Mir saget nix!
In diesem Monat startet der preisgekrönte Dokumentarfilm „Scala Adieu! – Von Windeln verweht“ von Douglas Wolfsperger. Er zeigt, wie das Konstanzer Programmkino „Scala Filmpalast“ nach Jahrzehnten einem weiteren Drogeriemarkt weichen sollte und wie die Menschen darauf reagierten. Hier der zweite Teil eines Gesprächs mit dem Regisseur, der bei den Dreharbeiten immer wieder auf harsche Verbote, bleiernes Schweigen und pures Unverständnis stieß, aber auch neue Freundschaften schloss.
seemoz: Die Stadt Konstanz fördert ein breites kulturelles Angebot und nimmt dafür Jahr für Jahr viele Millionen in die Hand, das ist breiter kommunalpolitischer Konsens. Außerdem gibt es in Konstanz ja auch weiterhin zig Kinosäle, da scheinen der damalige Aufstand um die Schließung ausgerechnet des „Scalas“ und die Vorwürfe an die Politik ziemlich übertrieben.
Wolfsperger: Bei der Gemeinderatsdebatte über einen Zuschuss für meinen Film habe ich gemerkt, dass die Mehrheit in Sachen Filmkultur erst mal einen Volkshochschulkurs bräuchte. Die meisten konnten nicht zwischen kommerziellem Mainstream-Kino und künstlerischem Film unterscheiden. Natürlich gehört die Filmkunst genauso unterstützt wie Theater, Musik oder bildende Kunst. Es gibt Filme, die einfach nicht in ein Einkaufscenter gehören und deren Publikum eine solche Abspielstelle auch nicht akzeptiert.
Aber ich fürchte, viele in der Lokalpolitik interessiert diese Unterscheidung herzlich wenig. Sie sind für den Drogerieriesen, weil der Kasse macht. Jeder, der das anders sieht, ist der Feind und muss bedingungslos bekämpft und vernichtet – oder zumindest am Drehen gehindert werden.
seemoz: Es ist auffällig, dass in Deinem Film kaum Befürworter der Scala-Schließung oder direkt davon Betroffene wie etwa die dort Arbeitenden zu Wort kommen, vom Kinobetreiber oder dem Immobilienbesitzer ganz zu schweigen.
Wolfsperger: Es war unglaublich, mit welcher Aggressivität Immobilienspekulant Wössner vorgegangen ist, sei es gegen Lokaljournalisten oder gegen den Besitzer des Cafés in dem Gebäude, den er sich vorgeknöpft hat, so dass ich dort nicht drehen durfte. Auch der Kinounternehmer wurde wohl vom Spekulanten dazu gedrängt, mich nicht im Kino drehen zu lassen. Solche Menschen mit ein paar Millionen im Rücken haben scheint’s keine Beißhemmung und können außerdem erwarten, dass sich alle anderen einen Maulkorb umlegen.
seemoz: Hat es Dich überrascht, dass Du in der Stadtverwaltung von Anfang an vor verschlossenen Türen standest – abgesehen mal vom Interview mit dem OB, das Du schließlich bekommen hast, nachdem Dir die Stadt Konstanz eine kleine finanzielle Unterstützung zuteil werden ließ? Dass also Verwaltung und Politik mehrheitlich so geschlossen gegen Dich und Deinen Film waren?
Wolfsperger: Ich wollte für den Film im Vorfeld, ehe ich überhaupt zu drehen begann, erst einmal Meinungen von allen Seiten einholen, auch aus der Stadtverwaltung und von Politikern. Ich wollte natürlich auch mit dem Kulturbürgermeister Dr. Andreas Osner sprechen, der ja ein Fall für sich zu sein scheint, und mit dem Denkmalamt und vielen anderen. Aber die haben sich allesamt geweigert, mich auch nur zu empfangen und mit mir – ohne Kamera natürlich – überhaupt zu sprechen. Und jetzt plärren sie lauthals, mein Film, den die meisten von ihnen ja noch gar nicht gesehen haben, sei einseitig und sie kämen darin nicht zu Wort. Als ich den OB – kurz vor der Uraufführung von „Scala Adieu!“ bei den Hofer Filmtagen im letzten Oktober – zufällig in der Stadt traf, sagte er mir, er werde sich meinen Film bestimmt nicht anschauen, weil darin Sätze von ihm aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Erstaunlich, woher er das wissen wollte, denn der Film war zu diesem Zeitpunkt ja überhaupt noch nicht erschienen.
