Mein Leben als Beförderungsfall

Ihnen geht es gut? Sie sind entspannt und versöhnt mit Ihrem Dasein? Kein Sackgesicht im Anmarsch, das Ihnen schon heute die Laune für den Rest der Woche vermiesen will? Ihnen kann geholfen werden – mit einem kleinen Streifzug durch die bizarre Unterwelt der Beförderungsbestimmungen für öffentliche Verkehrsmittel. Kafka war gestern, Fahrradmitnahme ist heute.

Natürlich hat sich viel getan zugunsten der BahnfahrerInnen in den letzten Jahrzehnten: Im Schwarzwaldexpress zum Beispiel gibt es große Fahrradabteile – oft direkt neben den Klotüren, deren Automatik niemand zu bedienen versteht, weshalb die sich auch genau dann wieder öffnen, wenn sich unerleuchtete Menschen gerade auf der klebrigen Klobrille eingerichtet haben.

Die Bahn hat in den letzten Jahren viele lobenswerte Anstrengungen unternommen, nicht nur Gutes zu tun, sondern dem Volk diese Wohltaten auch näherzubringen. Statt des banalen „Wir haben derzeit 15 Minuten Verspätung, die meisten Anschlusszüge werden nicht erreicht“ heißt es jetzt vornehm „Wir erreichen Baden-Baden heute um siebzehnuhreinunddreißig und wünschen Ihnen noch eine gute Weiterreise“. Und wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, prangte neben neuen Türöffnern vor wenigen Jahren ein zündender Werbespruch: „Mehr Fahrgastkomfort durch neue Bedienautomatik“. Ja, das ist der Geist, in dem Obsttüten mit „Esst mehr Obst!“ bedruckt werden.

Die Radstadt ist ein Dorf

Allerorten hört man aus berufenem PolitkerInnenmund, wie sehr man doch die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs gesteigert habe und weiter steigern wolle. Konstanz hat sich gar zur Radstadt ernannt, aber wehe, man will die Stadtgrenzen überschreiten, da hört die Schöne-Welt-Simulation schlagartig auf. Richtig ernst wird es, wenn ein Mensch sein Fahrrad im Zug mitnehmen möchte, denn angesichts dieses Ansinnens treten ihm die Verkehrsunternehmen mit unverhohlener Lust daran entgegen, ihn zu demütigen und zu brechen.

Ein Beispiel gefällig? Ich stand neulich abends mit meinem Fahrrad in Singen und war – ich gestehe es ja – zu faul, noch nach Konstanz zurück zuradeln. Zum Glück fährt dort aber um 23.27 Uhr ein IC direkt nach Konstanz, wo er bereits um 23.50 Uhr eintreffen soll. Und das Schönste: VHB-Fahrkarten und das Baden-Württemberg-Ticket gelten in diesem Zug auch. Dieser Zug hat nämlich zwei Zugnummern, er ist zugleich Regionalexpress 87 (52285) und Intercity 2285. Gefahren werden moderne Doppelstockwagen, wie man sie auch vom Schwarzwaldexpress her kennt, nur anders angestrichen.

Aber was für mich als Mensch ein normaler Regionalexpress ist, ist für mein Fahrrad ein IC. Und das heißt, dass eine einfache Fahrradkarte nicht genügt. Ich muss zwar nicht für mich, aber für mein Fahrrad reservieren, so steht es zumindest im Internet:

Alles klar?

Reservieren geht aber gegen 23.10 Uhr nicht, weil „Reisezentrum und DB Agenturen“ dicht sind. Also gibt es für mich keine legale Möglichkeit, mein Fahrrad mit in diesen Zug zu nehmen, obwohl der riesengroß und ziemlich leer ist. Denn ich kriege im Internet und auf meinem Smartphone zwar unschwer ein Zugticket von Singen nach Warschau für mich – aber für mein Fahrrad muss ich für die Strecke von Singen nach Konstanz an den Schalter gehen, wenn der denn mal geöffnet ist.

Bestenfalls die halbe Wahrheit

Nichts aber ist, was es zu sein scheint. Nach wenigen Stunden intensiver Recherchen stieß ich bei der Bahn auf diese Regelung:

„Im Fernverkehr ist die Fahrradmitnahme reservierungspflichtig. Auf den Strecken
– Stuttgart – Singen (Hohentwiel)
– Norddeich Mole – Leer – Emden – Bremen
– Emden – Außenhafen Leer – Emden – Bremen
werden im Intercity auch Tickets des Regionalverkehrs anerkannt. Wer hier mit einem Ticket des Nahverkehrs reist und sein Fahrrad mitnehmen möchte, benötigt vorab eine Reservierung. Diese ist zum Preis von 4,50 € in DB Reisezentren und DB Agenturen erhältlich oder über die Service-Hotline. Wenn Sie spontan zusteigen, können Sie die Stellplatzreservierung auch beim Zugbegleitpersonal kaufen, jedoch nur sofern noch freie Stellplätze vorhanden sind.“ (Hervorhebung vom Autor) (1)

Diese Regelung gilt ja für die Strecke Stuttgart-Singen, für den Rest des Zuglaufs bis nach Konstanz gilt sie aber anscheinend nicht. Wenn ich von Tuttlingen komme, kann ich dort bis Singen spontan mit meinem Rad zusteigen, und für den Rest der Strecke von Singen bis Konstanz brauche ich dann eine Reservierung – für mein Fahrrad? Hüpf, freu!

