Meine besten Fächer waren Altgriechisch und Latein
Was treibt eigentlich Menschen an, die sich seit Jahren lokalpolitisch engagieren? Der Wunsch, ihre Stadt mitzugestalten, Ehrgeiz, einfach Freude an der Politik als (ziemlich anstrengendes) Hobby? seemoz hat sich mit der Gemeinde- und Kreisrätin Anke Schwede über ihren ganz persönlichen Zugang zur Politik unterhalten und sie nach ihren Zielen und Erfahrungen gefragt. Natürlich kommen dabei auch einige lokalpolitische Kontroversen der letzten Jahre zur Sprache. Hier der erste Teil des Gesprächs.
seemoz: Die wichtigste Frage, die ein Zugereister wie ich stellen kann, ist: Bist Du eine waschechte Konstanzerin?
Anke Schwede: Zumindest bin ich in Konstanz geboren. Mein Vater ist eigentlich Hamburger, kam aber mit Anfang Zwanzig nach Konstanz und hat bei Telefunken, der späteren AEG, bis zur Rente gearbeitet. Meine Mutter hingegen ist 1959 aus der Gegend von Chemnitz nach Konstanz gekommen. Sie haben Anfang der Sechziger Jahre geheiratet und ihre erste Wohnung im Paradies bezogen. Mein Bruder und ich sind also die erste Generation „waschechter Konstanzer“ in unserer Familie.
seemoz: Wie kamst du zur Politik?
Anke Schwede: Ich war in jüngeren Jahren oft im Juze, später dann in der „Kasbah“ und im „Café Chaos“ unterwegs, wo es auch um Politik ging – vor allem um Freiräume für junge KonstanzerInnen. Außerdem war ich am Suso auch mal Klassensprecherin, und als ich 16 oder 17 Jahre alt war, entstand eine Initiative, die Büdingen als Park erhalten wollte. Damals sollte das Gelände von der Gagfah bebaut werden, die heute zum Wohnungsunternehmen Vonovia gehört, alles kommt mal wieder. Ich entsinne mich noch dunkel, dass wir auf dem Büdingen-Gelände Baumhäuser gebaut haben.
Ich war auch im Oktober 1983 bei der 100 km langen Menschenkette zwischen Neu-Ulm und Stuttgart gegen die atomare Aufrüstung dabei. Als wir in der Nähe von Neu Ulm standen, kamen Hubschrauber sehr tief auf uns zugeflogen, deren Rotoren einen Heidenkrach machten – das Gefühl der unmittelbaren Bedrohung habe ich bis heute nicht vergessen. Das waren sozusagen die ersten Meilensteine meiner Politisierung.
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seemoz: Bist Du dann dabeigeblieben?
Anke Schwede: Nach dem Abi habe ich in Bamberg drei Jahre lang Psychologie studiert. Ich bin aber mit dem Frankenland nie recht warm geworden und hatte in Konstanz immer noch meinen intakten Bekanntenkreis. Also bin ich nach Konstanz zurückgekommen und habe hier auf Sprachwissenschaft und Geschichte umgesattelt. Mein Schwerpunkt waren osteuropäische Sprachen, Russisch und Polnisch.
seemoz: Aus purer Neugierde, oder um Lenin im Original lesen zu können?
Anke Schwede: Eher aus Neugier. Meine besten Fächer in der Schule waren Altgriechisch und Latein. Sprachen haben mich schon immer sehr interessiert, und da ich neben den alten Sprachen schon romanische Sprachen und Englisch ganz gut konnte, wollte ich noch etwas Neues lernen. Mich hat Russisch allein schon wegen des Schriftbildes interessiert. Ich kannte ja fremde Alphabete vom Altgriechischen her und sprach auch ganz gut Neugriechisch, weil ich nach dem Abitur knapp vier Monate in Griechenland war.
seemoz: Wie ging es dann beruflich bei Dir los?
Anke Schwede: Nach dem Magister arbeitete ich in einer Medienfirma, die Videos für den Bildungsbereich herstellte und für andere kleine Firmen. Irgendwann habe ich mich dann als Lektorin und Redakteurin selbständig gemacht.
seemoz: Wie ging es bei Dir politisch weiter? In einer politischen Hochschulgruppe?