seemoz: Es heißt, der Eigentümer der Immobilie, dessen Familie das Kino 1938 eröffnet hat, habe sehr an diesem Haus gehangen.
Wolfsperger: Ich habe noch eine E-Mail von diesem betagten Hausbesitzer, in der er sich düpiert zeigte, dass ich mit ihm noch keinen Kontakt für ein Gespräch aufgenommen hatte. Das war im Januar 2016, als ich mit dem Film anfing.
Ich habe dann mit ihm ein sehr berührendes Gespräch gedreht, in dem er mir unter Tränen von seinem Onkel, dem Kinogründer, erzählte. Dass er die Verwendung dieses Gesprächs dann zwei Monate später plötzlich verbieten ließ, hat mich sehr überrascht und getroffen. Dieses Verbot erhielt ich über einen Anwalt aus Freiburg. Und der ist zufällig derselbe Anwalt, der auch für den Immobilienspekulanten arbeitet. Wesentliche Teile von Verwaltung, Politik und Immobilienwirtschaft haben mich von vornherein als Nestbeschmutzer betrachtet und ihre Mitwirkung verweigert. Man sieht im Film ja auch, dass der Immobilienspekulant seine Arbeiter angewiesen hat, uns „zur Sau zu machen“.
seemoz: Am liebsten hätten Stadtverwaltung und Investor Deine Dreharbeiten wohl verboten. Hatten die wegen der Kinoschließung ein schlechtes Gewissen?
Wolfsperger: Ich glaube nicht, die meisten haben wahrscheinlich gar kein Gewissen (lacht). Für die ist die Sache ganz einfach: Wer nicht für den Investor ist, der ist gegen die Stadt. Ob das eine bewusste Kumpanei der Stadtverwaltung und der politischen Gremien mit dem Immobilienspekulanten war, weiß ich natürlich nicht.
Ich hätte natürlich gern im „Scala“ gefilmt, um die Räume zu dokumentieren und die schöne Treppe zu zeigen, die dort hochführte. Ich hatte mit dem Kino als Drehort fest gerechnet und war überrascht, dass wir dort dann plötzlich nicht mehr reindurften. Ich habe im Januar 2016 mit der Arbeit an dem Film begonnen und das „Scala“ schloss im Dezember 2016, da wäre genug Zeit gewesen, die Atmosphäre in diesem tollen Kino noch mal in Bildern einzufangen. Am Ende durfte ich weder zeigen, wie damals das „Scala“ aussah, noch wie heute der dm-Markt aussieht. Totale Blockade. So viel zur Meinungs- und Kunstfreiheit.
seemoz: Gab es auch positive Erfahrungen bei den Dreharbeiten?
Wolfsperger: Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich nochmal so intensiv mit meiner Heimatstadt auseinandersetzen werde. Ich habe bei der Arbeit am Film nicht nur ein paar ganz schlimme Kleingeister kennengelernt, sondern mein Freundes- und Bekanntenkreis hat sich erheblich erweitert, so dass ich wieder mehr Gründe habe, öfter von Berlin an den See zu fahren.
seemoz: Du sprichst vermutlich von Menschen, die sich für den Erhalt des „Scala“ engagiert haben?
