Mit Jimi Hendrix und anderen Legenden auf der Bühne

Hinter manchen hiesigen Türen verbirgt sich Überraschendes. So auch in den vier Wänden des Fotografen Dieter Preiß, der sein ganzes Leben lang mit der Kamera unterwegs war. Die Fotografie war und ist immer noch seine Leidenschaft. Unsere Autorin hat den Bildkünstler mehrmals besucht und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Wir sitzen in Dieter Preiß` kleiner Küchen-Loggia im Paradies mit Blick auf einen verwilderten Garten. An den Wänden hängen Fotos seiner Lieben, daneben schmale Regale, in denen sich bunte Miniaturfigürchen tummeln: Superhelden, Schweine mit beweglichen Köpfen, DDR-Püppchen und Primaballerinen. Er brüht einen Kaffee auf und erzählt von seinen letzten Ausflügen in den Wald und von märchenhaften Pilzen, die er fotografiert hat. Auf manchen davon hat er seine kleinen Superhelden platziert. Solche Spielereien mit seiner kleinen digitalen Kamera machen ihm heute Spaß.

Den künstlerischen Funken einer Fotografie aber erreicht man laut Preiß nur analog. „Digitalfotografie ist für mich keine Fotografie, sondern nur bestimmende Technik, die Dinge festhält, die der Mensch so gar nicht sehen kann. Dagegen fühle ich bei dem Film der analogen Fotografie eine Seele, die genau das abbildet, was ich sehe und festhalten möchte.“ Preiß ist Fotograf, Künstler und ein akribischer Aufbewahrer seiner Arbeiten: Schwarzweiß-Fotografien aus der Zeit von 1960 bis 2007. Ein Aufbewahrer fotografischer Schätze, die von seinem besonderen Blick auf Menschen, Stimmungen kultureller Nischen und Außenseitern einer anderen Zeit zeugen.

Digitalfotografie ist für mich keine Fotografie

2013 zeigte er in der Ausstellung „Kunstmenschen – Menschenkunst“ (hier auf Facebook) im Turm zur Katz Varieté- und Zirkusfotografien, die er ab 1970 gemacht hat. Gelegentlich veröffentlichte er einzelne seiner Arbeiten, fotografierte aber selten für die Öffentlichkeit. Fotografieren ist seine Leidenschaft, und das tat er vor allem für sich. Das verwirrt und erstaunt, besonders wenn man seine überwiegend unveröffentlichten Festival- und Konzertfotografien sieht – einen Schatz an Ikonen der Rockgeschichte wie Leonhard Cohen, Frank Zappa, Ozzi Osbourne, die Rolling Stones, Rory Gallagher, Ginger Baker, Jimi Hendrix …

Jede seiner zahlreichen Arbeiten ist ein Unikat. Haptisch-visuelle Kunst vom Feinsten, die festgehaltene Magie eines Moments auf Barytpapier, gerahmt in selbstgeschnittenen Passepartouts. Bilder von Sujets, die unser kollektives Gedächtnis gut kennt und doch nicht kennt, weil Preiß‘ Blick auf Menschen, gepaart mit handwerklicher Perfektion, sinnlich überrascht.

Vor uns liegen auf Karton aufgezogene Foto-Tafeln, die ein Sammelsurium seiner Arbeiten zeigen. „Diese Tafeln habe ich mal gemacht, um zu zeigen, was ich alles fotografiert habe. Die sind so uralt, da ist Jimi Hendrix noch nicht mal dabei.“ Darauf zu sehen sind Stadtszenen, Menschen und Prominente wie James Last, Inge Meysel, Otto oder Bilder der Documenta 1968. „Ich habe damals alles und überall fotografiert auf Reisen in Prag, Montreal, New York, Istanbul, Breslau, in Hamburg den 1. Mai-Tumult am Rathausmarkt und auf dem Fischmarkt. Überall, wo was los war.“

Wir sprechen darüber, wie alles begann, und vor allem über das als europäisches Woodstock geplante Love and Peace-Festival auf der Insel Fehmarn im September 1970. Das letzte Konzert, das er fotografiert hat und der letzte Auftritt von Jimi Hendrix, der knapp zwei Wochen später starb.

