Meinungsmonopol statt Medienvielfalt

Die vor zehn Jahren begonnene Pressekonzentration in der Schweizer Nachbarschaft setzt sich fort. Nachdem die „Thurgauer Zeitung“ vor wenigen Tagen an das  zur NZZ-Gruppe gehörende St. Galler Tagblatt verkauft wurde, gibt es ab 2011 im Kanton Thurgau nur noch eine Zeitung, und die kommt aus dem Nachbarkanton.

Die Nachricht verhieß nichts Gutes: Ursula Fraefel, seit 2007 Chefredakteurin der „Thurgauer Zeitung“ (TZ), wechselte zum 1. April zum Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Nach einem neuen Chefredakteur allerdings wurde in Frauenfeld gar nicht erst gesucht. Die Aufgabe übernahm Verleger Peter Hartmeier einfach mit. Jetzt, gerade mal vier Wochen nach der ersten Nachricht, kam die zweite und damit war auch die Katze aus dem Sack: die Zürcher Tamedia-Gruppe, seit 2005 Eigentümerin der „Thurgauer Zeitung“, verkauft das Blatt an die FPH Freie Presse Holding, eine Tochter der Zürcher NZZ-Gruppe, zu der auch der Zeitungsverbund St. Galler Tagblatt gehört. Das bedeutet, dass die Thurgauer Zeitung ab 2011 als Kopfblatt des Tagblatts weitergeführt wird, mit Hauptsitz und Zentrale im Thurgauer Nachbarkanton. Da dann das „Tagblatt für den Kanton Thurgau“ des St. Galler Verlages eingestellt wird, bleibt für den Thurgau nur noch eine Tageszeitung.

Abschied von der Pressevielfalt

Es gab eine Zeit, und die liegt noch gar nicht so weit zurück, da war die Schweizer Pressevielfalt geradezu sprichwörtlich. Doch längst hat auch im Nachbarland der Drang, auch der Zwang zur Konzentration und Fusion von Verlagen und ihren Produkten um sich gegriffen, verschwinden immer mehr kleine Blätter oder werden unter einem größeren Dach zusammen gefasst.  Die Gründe sind vielfältig, liegen, wie überall, unter anderem im Rückgang des Anzeigenaufkommens und Schwinden der Abonnenten, liegen teilweise aber auch, wie zum Beispiel in jüngster Zeit im Fall der „Thurgauer Zeitung“, im Wunsch der Verleger-Nachkommen, ihr Erbe möglichst lukrativ los zu werden.

Der Weg von der Medienvielfalt zum Meinungsmonopol lässt sich daher durchaus beispielhaft am kleinen und kleinräumigen Thurgau nachvollziehen. In diesem heute knapp 250 000 Einwohner zählenden Schweizer Kanton gab es bis vor rund zehn Jahren neben der altehrwürdigen, Anfang des 19. Jahrhunderts  von Jaques Huber gegründeten „Thurgauer Zeitung“ mit Sitz in Frauenfeld noch die vier Lokalzeitungen in Kreuzlingen, Weinfelden, Frauenfeld und Bischofszell des Verlegers Paul Ruckstuhl, sowie die zum St. Galler Tagblatt gehörende „Schweizerische Bodensee-Zeitung“ mit Sitz in Arbon/Oberthurgau.  Im Jahr 2000 wurden „Thurgauer Volksfreund“, „Thurgauer Tagblatt“, „Thurgauer Volkszeitung“ und „Bischofszeller Nachrichten“ zusammen mit der „Thurgauer Zeitung“ in die neugegründete „Thurgauer Medien AG“ eingebracht. Daraus entstand 2001 die „Neue Thurgauer Zeitung“, die vier Lokalblätter waren verschwunden. Konkurrenz und eine zweite Stimme im Kanton lieferte die „Schweizerische Bodensee-Zeitung“ des St. Galler Tagblatts, die nun als „Tagblatt für den Kanton Thurgau“ ihre Reichweite über den Oberthurgau hinaus ausdehnte.

