Bohlinger Schlammteiche: Nicht mehr als ein Scheinerfolg

Im Aachtal zwischen Singen und Radolfzell gärt es immer noch. Seit fast 50 Jahren. Die Bohlinger Schlammteiche beunruhigen die Bürger weiterhin. Teils hochgiftige Altlasten aus Industrieabfällen wurden inmitten eines Naturschutzgebietes entsorgt, der Giftcocktail schlummert weiter unter dem Erdreich im beschaulichen Aachried. Und viele Bürger glauben den Beteuerungen der Politiker nicht, dass nun alles in Ordnung sei.

Die Behörden haben vor wenigen Tagen Entwarnung gegeben und von der erfolgreichen Sanierung der Bohlinger Schlammteiche berichtet. Das Land Baden-Württemberg stellte hierzu Mittel von fast 10 Millionen Euro zur Verfügung. Der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle zeigte sich erleichtert und erklärte den 50-jährigen Umweltskandal für beendet. Dabei wurde nur einer von drei Teichen saniert. Und von den Spätfolgen der Giftdeponie für Menschen und Natur redet niemand.

Für die Einwohner aus den umliegenden Gemeinden Moos, Überlingen am Ried und Bohlingen ist die Sache hingegen noch nicht beendet. Im Gegenteil: Für sie bestehen erhebliche Zweifel, ob hier in der Vergangenheit alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Der Zorn richtet sich vor allem gegen das Landratsamt, dem „Schönfärberei“ und eine mangelhafte Informationspolitik vorgeworfen wird. Und Zweifel sind erlaubt, ob nicht Spätschäden – in der Natur und bei Anwohnern – entstanden sind, für die sich niemand verantwortlich fühlt.

Die Bohlinger Schlammteiche – heute im Besitz der Stadt Radolfzell – sind eine ehemalige kommunale Deponie für Schlämme verschiedenster Art. Auf dem rund zwei Hektar großen Areal wurden dort zwischen 1959 und 1975 geschätzte 60000 Kubikmeter Klärschlamm, Ölschlämme und Emulsionen, Schlämme aus Benzin- und Ölabscheider, Galvanische Stoffe, Fäkalschlämme sowie organische Abfallstoffe entsorgt, vornehmlich aus Singener und Radolfzeller Großbetrieben. Wohlweislich offiziell, denn das Landratsamt Konstanz hatte die Verfüllung der Altlasten auf diesen Wiesen genehmigt. Nach Angabe dieser Behörde war die Ablagerung der toxischen Abfälle geltendem Recht entsprechend zulässig.

Stell dich nicht so an“

Das sahen schon damals besorgte Bürger aus den umliegenden Gemeinden anders, doch ihre Proteste wurden von den Behörden abgewiesen. Der Bürger hatte dies zu akzeptieren, mit schroffen Antworten von den Rathäusern, z.B. „Stell dich nicht so an, man könnt meinen, du bist ein Städter“, wurden Einwohner mundtot gemacht.

Eine Sanierung des verseuchten Oberflächenwassers auf den Schlammteichen mittels einer Drainage scheiterte zuletzt 2007 daran, dass der Giftcocktail im Boden so aggressiv war, dass die Abpumpanlagen schnell verrosteten. Auch seien Giftstoffe ins Grundwasser und in Bäche und von da aus in den Bodensee gelangt, behaupteten Anwohner immer wieder. Dass die Bohlinger Deponie in einem Vogel- und Naturschutzgebiet liegt, brachte das Fass zum Überlaufen und rief selbst die Landesregierung auf den Plan. Auf einer Versammlung in der Aachtalhalle Bohlingen im Januar 2008 wurde Landrat Hämmerle gefragt: „Wie kann es sein, dass angesichts einer solch lebensfeindlichen Giftmüllkippe hier später ein Naturschutzgebiet ausgewiesen worden ist, obwohl alle Beteiligten aus Verwaltung und Wirtschaft um die prekären Altlasten wussten?“. Darauf antwortete Frank Hämmerle: „Was oben ist, ist Biotop, was drunter ist, verschweigt des Sängers Höflichkeit“.

Wen will der Landrat schützen? Die Verursacher der Giftbrühe etwa, die nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind? Schützt er sich selbst und seine Vorgänger auf dem Posten des Landrates: von Seiterich, Göbel und Robert Maus? Nach eineinhalbjährigem Verhandlungspoker setzte Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) im Herbst 2009 immerhin ein Zeichen gegen den Umweltfrevel und genehmigte für diese Entsorgungsmaßnahme insgesamt 10 Millionen Euro. 8,7 Millionen zahlte das Land, etwa 1 Million Euro sollte die Stadt Radolfzell bezahlen, sie hatte die Deponie im Jahre 1973 gekauft und bis zum Schluss 1975 betrieben.