Der letzte Auftritt von Jimi Hendrix

seemoz: Wie kamst du zur Konzertfotografie?

Dieter Preiß: Zur Fotografie kam ich über mein Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. Die Musik hat mich eigentlich gar nicht so interessiert. Damals hatte mich meine Freundin verlassen – schmählich. Meinen Kummer habe ich dann nächtelang auf einer Tanzfläche im „Grünspan“, so hieß der Beatschuppen auf der Reeperbahn, versenkt. Da war pausenlos Remmidemmi und wirklich sehr laute Musik. Dort in der Nähe war auch der Star-Club. Kennst du den?

seemoz: Nur von deinen Fotos.

Dieter Preiß: Die ersten Auftritte der Beatles waren dort. Das war in den Sechzigern. Mir hat es dort gut gefallen, ich mochte diese dicke, verqualmte Luft. Es war dort sehr dunkel und wirklich auch schwer zu fotografieren. Manchmal bin ich auch in die Musikhalle gegangen. Da haben Zappa und Cohen gespielt. Ab und zu bin ich mit einer Hamburger Band rumgefahren, nach Amsterdam und so. Ja, und dann fing das mit den kleinen Festivals an, und mit Konzerten in der Hamburger Messehalle, in Aachen, Düsseldorf und auf der Trabrennbahn in Hamburg. Die Bühnen waren damals noch nicht so hoch, und man konnte ganz nah ran gehen. Mich haben einfach Menschen in Bewegung interessiert, und das habe ich da eben gefunden.

 Ikonen der Rockgeschichte

seemoz: Und dein erstes Konzertfoto war von wem?

Dieter Preiß: Das erste war von Jefferson Airplaine. Da habe ich nur ein Foto gemacht. Das klappte technisch nicht, mit den Scheinwerfern und einer riesigen Leinwand im Hintergrund.

Einmal habe ich ein richtig gutes Foto von Rory Gallagher gemacht, der war da schon bekannt. Und in meiner Unerfahrenheit habe ich es zu einem Foto-Wettbewerb geschickt, mit dem Negativ, und damit war es für immer weg. Danach habe ich nie wieder ein Negativ aus der Hand gegeben.

seemoz: Die Stones hast du auch fotografiert?

Dieter Preiß: Ja, die haben 1970 in der Hamburger Messehalle gespielt, auf so einer kleinen Bühne. Da war mit denen ja noch nicht so viel los. Die Leute saßen da noch gemütlich auf dem Boden. Mich haben Menschen in Bewegung interessiert

seemoz: Was hat dich am meisten gereizt oder beeindruckt?

Dieter Preiß: Bewegung und Dynamik. Ginger Baker zum Beispiel, der war am Schlagzeug gewaltig am Trommeln und wirkte manchmal wie ein Ertrinkender – so was hat mich gereizt. Wenn einer nur dasteht, ist das langweilig. Oder eine ganze Gruppe aufzunehmen, das ist noch langweiliger, völlig leblos. Es dauert aber eine Weile, bis du das für dich herausfindest. Du musst erst sehen, ausprobieren und lernen, was sich auf einer Bühne abspielt und was man dann fotografisch damit machen kann.

Auch das Publikum war damals toll, das waren interessante Menschen. Die waren so gemütlich, saßen oder lagen rum, träumten vor sich hin und waren verrückt angezogen oder bemalten ihre nackten Brüste. Wirklich so eine Love-and-Peace-Stimmung.

seemoz: War das letzte Konzert von Jimi Hendrix auf Fehmarn ein Highlight für dich?

