Millionen für die Neonazis

Teil zwei des Berichts von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag,  über die Gefahren durch Neonazis und die Rolle der deutschen Geheimdienste. Deutlich wird, dass über Jahrzehnte der Verfassungsschutz durch V-Leute die Naziszene nicht überwachte, sondern finanzierte. Ulla Jelpke nennt zahlreiche, erschreckende Beispiele

Wohl einer der langjährigsten V-Leute innerhalb der Naziszene war Wolfgang Frenz, der bereits im Winter 1959/60 als Mitglied der faschistischen Deutschen Reichspartei erstmals Spitzelhonorare des NRW-Verfassungsschutzes kassierte. Frenz war NPD-Mitglied der ersten Stunde. Der nordrhein-westfälische Landesvorstand der NPD war laut Frenz über dessen VS-Tätigkeit informiert und hatte eingewilligt, um so an Gelder zu kommen. »Wenn Sie so wollen, hat der Verfassungsschutz die Grundfinanzierung der NPD in NRW geleistet«, erklärte Frenz gegenüber dem ‚Stern‘ (Bekenntnisse eines V-Mannes, 22.11.2011). Sein Agentenlohn stieg von 400 Mark während seiner Tätigkeit in der Reichspartei auf 800 nach NPD-Gründung und bald darauf auf 1000 Mark monatlich an. Im Bundestagswahlkampf 1967 habe er der Partei 10 000 Mark aus Spitzelhonoraren überwiesen.

Wer hat eigentlich wen geführt?

Frenz ist überzeugt, einen Großteil seiner zehn Führungsoffiziere zu »überzeugten Nationaldemokraten« gemacht zu haben. »Ich hatte den Eindruck, dass ich mehr die geführt habe als die mich«, bekannte er im Dezember 2011 gegenüber der ‚Westdeutschen Allgemeinen Zeitung‘. Der V-Mann, der einige der übelsten im NPD-Verbotsverfahren angeführten, antisemitischen und rassistischen Hetzartikel verfasst hatte, wurde 1995 vom Geheimdienst wegen »fehlender Nachrichtenehrlichkeit« abgeschaltet.

Der Agent des nordrhein-westfälischen VS Helmut Krahberg war Anfang der 70er Jahre am Aufbau der »Europäischen Befreiungsfront« beteiligt, die offenbar Anschläge anlässlich eines Treffens von Bundeskanzler Willy Brandt und DDR-Ministerpräsident Willi Stoph in Kassel geplant hatte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. Juli 1972 hieß es über Krahberg: »Ganz offenkundig gehörte er von Anfang an zum Spitzentrio, sei es als Agent provocateur oder als zum Mitspielen aufgeforderter Verfassungshüter.« »Was dürfen die eigentlich?«, fragte der ‚Spiegel‘, nachdem bekannt wurde, dass der V-Mann des niedersächsischen VS Hans-Dieter Lepzien, der der Untergrundkaderstruktur NSDAP/AO angehörte, 1976/77 als Waffen- und Bombenbeschaffer der neofaschistischen »Gruppe Otte« fungiert hatte (Spiegel, 24.9.1984).

Ein weiterer V-Mann des niedersächsischen VS bis zum Jahr 1980 war Werner Gottwald, der als Gründungsmitglied der NSDAP/AO diese auch mit Waffen versorgte. Ebenfalls als V-Mann des niedersächsischen VS war Joachim Apel tätig, der Anfang der 80er Jahre einer »Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten« Waffen beschaffte und an Brandanschlägen beteiligt war. Als V-Mann des NRW-VS erhielt Norbert Schnelle Mitte der 80er Jahre 14400 Mark, die er in den Aufbau der »Nationalistischen Front« steckte. Der 1992 als V-Mann des niedersächsischen VS angeworbene Sicherheitschef der kurz darauf verbotenen »Nationalistischen Front«, Michael Wobbe, rühmte sich später, dass ohne ihn »so mache Kameradschaft gar nicht erst entstanden« wäre.

Der Aktivist der später verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP), Andreas Szypa, ließ sich mit Zustimmung von zwei FAP-Funktionären, denen er die Abführung der Hälfte seines Agentenlohns an die Partei garantierte, 1988 als Spitzel des NRW-VS anwerben. Ein weiterer V-Mann des NRW-Dienstes, Bernd Schmitt, leitete eine Kampfsportschule. Darin verkehrten auch jene Neonazis, die 1993 in Solingen einen Brandanschlag auf ein von Migranten bewohntes Haus verübten, bei dem fünf Menschen starben. Anfang der 90er Jahre galt Bela Ewald Althans als einer der bekanntesten Neonazis in Deutschland. Nachdem er aufgrund einer in dem Film »Beruf Neonazi« getätigten Holocaust-Leugnung 1995 zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, erklärte er seinen Ausstieg aus der Naziszene und wurde vom ‚Spiegel‘ als V-Mann des bayerischen VS entlarvt, was die Behörde allerdings abstritt.