Wolfsperger: Die Bürgerinitiative gegen die „Scala“-Schließung war die größte Protestbewegung, die Konstanz seit langem gehabt hat – vermutlich seit dem Hecker-Zug 1848. Diese Menschen haben mir den Rücken gestärkt, ohne zu wissen, was dabei schließlich herauskommt, was ich zu diesem Zeitpunkt ja selbst noch nicht wusste. Sie haben sechs- oder siebentausend Unterschriften für den Erhalt des Kinos gesammelt. Viele haben mir auch mit Spenden geholfen, und wenn es nur zehn Euro waren. Das waren Spenden, die mich berührt haben, denn sie sind etwas ganz anderes als 100.000 Euro von der Filmförderung, die Du auf Dein Konto kriegst und dann verbrätst. Wenn jemand kommt, der selbst vielleicht wenig Geld hat, und sagt, Du musst den Film unbedingt machen, ich helfe Dir, so gut ich eben kann, denn das ist mir wichtig, dann ist das eine ganz tolle Erfahrung. So sind zunächst über zwanzigtausend Euro zusammengekommen, mit denen ich dieses finanzielle Wagnis überhaupt erst mal starten konnte – obwohl das natürlich nur ein Bruchteil dessen war, was der Film insgesamt gekostet hat.
Das ist ein Gemeinschaftserlebnis, und diesen Menschen fühle ich mich verpflichtet, ein gutes Ergebnis abzuliefern.
seemoz: Was ist für Dich von dieser Bürgerbewegung geblieben? Hat sich dadurch etwas dauerhaft verändert in dieser Stadt, sind die Leute aufgewacht und haben gemerkt, was hier und anderswo wirklich passiert?
Wolfsperger: Für mich ist das „Scala“ ein Symbol dafür, was alles versemmelt und verheizt wird in deutschen Städten. Was jetzt da steht, ist das nackte Grausen, aber das „Scala“ steht für mehr als nur ein verschwundenes Kino. Es geht mir in meinem Film um die Umsicht und den politischen Druck, den es braucht, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Nicht nur in Konstanz. Ich kann der Stadt nur wünschen, dass diese Bewegung dauerhaft etwas bewirkt hat.
Das Gespräch führte Harald Borges, der letzte Teil folgt in einer Woche.
Der erste Teil findet sich hier.
Fotos © Douglas Wolfsperger Filmproduktion
„Scala Adieu! – Von Windeln verweht“ hat bei den 40. Biberacher Filmfestspielen 2018 den Doku-Biber als bester Dokumentarfilm erhalten.
Websites: www.scala-adieu-film.de | www.douglas-wolfsperger.de
Bundesstart: 21.03.2019
Stadttheater Konstanz
*17.03., 16:00 Uhr (Bodensee-Premiere) | *18.03., 20:00 Uhr
Kult-X Kino, Kreuzlingen
*19.03., 20:00 Uhr | 21.03., 20:00 Uhr | 24.03., 17:00 Uhr
K9, Konstanz
*26.03., 19:30 Uhr
Konzil (unterer Saal), Konstanz
*25.03., 19:00 Uhr | *31.03., 18:00 Uhr | *06.04., 19:00 und 22:00 Uhr
(Vorverkauf fürs Konzil: www.eventim.de)
Radolfzell, Kino Universum
*04.04., 20:00 Uhr
Überlingen, Tivoli-Kino
*05.04.
Romanshorn, Roxy-Kino
* 07.04., 11:00 Uhr, Matinée
Frauenfeld (CH), Cinema Luna
*08.04., 19:30 Uhr
* Regisseur und Mitwirkende sind anwesend
Zu „Wolfsperger: Die Bürgerinitiative gegen die ‚Scala‘-Schließung war die größte Protestbewegung, die Konstanz seit langem gehabt hat – vermutlich seit dem Hecker-Zug 1848.“
Erfreulich, dass die Bürgerinitiative Pro Scala deutlich größer war. Denn das Bezirksamt schrieb am 8. Mai 1848 „von 40 jungen Leuten und Lumpen“ aus Konstanz, während es aus dem kleinen Wollmatingen immerhin 48 Mann notierte. (Quellen: 200 Jahre Thomas Sättele, Freiheitskämpfer und Bürgermeister, Dorffestbroschüre 2008″ sowie die Historiker Kubik u. Bauer.)