Dieter Preiß: Na ja, ich meine, das war auch das letzte Konzert, das ich fotografiert habe. Danach hatte ich keine Lust mehr. Die Festivals wurden größer, die Leute wollten Geld machen, und alles wurde durchorganisiert. Wenn du da fotografieren wolltest, bekamst du Auflagen. Du musstest deine Kamera abgeben und durftest dann für die Stücke 3 und 4 deinen Apparat abholen und ein paar Fotos machen. Vollkommener Schwachsinn so etwas. Die Bühnen waren dann auch so hoch, da konntest du keine guten Fotos mehr machen.

seemoz: Konzertfotografie war dann nicht mehr dein Ding?

Dieter Preiß: Nee, überhaupt nicht. Jetzt aber, wo ich mir das alles wieder mal angeschaut habe, denke ich: da hätte ich bisschen mehr draus machen können. Was ich da alles hab – ist ja unglaublich. Nur ab und zu habe ich Fotos veröffentlicht, mein Geschäftssinn ist nicht so ausgeprägt. (Die Lebensgefährtin von Dieter Preiß lacht: Das kann man wohl sagen!)

seemoz: Zurück zu Jimi Hendrix – wie war das Festival auf Fehmarn?

Dieter Preiß: Ich bin ja nicht nur wegen ihm hin. Ich wollte einfach Musikgruppen fotografieren, ob die bekannt waren, war mir egal. Nun stand der eben auch auf dem Programm. Als es dann hieß, Jimi Hendrix würde wohl nicht kommen, reisten zahlreiche Zuschauer und auch viele Fotografen ab. Die ganze Organisation war ein Chaos, Gruppen sagten ab, das Wetter war irre, es hat viel geregnet, war kalt und stürmisch. Von der Musik konnte man kaum etwas hören, wegen dem starkem Wind kamen beim Publikum nur Fetzen an. Dann gab‘s Stänkereien mit Rockerbanden wie den Hells Angels. Aber plötzlich kam Hendrix dann doch.

Nur mit dem Fotografieren war es überhaupt nichts, die Bühne war zirka vier Meter hoch und etwa fünfzig Meter lang. Ich war enttäuscht und weiß auch nicht mehr, warum ich so lange geblieben bin, obwohl klar war, dass man nicht auf die Bühne kommen würde. Ohne Bühnenkarte haben die Ordner niemanden raufgelassen. Und dann ging ich da vor der Bühne rum, als einer der Ordner auf mich zukam und meinte: Dich kenn ich, mich interessiert Jimi Hendrix nicht so, willst du meine Bühnenkarte haben? Herrlich! Der kannte mich einfach, vermutlich von anderen Konzerten, und so kam ich auf die Bühne.

seemoz: Und wie war es dann, mit Jimi Hendrix auf einer Bühne zu stehen?

Dieter Preiß: Es war nicht einfach, ihn zu fotografieren. Superschlechte Lichtverhältnisse waren das, unter der Plane war es ziemlich dunkel, im Freien war es viel heller – auch das Vergrößern später war nicht einfach. Er hat meist nach vorne zum Publikum geschaut, und da kam man nicht hin. Als ich sah, dass er immer wieder zum Schlagzeuger Blickkontakt aufnahm, habe ich den Platz gewechselt, um ihn da zu erwischen. So ist mein Lieblingsfoto entstanden, da sitzt rechts der Schlagzeuger, den sieht man zwar nicht, aber dafür guckt Hendrix ins Bild.

seemoz: Du hast mit deinen Fotos mehr als „Menschen in Bewegung“ eingefangen, sie versprühen eine Stimmung und den Zeitgeist deiner Generation. Schade, dass sie deine Dreizimmerwohnung kaum verlassen.

Dieter Preiß: Ja, das sehe ich jetzt auch, die Fotos sind über fünfzig Jahre alt, und ich entdecke immer wieder etwas Neues. Als ich jetzt über 250 Passepartouts geschnitten habe, habe ich richtig mit Spannung nach jedem gerahmten Foto auf das darauffolgende geblickt – die meisten hatte ich ja lange nicht gesehen!

seemoz: Danke für das Sehen-Dürfen faszinierender Bilder.

Text: Anna Blank, Bilder: Dieter Preiß (Hendrix auf Fehmarn), Dieter Sauer (Teaser).