Anke Schwede: In Bamberg war ich politisch nicht aktiv, sondern mit meinem Psychologiestudium beschäftigt. In den neunziger Jahren habe ich dann hier in Konstanz im Uni-AStA und im Frauenreferat mitgearbeitet. Das war alles nicht hierarchisch strukturiert, wir haben unter anderem Veranstaltungen gemacht. Parteistrukturen lagen mir damals nicht so. In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren war ich noch vor allem durch meine feministische Arbeit, auch im „Belladonna“, geprägt.
Ich bin erst recht spät Mitglied bei der Linken geworden, als klar war, dass sich die ganze Sache stabilisierte und eine dauerhafte Perspektive haben würde. Als ich sah, dass hier eine neue Oppositionskraft entstand, dachte ich, ich bekenne Farbe und tue diesen Schritt.
seemoz: Wie bist Du dann zur allgemeinen und Parteipolitik gekommen? Gab es einen speziellen Anlass?
Anke Schwede: Ja, es gab einen speziellen Anlass, das war der Jugoslawien-Krieg. Ich dachte, das kann man jetzt nicht mehr nur von außen betrachten, sondern da muss man sich einmischen. Ich war 1988 in Jugoslawien gewesen und war sehr beeindruckt von den Menschen dort und dem funktionierenden Vielvölkerstaat. Mein Eindruck war damals gewesen, dass man untereinander heiratete und sich gut verstanden hat.
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Ich habe allerdings in Kroatien auch schon erste nationalistische Tendenzen registriert. Es hieß: „Die da im Süden, die kosten uns nur Geld“. Dann begann der Zerfall Jugoslawiens. Mich hatte der Vielvölkerstaat sehr beeindruckt, und auch, dass es keine Unterdrückung und Benachteiligung von Roma und Sinti gab, die dort in der Regel ganz normal Karriere machen konnten. Für sie war auch die Bildung gut organisiert, sie wurden nicht unterdrückt und nicht wie später in irgendwelche Slums eingepfercht. In Konstanz bildete sich Ende der Neunziger Jahre dann ein Bündnis gegen den NATO-Krieg, wir haben Infostände und Demonstrationen organisiert. So ging es für mich mit der Politik richtig los.
seemoz: Wie war Dein Bezug zu Konstanz?
Anke Schwede: Ich habe auch schon früh mit der Kommunalpolitik angefangen, nicht nur weil ich Konstanzerin bin, sondern weil man da direkte Ergebnisse seiner politischen Arbeit sieht – ich bin einfach ein pragmatischer Mensch. Als lokalpolitische Gruppe hießen wir Anfang der neunziger Jahre PDS/Linke Liste. Damals hat mich Michael Venedey[1] sehr beeindruckt, der dann ja auch ein Mandat im Konstanzer Gemeinderat errungen hat, das war, glaube ich, 1999.
Ich habe in dieser Zeit die Erfahrung gemacht, dass in Konstanz tatsächlich etwas geschieht, wenn man sich dahinterklemmt und politischen Druck ausübt. 2002 ist Monika Schickel für Michael nachgerückt, als er kränklich wurde. 2004 wurde er nochmal wiedergewählt und dann von Vera Hemm abgelöst. Wir wurden dann zwei, als Holger Reile neben Vera Hemm in den Rat gewählt wurde, und jetzt hoffen wir natürlich, bei der nächsten Wahl mehr Sitze zu erringen.
seemoz: Wie funktioniert die Gemeinderatsarbeit für Dich?
Anke Schwede: Bei den vielen Themen, die es zu bearbeiten gilt, muss man sich die Arbeit teilen. Außenstehende wissen oft nicht, dass es für eine einzige Sitzung manchmal bis zu 1000 Seiten Unterlagen gibt, die man vorher zumindest einmal überflogen haben muss. Natürlich entwickelt mit den Jahren jeder von uns seine Interessengebiete, auf denen er über ein vertieftes Wissen verfügt.
seemoz: Was sind denn seit 2014, als Du in den Gemeinderat gewählt wurdest, Eure größten Aktivitäten und Erfolge gewesen?
Anke Schwede: Der Sozialpass, dafür haben sich Michael Venedey und Vera Hemm schon eingesetzt, als noch niemand an so etwas dachte. Es war mir immer wichtig, dass man hier in Konstanz ein menschenwürdiges Leben führen kann, auch wenn man, einmal platt gesagt, aus dem Berchengebiet kommt. Das war ja damals ein richtiges Brennpunktgebiet, und heute steht es zum Glück deutlich besser da. Den Sozialpass konnten wir dann zusammen mit anderen im Gemeinderat durchsetzen. Seitdem arbeiten wir daran, den Leistungsumfang auszuweiten.
