Mein liebster Klassenfeind (I)
Ein Vater gibt nach Jahrzehnten seinen Sitz im Gemeinderat auf, und sein Sohn will an seine Stelle treten, das ist schon ziemlich ungewöhnlich. Aber die Familie Kossmehl – zu der auch Klaus-Peter und Christian gehören – hat sich noch nie allzu sehr darum gekümmert, was üblich ist und was nicht. Hier der erste Teil eines Gespräches mit den beiden Kossmehls sowie Anselm Venedey (allesamt Freie Wähler) als Rückblick auf ein bewegtes Leben in der Lokalpolitik. Dazu eine ordentliche Dosis Wahlkampf.
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seemoz: Bist Du eigentlich religiös?
Klaus-Peter Kossmehl: Ja, ich bin katholisch.
seemoz: Du glaubst an Gott?
Klaus-Peter Kossmehl (selbstbewusst): Aber ja. Ich war in meiner Jugend im Sauerland sogar Ministrant und Küster.
seemoz: Bist Du gläubig im Sinne der Kirche oder eher privatreligiös?
Klaus-Peter Kossmehl: Hmmm? Jetzt zu Weihnachten hatte ich einen Herzinfarkt und war dabei eine Zeit lang weg. Da bin ich in ein tiefes Loch gefallen und dachte mir, wenn Du so stirbst, dann ist es schon recht. Ich habe nichts gemerkt.
Anselm: Wir Freien Wähler sind überhaupt die einzige Fraktion im Gemeinderat, die zwei Auferstandene hat. Ich war auch schon mal tot. Ich bin in Portugal in einen Aufzug gestiegen und habe dort einen Stromschlag gekriegt, als hätte mir jemand mit dem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. Ich war total weg, es war eigentlich alles in Ordnung. Ich lag in der Aufzugtür, die immer auf und zu ging, blöpp, blöpp, und merkte nichts mehr. Ich kam wieder zu mir, als jemand auf mir draufsaß und mir auf die Brust drückte (singt:) „Staying Alive, Staying Alive, ha-ha-ha-ha“. Hier sitzen also zwei Wiederbelebte nebeneinander, ich habe damals übrigens auch keine Lichter oder sowas gesehen.
seemoz: Also seid Ihr doch Atheisten! Aber Klaus-Peter, in den fünfziger und sechziger Jahren im Sauerland aufzuwachsen, das hört sich nach Höchststrafe an, wie hast Du das denn überstanden?
Klaus-Peter Kossmehl: Das war meine Heimat. Sonst gibt’s nicht viel darüber zu erzählen. Ich habe nach der Schule erst mal drei Monate lang eine Banklehre gemacht.
seemoz: Dich im Anzug und mit tiefem Bückling vor der Kundschaft kann ich mir nicht so recht vorstellen.
Klaus-Peter Kossmehl: Damals musstest Du die Kontoauszüge noch von Hand sortieren und in die Kuverts tun. Da habe ich gesehen, was der und der auf dem Konto hat, und sowie ich das wusste, wurde es langweilig. Also bin ich weinend zu meinem Chef gegangen, ich war ja erst 14 oder so, und habe gesagt, dass ich zu meinem Vater auf den Bau will, der war nämlich Fliesenleger. Also habe ich eine Fliesenlegerlehre gemacht.
Dadurch, dass ich mich bei der Feuerwehr verpflichtet hatte, fiel bei mir auch der Wehrdienst weg, und ich habe keine Zeit beim Bund verloren. Ich war schon mit 16 Jahren Geselle und bin anschließend zur Meisterschule nach Konstanz gegangen, wo ich mit 21 Jahren der jüngste Handwerksmeister in ganz Baden-Württemberg wurde. Das war, lass mich mal rechnen, also ich bin 1951 geboren, dann war das 1972.
seemoz: Was war denn Dein erster Eindruck von Konstanz?
Klaus-Peter Kossmehl: Als ich nach Konstanz kam, war gerade Straßenfastnacht, und so etwas kannte ich ja gar nicht. Damals bin ich sofort in eine Telefonzelle gerannt und habe meine Mutter angerufen: „Mutter, hier sind alle völlig bescheuert, die laufen im Nachthemd rum!“ Im Sauerland gibt es ja nur die Altweiberfastnacht, da dürfen nur die Frauen lustig sein.
seemoz: Apropos Frauen …
Klaus-Peter Kossmehl: Ich habe in der letzten Prüfungswoche meine Frau kennengelernt, und bald darauf haben wir uns auch schon verlobt und sind gemeinsam in Urlaub gefahren.
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seemoz: Gemeinsamer Urlaub schon vor der Ehe? Zu der Zeit? Igitt!
Klaus-Peter Kossmehl: Ja, das ging schon irgendwie. Ich war damals ziemlich geschäftig, also sind wir nach Österreich gefahren, haben dort den Ring gekauft, sind damit über die Grenze kurz nach Deutschland ausgereist, und eine Stunde später standen wir schon wieder in Österreich beim Juwelier und haben uns die Mehrwertsteuer zurückgeholt. Den guten Mann hätte es ob unserer Unverfrorenheit bald lang hingeschlagen.
seemoz: Immerhin der Beginn einer wunderbaren Ehe. Ich wusste es doch, ein Kossmehl ist nur in der Kirche, damit er den Klingelbeutel ausrauben kann.
