Mit Kreide gegen geschlechtsspezifische Gewalt

In den letzten Wochen sind immer wieder mit Kreide geschriebene Nachrichten und Informationen auf den Straßen in Konstanz aufgetaucht. Sie weisen auf geschlechtsspezifische Gewalt in unterschiedlichster Form hin. Dahinter steckt die Gruppe Catcalls of Konstanz, die vom Tag gegen patriarchale Gewalt bis zum Tag der Menschenrechte jeden Tag Informationen zu patriarchaler Gewalt ankreidete. Silva Schilling und Deborah Wiegand sind beide Mitglied der Initiative und erläutern im Interview die Hintergründe der Aktionen.

Der Gruppenname Catcalls of Konstanz fasst den Fokus der Gruppe in einem Wort zusammen: Catcalling. „Catcalling ist eine meistens verbale Form der sexuellen Belästigung, die in der Regel auf der Straße passiert“, erklärt Schilling. Außerdem sei sie meistens gegen Flinta*-Personen gerichtet, so Wiegand. Der Begriff Flinta* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans* und ageschlechtliche Personen, umfasst also alle Personen außer cis-Männern.

„Wir geben Betroffenen eine Stimme, haben aber selbst kein Gesicht.“

Die Initiative kreidet genau diese Vorfälle von Catcalling auf der Straße an und zwar häufig dort, wie diese ursprünglich passiert sind: „Auf der Straße sieht das jede Person. Man liest das dann auch schnell, ob man jetzt möchte oder nicht und ist damit konfrontiert.“ Außerdem verfassen sie einen Instagram-Post über die Aktionen und dokumentieren dort alles. Auf diese Weise könnten sie Betroffenen eine Stimme geben, ohne selbst viel Raum einzunehmen.

„Wir wollen Catcalling sichtbar machen, weil es ein Phänomen ist, das viel passiert, aber Personen, die nicht davon betroffen sind, oft gar nicht bewusst ist. Betroffene sollen eine Plattform haben, auf der sie gehört werden“, betont Wiegand. Schilling fährt fort: „Es ist oft schwierig, sich in so einem Moment zu wehren, weil es auch gefährlich sein kann. Und so ist das ein sicherer Rahmen, als betroffene Person ein bisschen Handlungsmacht zurückzuerlangen.“

Sichtbarkeit für geschlechtsspezifische Gewalt

In den vergangenen Wochen organisierte die Gruppe die sogenannten „16 Days of Activism“. Diese sind eine globale Kampagne gegen geschlechtsspezifische Gewalt, die erstmals 1991 durchgeführt wurde. Sie beginnt am 25. November, dem Tag gegen patriarchale Gewalt, und endet mit dem 10. Dezember, dem Tag für Menschenrechte. Laut der Global 16 Days Campaign [https://16dayscampaign.org/about-the-campaign/] haben seit 1991 über 6000 Organisationen in 187 verschiedenen Ländern mit einer Reichweite von 300 Millionen in unterschiedlichster Weise an der Kampagne teilgenommen.

In diesem Jahr nahmen auch die Catcalls of Konstanz das erste Mal teil: „Der Chalkback Verein Deutschland, zu dem auch unsere Gruppe gehört, hat sich einen Aktionsplan überlegt, der allen Ortsgruppen zur Verfügung gestellt wurde. Aus den Inhalten und Infos haben wir dann Solidaritätsbekundungen oder Infos auf die Straße geschrieben.“ An den einzelnen Tagen fragte die Gruppe zum Beispiel danach, wovor Flinta* Angst haben, machte auf häusliche Gewalt, Gewalt an Hochschulen, ableistische Gewalt gegen Flinta*, Gewalt gegen trans* Personen und die Nutzung von sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe oder zur Niederschlagung von Protesten aufmerksam. Als Beispiele für letzteres wurden die Ukraine und der Iran genannt. An einigen Tagen legten sie zudem den Fokus auf die Massen an geschlechtsspezifischer Gewalt in bestimmten Gebieten wie dem Ost-Kongo, Afghanistan und Indien. Zuletzt machten die Catcalls of Konstanz auf historische Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt und deren Zusammenhänge mit der Klimakrise sowie dem Kapitalismus aufmerksam. Den Abschluss bildete die Frage danach, was sich für die Zukunft gewünscht wird. Darunter waren die Wünsche, ernst genommen zu werden, nachts ohne Angst rausgehen zu können, Menstruationsurlaub zu erhalten und dass Geschlecht irrelevant ist.

„Man bietet Angriffsfläche und das macht verletzbar.“

Die Aktion 16 Days of Activism sei vor allem wichtig gewesen, um grundsätzlich für das Projekt Catcalls of Konstanz und dessen Ziele eine Plattform und unmittelbare Sichtbarkeit zu schaffen. Wiegand erläutert: „Das fühlt sich in dem Moment zwar so an, als würde man da nur eine Kleinigkeit machen und dann Kinder mit ihren Regenstiefeln darüberstapfen und dann ist sowieso gleich alles weg. Aber wir schaffen schon, dass das gesehen wird.“ Sie fährt fort: „Es passiert auch oft, dass einen Leute ansprechen, die nicht so viel über, zum Beispiel, das Patriarchat und die Auswirkungen wissen. Gerade die zeigen dann auch Interesse, die sich sonst gar nicht damit beschäftigt hätten.“

Grundsätzlich seien die Reaktionen aber sehr unterschiedlich. Es gebe viele Leute, die Zuspruch geben würden, genauso aber auch negative Reaktionen. „In dem Moment, in dem du die Kreide in der Hand hast und alle an dir vorbeifahren, weißt du, okay, du bist gerade das Ziel“, so Wiegand. Das würde Angriffsfläche bieten, und sie hätten in diesen Situationen auch schon Drohungen abbekommen oder seien beim Catcalls-Ankreiden gecatcallt worden. In konkretem Bezug auf die Aktionen im Rahmen der 16 Days of Activism seien die Reaktionen, die sie mitbekommen hätten, aber eher positiv gewesen. „Ich fände es aber auch spannend, zu hören, was Außenstehende denken. Gerade als Person, die viel zu Fuß unterwegs ist und das ständig sieht“, ergänzt Schilling.

Catcalls sind keine Komplimente

Rückblickend sind Schilling und Wiegand sehr zufrieden mit den Aktionen im Rahmen der Kampagne und würden auf jeden Fall nochmal mitmachen. „Ich fand cool, dass wir das, was sonst in Infoposts auf Instagram steht, auf diese Art auch auf die Straße bringen konnten“, erzählt Schilling.

Wiegand betont: „Ich habe das Gefühl, dass es wahrgenommen wurde, und das ist das Wichtigste.“ Schilling ergänzt: „Ja, und dass es eine Transferleistung gibt von dem, was man sieht, zu den eigenen Erfahrungen. Das ist wichtig, dass Leute sehen, was alles Catcalling ist und dass das keine Komplimente sind, sondern sexuelle Belästigung!“

Autor*in: Connie Lutz, Bilder: Catcalls of Konstanz