sich ausprobieren, denn wenn es ihn nicht gibt, wird eben niemand einen Antrag auf ein Parklet stellen. Aber wenn wie von den SchreiberInnen gefordert das ganze Projekt im Vorfeld abgewürgt wird, wird sich nie herausstellen, ob vielleicht nicht doch jemand Lust hat, sich ein solches Chill-In einzurichten. Und die Verschwendung von Steuergeldern, das immer vorletzte Argumentationsritual der eingeschnappten Bürgerseele (das letzte ist dann die angebliche Steigerung der Politikverdrossenheit)? Wenn niemand einen Antrag stellt, werden auch keine Gelder „verschwendet“; aber Nachbarn, die es trotz dieser heftigen öffentlichen Attacke vielleicht doch noch wagen, ihr Grüneck einzurichten, werden das dafür aufgewendete städtische Geld wohl kaum als verschwendet empfinden. Wer tatsächlich Probleme mit der Verschwendung öffentlicher Gelder hat, wird sich deutlich mehr über das Bodenseeforum als über ein paar Blumenkübel vor dem Haus nebenan aufregen.

Die Argumentation ist also ziemlich schwach. Man könnte fast denken, hier will jemand etwas verhindern, weil es ihm oder ihr aus ganz anderen Gründen als den angegebenen nicht passt. Die Sache hat einfach ein Geschmäckle. Nachbar X sagt, die Straße zu schattig, deshalb solle sich Nachbar Y dort keine Sitzecke einrichten dürfen?

Das klingt höchst mysteriös.

Worum geht es hier eigentlich?

Aber eines tröstet: Ganz selbstverständlich ist es ja nicht so, nein, auf gar keinen Fall, dass es hier um einen Kampf engagierter AutofahrerInnen um die sechs Parkplätze vor ihrer Haustür geht, die sie gern für sich behalten und nicht mit den Nachbarn als Sitzgelegenheit auf ein Feierabendbierchen im trauten Grün teilen wollen. Schön, dass wenigstens in Stadelhofen ein so lebendiger Gemeinsinn derart viele Menschen motiviert. Ginge es nämlich in Wirklichkeit vor allem um die Parkplätze, so wäre auch dafür ein Behelf gefunden, wie die Stadt mitteilt: „Die wegfallenden Stellplätze können vorerst am Döbele und später in der dortigen Parkgarage kompensiert werden. Derzeit können Bewohner mit den Bewohnerparkausweisen VII-II (Zogelmannstraße) auch in der Zone II (Döbele) parken.“

Was auch immer tatsächlich hinter dieser Bürgerinitiative gegen mehr Bürgerrechte stecken mag, sie ist ein Schatten aus der Zukunft. Der Umbau auch der Konstanzer Innenstadt muss, sofern er gelingen soll, zahlreiche Parkplätze kosten, sei es auf dem zu entparkenden Stefansplatz, sei es im Paradies, wo Parkplätze zu Fahrradabstellplätzen umgewidmet werden müssen, damit Fahrräder sicher verwahrt werden können und die Fußwege an den engeren Stellen auch wirklich für den Fußverkehr frei bleiben. Von der Notwendigkeit, Parkflächen für das Klima großräumig in Grünflächen umzuwandeln, ganz zu schweigen.

Alles so schön grün hier

Fast alle sind für Grün und Fahrräder statt Verkehrsflächen, und die Stadt verweist ausdrücklich auf die (zugegeben: minimale) Verbesserung des Lebensraumes: „Die Umgestaltung von bestehenden Stellplätzen in grüne Parklets/Oasen kann durch die von den Bewohnern eingebrachte Begrünung zur Verbesserung des Klimas im Quartier beitragen. Mit diesen kleinen Flächen kann die Stadt zusammen mit den Bürgern in kleinem Maß positiv auf den Klimawandel wirken.“

Alle wollen natürlich ein besseres Binnenklima und mehr Grün, allerdings nicht auf den Parkplätzen vor ihrer eigenen Haustür, weil es dort zu schattig, zu sonnig oder zu gebirgig ist und weil just diese Parkplätze über einer gefährlichen Erdbebenspalte liegen.

Verkehrswende? Menschengerechter Umbau der Städte? Gern, aber …

Immerhin gibt es für die Zogelmannstraße eine einfache Lösung, die sicher auch die InitiantInnen begeistern wird, falls es – wie zu erwarten – nach diesem Vorstoß niemand in der Nachbarschaft mehr wagt, sich eine Chill-Oase einzurichten. Es heißt ja in der Wortmeldung: „… die Straßenseiten sind mit Mülltonnen und jeder Menge Fahrrädern gezwungenermaßen vollgestellt.“ Also: Weg mit den sechs Parkplätzen und an deren Stelle mehr Fahrradbügel und Abstellanlagen für den Müll.

Dann klappt es auch mit den schweizerischen Nachbarn.

Text: O. Pugliese, Symbolbild: Benjamin Arntzen, seemoz-Archiv