Leider konnten wir nicht durchsetzen, dass es die Leistungen des Sozialpasses flächendeckend zum Nulltarif gibt. Wir wollen aber weiter daran arbeiten, dass zentrale Leistungen wie der öffentliche Nahverkehr oder der Theaterbesuch für SozialpassinhaberInnen kostenlos werden. Die Mobilität ist ganz zentral für Menschen mit wenig Geld, und es wäre für mich der schönste Erfolg, wenn der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr wenigstens für Sozialpassinhaber endlich durchgesetzt werden könnte.
seemoz: Was sind denn andere Entscheidungen, an denen Du in den letzten Jahren mitgewirkt hast?
Anke Schwede: Die Zweckentfremdungssatzung, die nur mit knapper Mehrheit beschlossen wurde, und natürlich auch der „Sichere Hafen Konstanz“, der neulich zum Schutz von Flüchtlingen beschlossen wurde. Leider ist die Resolution „Keine Abschiebung nach Afghanistan“ 2017 gescheitert, was mich noch heute bedrückt. Die Abstimmung darüber hat der Oberbürgermeister damals nicht zugelassen, weil es sich hier um Bundesrecht handele. Mich hat aber die Solidarität der Ratskollegen und -kolleginnen sehr gefreut, die diese Resolution trotzdem mit einer deutlichen Mehrheit unterschrieben haben – und das quer durch fast alle Fraktionen. Solche Erfahrungen sind wichtig und motivieren mich. Im Oktober 2017 bin ich außerdem noch in den Kreistag nachgerückt. Dort konnten wir eine Resolution gegen die Abschiebung von Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit einstimmig durchbringen.
seemoz: Man hört kaum etwas vom Kreistag, der geht in der öffentlichen Debatte weitgehend unter. Wozu braucht man den überhaupt?
Anke Schwede: Es sind wichtige Aufgaben, für die der Kreis verantwortlich ist. Dazu zählen der öffentliche Nahverkehr im Landkreis mit dem Seehaas und den Bussen, die Berufsschulen, das Abfallwesen und natürlich die Erstunterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften oder Notunterkünften. Mir ist nicht ganz klar, woran es liegt, dass die Menschen sich für den Kreistag so wenig interessieren, vielleicht ist der Landkreis einfach ein zu abstraktes Gebilde.
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Gerade der Gesundheitsverbund im Kreis mit den Krankenhäusern auch in Konstanz ist aber für jeden einzelnen Menschen extrem wichtig. Mich freut es übrigens sehr, dass das Gesundheitswesen im Kreis weiterhin in öffentlicher Hand liegt. Zuletzt waren ja die Zahlen nicht die besten, und der Kreistag befürwortete Ende letzten Jahres eine „Bürgschaft“ über 5 Millionen Euro für den Gesundheitsverbund. Wobei bei der Gesundheitsvorsorge natürlich nicht Gewinn und Verlust im Vordergrund stehen dürfen, sondern die Gesundheit und das Wohlergehen der PatientInnen. Auch der neue Landrat Zeno Danner hat sich bei seiner Vorstellung auf unsere Nachfrage klar gegen eine Privatisierung des Gesundheitsverbundes ausgesprochen. Es gibt aktuell einen breiten Konsens im Kreistag, dass der Gesundheitsverbund in öffentlicher Hand bleiben muss.
[1] Zu Michael Venedey und seiner Familie: https://www.zeit.de/1998/10/Freiheit_Gleichheit_-_Venedey
Das Gespräch führte O. Pugliese, Foto: Daniel Schröder
Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα … das gibt Punktabzug, liebe Frau Schwede: die alten Sprachen habe ich gehasst, nie verstanden, warum man diese stets mit Kriegsberichtserstattungen begann („de bello Gallico“ und Xenophons „Anabasis“) – mit dem Ziel, ein Ticket fürs gehobene Bildungsbürgertum zu erhalten. Hätte ich damals schon Französisch gelernt und nicht erst später, während des Studiums, könnte ich’s heute akzentfreier sprechen, denn das ist etwas was man, je früher, desto besser lernt und später kaum noch nachholen kann. Dabei finde ich es ja nicht unwichtig, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, denke aber, das ist eher eine Frage des Verstehens, als ein Vokabel- und Grammatikpauken.