Klaus-Peter Kossmehl: Das hatte ich nie nötig. Als Fliesenleger habe ich immer gut verdient, nicht wie Du rote Socke. Ich habe mich 1977 selbstständig gemacht, damals noch in der Schiffstraße. Irgendwann haben wir uns dann einen Bauplatz gesucht und sind mit der Firma 1996 ins Industriegebiet umgezogen. Meine Frau und ich haben jahrelang gearbeitet wie die Irren, sieben Tage die Woche rund um die Uhr, und wir sind viele Jahre lang überhaupt nicht im Urlaub gewesen.
seemoz: Wie bist Du dann auch noch an die Politik geraten?
Klaus-Peter Kossmehl: Die hat mich schon immer interessiert. Ich habe mich in der CDU engagiert, und gerade, als unser Neubau fertig war, bin ich dann als Nachrücker in den Gemeinderat gekommen. Ich bin jetzt seit über 20 Jahren im Gemeinderat, und am Anfang hat das auch noch richtig Spaß gemacht.
seemoz: Was waren Deine Schwerpunkte, zu welchen Themen hast Du Deine flammendsten Reden gehalten?
Klaus-Peter Kossmehl: Alles, was mit Bau zu tun hat, und die Technischen Betriebe haben mir immer am meisten Spaß gemacht. Ich habe mich eher in den Ausschüssen als im Gemeinderat selbst zu Wort gemeldet. Aber mittlerweile merke ich die Last des Amtes, „ich habe fertig.“ Und viel im Gemeinderat ist ja auch nur noch Schaumschlägerei. Wenn ich nur mal an den Klimanotstand denke. Wenn Du die Gesamtmenge CO2 auf der Welt nimmst und rechnest das auf Konstanz runter, dann kann das selbst ein Computer nicht mehr darstellen, so wenig ist das. Das bringt doch nichts.
seemoz: Wieso hast Du trotzdem dafür gestimmt?
Klaus-Peter Kossmehl: Weil ich Angst vor Anselm hatte, und weil ich die Jungen richtig gut fand. Die Jugend heute ist ganz anders als wir damals, wir hätten uns sowas niemals getraut.
Anselm: Du hast aus Mitgefühl mit den Schwächeren immer wieder mal mit der anderen Ratsseite gestimmt. Und Du warst auch wirklich verärgert, dass nicht alle von uns Freien Wählern beim Klimanotstand mit unterschrieben haben.
Bei der Abstimmung über den Klimanotstand war richtig Druck unter dem Deckel. Das geht jetzt wie ein Lauffeuer durch die deutschen Städte, und auch wenn Du sagst, wir sind hier ja nur ein Promille von Deutschland, dann hat FfF mit dem Klimanotstand doch ganz schön etwas ausgelöst. Interessant ist ja, dass es früher unter dem grünen Oberbürgermeister Horst Frank auf jeder Sitzungsvorlage ein Kästchen gab, Umweltrelevanz ja oder nein. Und dieses Kästchen ist irgendwann mal weggefallen. Der Klimanotstand war natürlich für den OB auch ein großer PR-Gag, er konnte in ganz viele Kameras schauen, und Konstanz hat dadurch ein positives Image gewonnen. Ich glaube, dass nach dieser Entscheidung auch das entsprechende Personal für die Verwaltung eingestellt wird, das man einfach braucht, wenn man etwas ändern will.
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Christian Kossmehl: Wenn andere sehen, dass bei uns etwas geschieht, und dass es möglich ist, etwas zu machen, dann bringt das auch weit über Konstanz hinaus den Stein ins Rollen. Auch wenn das global vielleicht nicht so viel ist. Außerdem gehst Du ja auch zur Wahl, obwohl Deine eine Stimme nicht viel zählt.
seemoz: Wie fühlt es sich denn für Dich, Christian, an, vom Vater den Gemeinderatssitz zu erben? Hast Du das Gefühl, als Sohn gewählt zu werden?
Christian Kossmehl: Noch bin ich nicht gewählt, aber ich rechne mir Chancen aus, tatsächlich in den Rat zu kommen. Vielleicht trägt auch mein Name etwas dazu bei, aber ich bin schon seit vielen Jahren politisch aktiv, darum ist es ein gutes Gefühl, auf meinen Vater zu folgen. Auch mein Thema wird sicher der Bau sein, weil ich mich auf diesem Gebiet ja auskenne und auch weiß, dass ein Bauträger zum Beispiel sagt, hier hätte es auch ruhig ein Stockwerk mehr sein dürfen. Natürlich zählen auch die Stadtentwicklung oder das Bodenseeforum mit zu meinen Themen, denn das ist ja ein Investment, das zur Firma Stadt Konstanz dazugehört.
Das Gespräch führte O. Pugliese (Fotos: Privatbesitz, O. Pugliese)
Den zweiten Teil dieses Gesprächs finden Sie hier.
Was zeigt uns dieses „anrührende“ Interview?
Dass die Parteimitgliedschaft in der Kommunalpolitik eine untergeordnete Rolle spielt. Es kommt auf eigenständige Charaktere an und auf einen gesunden Menschenverstand.
Das hat mich an den Gemeinderatssitzungen, die ich manchmal besuchte, wenn ich meine Ferien in Konstanz verbrachte, sehr fasziniert. Ich war ja „Stadtverordnete“ für die Grünen in Darmstadt. Da ging es zu wie im Bundestag. Die Parteien waren sich grundsätzlich feindselig gestimmt und Abstimmungen fanden in der Regel im Parteienblock statt. Sehr langweilig und oft auch ineffektiv. Hier sortiert man sich grundsätzlich nach einer Partei oder Wählervereinigung und dann fängt es aber an spannend zu werden und man kann seine eigenen Ressourcen für die Stadt gut einsetzen.
Herrlich, anrührend und informativ. Gerne gelesen, vielen Dank!