Interessenten-Poker

Der nächste Schritt folgte 2005. Die Eigentümer der Frauenfelder Huber-Gruppe, zu der neben der „Thurgauer Zeitung“ unter anderem auch Druckerei, Buchverlag und Buchhandlung gehörten, wollten verkaufen. Interessenten waren die Zürcher Medienkonzerne Tamedia und die NZZ-Gruppe, die mit Übernahme der TZ schon seit langem ihren Tagblatt-Zeitungsverbund in St. Gallen erweitern und den Thurgau in ihr Verbreitungsgebiet mit einbeziehen wollte. Den langen Verhandlungspoker konnte schließlich Tamedia für sich entscheiden.  Die TZ wurde in den Zeitungsverbund Nordostschweiz eingebunden, der sog. „Mantel“, also der allgemeine Teil, kam von nun an von der Winterthurer Zeitung  „Der Landbote“, in Frauenfeld blieben Regional- und Lokalredaktionen.

Kleine Zeitungen als Spielball

Nach weiteren fünf Jahren jetzt der nächste und vielleicht vorerst letzte Schritt auf dem Weg zum Meinungsmonopol und für das St. Galler Tagblatt zum lange ersehnten Ziel. Die Zürcher Medien-Großkonzerne spielen Ping-Pong mit ihren kleinen Zeitungen, um ihr jeweiliges Areal zu arrondieren: Tamedia übergibt die „Thurgauer Zeitung“ an die NZZ-Gruppe und erhält dafür im Gegenzug verschiedene Zürcher Landzeitungen. Dies bedeutet, die TZ mit einer Auflage von heute rund 34 000 Exemplaren täglich wird nach einer Übergangsfrist bis 2011 in den Tagblatt Verbund integriert, zu dem u.a. die „Appenzeller Zeitung“, das „Toggenburger Tagblatt“ und „Der Rheintaler“ gehören. Damit befinden sich Sitz, Zentrale, Chefredaktion der dann einzigen Tageszeitung im Thurgau künftig in St. Gallen, von dort wird auch der allgemeine Teil der Zeitung kommen.  Frauenfeld soll aber ein wichtiger Redaktions-Standort bleiben, heißt es.

Allerdings sind viele Details über diese Neuausrichtung der Ostschweizer Zeitungslandschaft noch völlig offen. Klar ist aber zumindest jetzt schon, dass dieses gewinnorientierte Strategie-Spiel der Konzerne vor Ort einen Verlust an Arbeitsplätzen mit sich bringen wird, von einem Sozialplan  ist bereits die Rede. Klar ist aber auch, dass zumindest ein Teil der bisherigen TZ-Leser  mit der neuen Zeitung Probleme haben wird, da sich der Kanton Thurgau schon immer eher in Richtung Großraum Zürich orientierte denn Richtung St. Gallen. Manche hingegen sehen diesen neuen Zeitungsverbund als einen Schritt hin zu einem Kanton Ostschweiz, von dem in jüngerer Zeit immer häufiger die Rede ist. Einig sind sich jedoch alle darin, dass wieder ein Stück Meinungsvielfalt auf der Strecke bleibt.

Omen für die Heimatzeitung?

Beobachtet man die Entwicklung in der Schweizer Nachbarschaft, drängen sich Parallelen auf zu unserer so sehr geschätzten Heimatzeitung. Auch dort suchte jüngst der Chefredakteur ziemlich unvermittelt das Weite und fand – wie seine Schweizer Kollegin – anderswo einen lukrativeren Job. Und es ist ernsthaft zu vermuten, dass auch Thomas Satinsky floh vor bevorstehenden massiven Eingriffen in die Struktur dieser Zeitung mit dem möglichen Endergebnis, dass eines Tages nur noch die Lokalredaktionen vor Ort übrig bleiben könnten. Zwar wird, im Gegensatz zur TZ, offiziell seit Monaten ein Nachfolger für den Chefsessel in der Konstanzer Max-Stromeyer-Straße gesucht, doch es scheint fraglich, wie ernst es dem Medienhaus mit dieser Suche wirklich ist. Der Fall „Thurgauer Zeitung“ also ein Omen für die hiesige Regionalzeitung?

AutorIn: Regine Klett