Was nützt ein System, das niemand bedienen kann? Wieso ist nicht zum Beispiel die Fahrradmitnahme in ganz Deutschland umsonst oder kostet pauschal und überall z.B. drei Euro pro Tag, die man schnell über sein Smartphone oder im Internet oder am Automaten auch für heute oder morgen oder für wann man will bezahlen kann?

Claudia Bierbaum, seit Oktober 2017 Radverkehrskoordinatorin im Landratsamt, nennt die Gründe: „Radlerfreundliche Mitnahmemöglichkeiten für Fahrräder im Landkreis, insbesondere in den Zügen, haben einen prominenten Platz auf unserer Agenda hier im Amt für Nahverkehr und Straßen. Mein Ziel ist natürlich eine einheitliche Lösung, und zwar in allen für den Fahrradtransport geeigneten Verkehrsmitteln, aber es ist nicht einfach, die unterschiedlichen Verkehrsträger unter einen Hut zu bringen. Letztlich brauchen wir auch die Unterstützung des Verkehrsministeriums, denn die Landesregierung möchte ja die Entwicklung hin zur nachhaltigen Mobilität fördern. Die Fahrradmitnahme im ÖV ist hierbei ein wichtiger Baustein, besonders für PendlerInnen.“

Bei diesem Unterfangen kann man allen Beteiligten nur von Herzen jenes Glück wünschen, das ihnen bisher offenkundig versagt blieb.

Kafka biegt sich vor Lachen

Innerhalb des VHB muss ich für mein Rad eine Karte am Automaten lösen und mich dort womöglich anstellen, so dass ich am Ende noch den Zug verpasse. Und das soll wohl auch so bleiben, wie mir der VHB mitteilte: „Fahrradkarten sind nicht über Handy-Ticket erhältlich. Dies ist derzeit nicht vorgesehen.“ Wieso eigentlich nicht? Was für einen Sinn hat es, die Tickets für Menschen übers Handy zu verkaufen, die für Fahrräder aber nicht? Welche verborgene Lust ziehen Verkehrsplaner daraus, dass RadlerInnen hilflos vor einem Automaten stehen, dessen Touchscreen bei Tag nicht zu lesen ist und von Lausebengeln mit einer dicken Schicht klebriger Rotze bespuckt wurde, die in der Frühlingssonne feinschaumige Blasen schlägt?

Jeder gegen jeden, vereint gegen die Kundschaft

Als Benutzer des ÖPNV habe ich jedenfalls den Verdacht, dass ein Verkehrsverbund in den beteiligten Unternehmen deren schlechteste Seiten zutage fördert: Bloß nicht zusammenarbeiten oder gemeinsam eine Mobilitätslösung entwickeln, mit der der Mensch samt Fahrrad unbeschwert von A nach B kommt, egal mit welchem Verkehrsmittel. Dass es auch anders geht, wenn man nur will, zeigt die völlig unkomplizierte Mitnahmeregelung für Hunde im gesamten VHB-Gebiet.

Auch die Regeln für die Fahrradmitnahme innerhalb des VHB unterliegen den Gesetzen des unerforschlichen göttlichen Ratschlusses. Hier ein (stark gekürzter!) Auszug:

Aber das alles ist noch viel zu human, darum hat sich jemand noch etwas Besonderes ausgedacht [(2) und (3)]:

Ja, da ist es endlich, worum es auch hier eigentlich geht! Sondertarife, auf die man nicht verlinkt, so dass niemand sie findet, und die jederzeit zurückgenommen werden können! Bravo! Ein Perpetuum mobile des Horrors!

Fahrradfreundlichkeit? Alles grünlackiertes Gewäsch! Menschenfreundlichkeit? Verkehrsunternehmen kennen keine Menschen, sie kennen nur Untertanen! Ökologische Wende, Klimaschutz, Vorfahrt für den ÖPNV? Pahhh! Die Kundschaft ist lästiges Gewürm.

Ich jedenfalls verbitte mir hiermit, mich von Leuten, die sich so etwas einfallen lassen, als „Kunde“ oder gar „Fahrgast“ verhöhnen zu lassen. Früher stand auf Fahrscheinen und an Schaltern „Irrtümer und Versehen gehen zu Lasten des Beförderungsfalls“. Nennt mich also gefälligst „Beförderungsfall“, denn das ist wenigstens ehrlich.

O. Pugliese

Quellen:

(1) https://www.bahn.de/p/view/service/fahrrad/07rad_fahrradzuege.shtml, Zugriff 17.04.2018 um 22:04 Uhr.

(2) https://www.vhb-info.de/tickets/fahrrad.html, Zugriff am 18.04.2018 um 05:18 Uhr.

(3) https://www.vhb-info.de/fileadmin/user_upload/VHB_TPZ_Fahrradmitnahme.pdf, weicht leicht von Quelle (2) ab. Zugriff am 18.04.2018 um 05:21 Uhr.