Ein Rekordagentengehalt von 200000 DM erhielt der im Jahr 2001 enttarnte V-Mann des thüringischen VS Tino Brandt für seine mehrjährige Agententätigkeit unter dem damaligen VS-Chef Helmut Roewer. Brandt, der Ende der 90er Jahre zum stellvertretenden thüringischen NPD-Landesvorsitzenden aufstieg, steckte dieses Geld nach eigenen Angaben vor allem in den Aufbau des von ihm gegründeten und geführten »Thüringer Heimatschutzes«. Diesem Nazi-Kameradschaftsnetzwerk gehörten über 100 Neonazis an, von denen offenbar mindestens jeder zehnte zugleich für verschiedene Geheimdienstbehörden gearbeitet hatte. Die späteren NSU-Mitglieder waren ebenfalls vor ihrem Abtauchen im »Thüringer Heimatschutz« aktiv. Vom Verfassungsschutz erhielt Brandt nach dem Abtauchen des Trios 2000 DM zur Weitergabe an die gesuchten Neonazis, damit sich diese falsche Ausweispapiere kaufen konnten. Als die Polizei das Haus des V-Manns observierte, warnte ihn sein V-Mann-Führer und beschrieb ihm die Fahrzeuge der Überwacher.

1,5 Millionen als Spitzellohn

Der 1997 angeworbene Agent des mecklenburg-vorpommerschen VS Michael Grube aus Grevesmühlen erhielt monatlich 500 bis 700 Mark Spitzellohn. Bei seiner Selbstenttarnung im Jahr 1999 erklärte Grube, er habe sich auf Weisung seiner V-Mann-Führer zum NPD-Kreisvorsitzenden in Wismar wählen lassen. Unter seiner Führung wuchs der Kreisverband von zwölf auf 50 Mitglieder an. Vor Gericht gab Grube an, nach seinem Übertritt in die andere Rechtspartei einen Brandanschlag auf eine von einem Migranten geführte Pizzeria aus Angst vor seiner Entlarvung als Spitzel verübt zu haben.

Ebenfalls für den mecklenburgischen VS tätig war laut ‚Berliner Zeitung‘ vom 11. Juli 2000 von 1998 bis zum Jahr 2000 Matthias Meier, der stellvertretender Landesvorsitzender der NPD und Gründer einer Wehrsportgruppe namens »Kampfbund Nord« wurde. Der Thüringer Verfassungsschutz führte unter seinem Chef Helmut Roewer jahrelang den damals bundesweit bekannten Neonazi Thomas Dienel als V-Mann. In den Jahren 1996/97 erhielt Dienel für seine bei rund 80 Kontakten überbrachten Informationen rund 25000 DM. Diesen Agentenlohn habe er als Spende für die Herstellung rechtsextremer Propagandamaterialien genutzt, gab Dienel an. Von seinen Agentenführern erhielt er nach eigenen Angaben auch Tipps zu Polizeieinsätzen und Ermittlungsverfahren.

An V-Leute flossen allein in Thüringen zwischen 1994 und 2000 über 1,5 Millionen Mark an Spitzelgehältern. 2007 wurde Sebastian Seemann, der Rechtsrock-Konzerte für das verbotene Blood & Honour-Netzwerk organisierte, als V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes entlarvt. Seemann handelte zudem mit harten Drogen und war in einen Raubüberfall auf einen Supermarkt verwickelt, bei dem ein Kunde schwer verletzt wurde. Bei Seemann fand die Polizei ein Waffendepot. »Seit einigen Jahren hat Sebastian Seemann jedem, den er kannte, scharfe Waffen und Sprengstoff angeboten und diese auch mit- und vorgeführt«, bestätigten Seemanns Nazikameraden. Der Verfassungsschutz deckte die kriminellen Aktivitäten seines V-Mannes und warnte ihn vor polizeilichen Ermittlungen wegen Drogenhandels. Als dies bekannt wurde, untersagte der damalige NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) Ermittlungen gegen Seemanns V-Mann-Führer.

Reaktionäre Hilfstruppen

Verfassungsschutzpräsidenten und Unionsinnenpolitiker rechtfertigen den V-Mann-Einsatz innerhalb der Neonaziszene immer wieder mit dem Argument, andernfalls keine Informationen aus dem Inneren dieser Kreise bekommen zu können. Dem steht entgegen, dass kaum eine neofaschistische Straftat durch die V-Leute verhindert werden konnte und oftmals jede Antifagruppe besseres Wissen über örtliche Nazistrukturen hat als die Sicherheitsbehörden. Dagegen haben die Geheimdienste über ihre V-Leute neofaschistische Strukturen zum Teil erst initiiert, sie haben sie finanziell und personell erheblich gestärkt, Verbote und effektive Strafverfolgung verhindert, Neonazis erst zu Straftaten animiert oder diese gar selber begangen. Unter dem Strich bleibt so eine Stärkung der faschistischen Rechten in der Bundesrepublik durch das Wirken der Geheimdienste.