Im Juni 2010 teilte das Landratsamt Konstanz mit, die Sanierung der Bohlinger Schlammteiche sei abgeschlossen. Der Aushub des am stärksten belasteten Teichs und das Wiederauffüllen mit unbelasteter Erde sei inzwischen beendet. Rund 24000 Tonnen des teilweise hochgiftigen Abfalls sei in Verbrennungsanlagen in Nordrhein-Westfalen, in Leipzig und in Hamburg entsorgt worden. Die Maßnahme kam mit 6,7 Millionen Euro insgesamt 2 Millionen Euro günstiger als vorgesehen. Doch was passiert mit den beiden übrigen Teichen?

50 Jahre sind die Leute angelogen worden“

Am 3. August 2010 soll Ministerin Tanja Gönner nach Bohlingen kommen, um das Sanierungsprojekt offiziell zu beenden. Landrat Hämmerle verkündete unterdessen in einer Pressemitteilung, er freue sich, dass eine komplexe Altlast im Kreis Konstanz nach gemeinsamen Anstrengungen und vereinten Kräften der Behörden und der Politik dauerhaft saniert sei. Doch beide, Ministerin und Landrat, wissen, das der Erfolg nur ein Scheinerfolg ist.

Das Jubelszenario des Landrates sorgt bei vielen Bürgern im Aachtal für Kopfschütteln. „50 Jahre sind die Leute angelogen worden“. Denn die Frage muss erlaubt sein: Was ist in den 50 Jahren zuvor in das Grundwasser gelangt? Was haben Dämpfe und Absonderungen der Schlammteiche seitdem bewirkt? Gibt es Erkrankungen bei Anwohnern als Folge der Grundwasserbelastung? Gibt es noch Schäden an der Natur? Wurde das je untersucht? Gibt es Verantwortliche? Und womöglich Entschädigungen?

Zeitzeugen berichten, wie „billig“ und „stümperhaft“ die Teiche zur Entsorgung angelegt wurden. Auf Feuchtwiesen sei die Grasnarbe abgeschoben, ringsum Erdwälle aufgeschüttet worden – und dann begann das Verfüllen mit hochgiftigen Industrieabfällen direkt in das Erdreich. Keine speziellen Folien oder Splitschichten seien eingebaut worden, damit die Schlämme nicht ins Erdreich gelangen konnten. Film- und Fotoaufnahmen aus dieser Zeit zeigen einen riesigen Ölteich, der mehrfach über zuschwappen drohte. Landwirte, die in der Nähe der Teiche ihre Felder bewirtschafteten, klagten über Kopfweh und Brechreiz, erzählt ein älterer Mann aus einer Aachtalgemeinde.

Die ungewöhnlich hohe Zahl an erkrankten Einwohnern in den letzten Jahren  erschüttert die Menschen im Aachtal schwer. Auch heute noch gibt es einen Anstieg diverser Erkrankungen, deren Ursachen rätselhaft bleiben. Die Befürchtungen der Menschen richteten sich bei den Krankheitsbildern gegen das möglicherweise verseuchte Grundwasser. Aber dessen Qualität wurde von den Behörden weder untersucht noch je angezweifelt.

Alle drei Teiche müssen ausgebaggert werden“

Dass das Gift frei und unkontrolliert in die Umwelt gelangen konnte, verdeutlicht ein Artikel des „Südkurier“ von 1971. Da wird berichtet, wie die Feuerwehr Radolfzell zusammen mit einem starken Aufgebot der Landespolizei die Schlammteiche angezündet hatte. Dies sei erforderlich gewesen, weil aufgrund heftiger Regenfälle ein Überlaufen des Ölteiches befürchtet werden musste. „Das Öl hätte beim nächsten Regenfall die ganze Umgebung verseucht und wäre über den Egelbach in die Radolfzeller Aach und den Bodensee gelangt“. Die gewaltige Feuer- und Rauchsäule stieg tagelang in den Himmel. Ein Zeitzeuge aus Überlingen am Ried berichtete, wie bei diesen „Feuersbrünsten“ auch die umliegenden Bäche in Brand gesetzt worden seien; ein Indiz, dass sich der Schlamm und die Ölbrühe bereits über die Teiche in die Umgebung ausgebreitet hatte.

Aufgrund der vielen Aussagen ist es für die Menschen im Aachtal deshalb nicht glaubhaft, dass mit der nun erfolgten Teil-Sanierung des einen, hoch giftigen Schlammteiches die Gefahr vollständig gebannt ist. „Erst wenn alle drei Teiche mit den 60000 Kubikmeter eingelagerten Altlasten ausgebaggert sind, könnte die Natur wieder zurückkehren“, meint ein besorgter Bürger.

Autor: red