Dass der Verfassungsschutz pro forma auch die Neonazis – wohlweislich aber nicht solche Bindeglieder zwischen offenen Nazis und der bürgerlichen Rechten wie die völkisch ausgerichtete Deutsche Burschenschaft und die revanchistischen Vertriebenenverbände – in seinen Verfassungsschutzberichten benennt und die Sicherheitsbehörden zur Beruhigung der Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit auch repressiv gegen Faschisten vorgehen, ist kein Widerspruch. Dies hat schon Franz-Josef Strauß am 16. September 1970 im Bad Reichenhaller Vertrautenkreis geäußert. »Man muß sich der nationalen Kräfte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionär sind. Hinterher ist es immer möglich, sie elegant abzuservieren. Denn mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein« (‚Spiegel‘ 12/1970).

Faschisten dienen den bürgerlichen Parteien als Pressure Group bei der Durchsetzung einer autoritäreren Politik. Exemplarisch lässt sich dies an der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1992 aufzeigen. Vorangegangen war eine von der Springer-Presse und den Unionsparteien getragene Kampagne gegen angeblichen Asylmißbrauch und eine »Asylantenflut«. Neonazis konnten sich mit einer solchen Rückendeckung bei ihren Anschlägen auf Asylheime und Migranten als Vollstrecker des »gesunden Volksempfindens« in Szene setzen. Unter Verweis auf den Naziterror konnten dann wiederum Unionspolitiker für die Abschaffung des Asylrechts eintreten. Unter dem so entfachten »Druck der Straße« knickte schließlich die SPD vor dem Hintergrund des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen ein und stimmte schließlich dem sogenannten Asylkompromiß zu.

Faschisten als Straßenkampfreserve

Bekanntlich scheute sich einst selbst die SPD mit ihrem Kriegsminister Gustav Noske zu Beginn der Weimarer Republik nicht, im Kampf gegen die radikale Linke auf die Hilfe faschistoider Freikorps zurückzugreifen. Tausende Arbeiter und ihre politischen Führer – Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – fielen diesen Freikorps zum Opfer. Angesichts der momentanen Schwäche der radikalen Linken steht ein solcher Einsatz von Neonazis in der Bundesrepublik nicht auf der Tagesordnung. Doch für Krisen- und Notzeiten ist eine derartige Option, Faschisten als Straßenkampfreserve einzusetzen, niemals auszuschließen.

Rechtsextreme Parteien sind zudem für die Herrschenden ein willkommenes Mittel, um den Einfluss der Linken zu schmälern. Parteien wie die NPD fangen mit ihrem völkischen Schein-Antikapitalismus die Stimmen von Unzufriedenen und Opfern der Wirtschaftskrise auf. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamhaß sollen von den wirklichen Krisenursachen und damit vom Klassenkampf ablenken. Gleichzeitig binden Faschisten durch ihre Provokationen viele Kräfte auf der Linken – etwa bei der Organisierung von Blockaden gegen bundesweite Naziaufmärsche. Dadurch fehlt das Engagement dieser Linken an anderer Stelle, der Kampf gegen den Kapitalismus wird durch natürlich notwendige antifaschistische Aktivitäten verdrängt.

Noch beweist das deutsche Parteiensystem – anders als in anderen europäischen Staaten – eine große Stabilität. Doch Umfragen und einzelne Landtagswahlergebnisse zeigen immer wieder, dass grundsätzlich ein Potential für eine Partei rechts von CDU/CSU existiert. Die Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten belegen, dass die bürgerlichen Parteien keine Scheu haben, auf rechtsextreme Parteien als parlamentarische Mehrheitsbeschaffer zurückzugreifen. Es gibt für die Herrschenden also eine ganze Reihe von Gründen, nicht dauerhaft und entschieden gegen die Faschisten vorzugehen, sondern zumindest kleine faschistische Kerne am Leben zu halten und zu protegieren.

Wer es also mit dem Antifaschismus ernst meint, kann nicht vor derjenigen Behörde haltmachen, die immer wieder eine effektive Verfolgung der Faschisten blockiert und sich oft genug als deren Förderin erwiesen hat. Die von großen Teilen der Linkspartei erhobene Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes als Geheimdienst und seiner Umwandlung in eine offen arbeitende wissenschaftliche Informations- und Dokumentationsstelle hat damit eine explizit antifaschistische Stoßrichtung.

Autorin: Ulla Jelpke