Herr Wiesner schmollt

Lange hat es gedauert, bis die Südkurier-Spitze sich den kritischen Fragen ihrer LeserInnen stellte. Die Zeitung vernachlässige vor allem die lokale Kultur, war bei der Diskussion zu hören und versinke zunehmend in banaler Berichterstattung.

Der Zunftsaal im Rosgartenmuseum war bis auf den letzten Platz besetzt. GemeinderätInnen waren gekommen, dazu Verantwortliche aus den Bereichen der etablierten Kultur. Und diese war mit Florian Riem (Südwestdeutsche Philharmonie), Tobias Engelsing (Städtische Museen) und Christoph Nix (Theater Konstanz) prominent vertreten.

Leider fehlten die Programmgestalter der Freien Kultur. Weder vom K9, vom Kulturladen noch von vielen anderen Initiativen, deren Angebote die Stadt bereichern, war jemand zu sehen. Gutbürgerlich vereint und überwiegend bestens miteinander bekannt und verbandelt, war man somit weitestgehend unter sich. Der Südkurier hatte im Vorfeld vorsichtshalber darauf verzichtet, die Diskussion anzukündigen. Das habe man wohl „ zufällig vergessen“, vermutete Tobias Engelsing nicht ohne Hintersinn.

Bürgermeister Claus Boldt bemängelte in seinem Eingangsstatement die „drastische Reduzierung“ der Kulturberichterstattung. Man verzeichne in Konstanz immer mehr kulturelle Veranstaltungen, „aber immer weniger Kulturberichte“. Zudem quäle die Südkurier-Redaktion ihre LeserInnen vermehrt mit seichten Geschichten und halbgaren Stories aus der Welt der angeblichen Stars und Sternchen.

Südkurier-Chefredakteur Stefan Lutz widersprach vehement, pries den Südkurier an wie eine Heizdecke, schwadronierte schier endlos und behauptete, die Kultur sei nur geschickter verteilt im Blatt. Sein unausgesprochenes Fazit: Die Kritiker leiden offensichtlich unter massiven Wahrnehmungsproblemen. Engelsing konterte, denn von fünf Seiten, die man früher der Kultur zur Verfügung gestellt habe, seien nachweislich nur noch drei übrig geblieben. Damit, so der langjährige Südkurier-Lokalchef, „macht sich die Zeitung entbehrlich“. Auch Christoph Nix bemängelte am Südkurier das Fehlen einer „Auseinandersetzungskultur“.

Viele Diskutanten schlossen sich dieser Kritik an. Die Kulturberichterstattung sei „jämmerlich“, polterte ein Leser, das vom Südkurier gezeichnete Jugendbild „gräßlich“, so eine andere Beschwerde. Wenn das so weiter gehe, erklärte Engelsing, sollte sich die Stadt überlegen, ob es nicht angebracht sei, eine städtische Zeitung in Form eines Amtsblattes zu gründen. Denn immerhin kassiere der Südkurier für Anzeigen von der Stadt Konstanz jährlich um die 200 000 Euro.

Das Stichwort für Südkurier-Geschäftsführer Rainer Wiesner, der dem Diskurs nicht gewachsen war und jede Souveränität vermissen ließ. Mit der Forderung nach einem Konkurrenzblatt, so der höchst aufgeregte Verlagsmanager, der seinen Job den guten Beziehungen zur Verleger-Familie Holtzbrinck zu verdanken hat, bewege man sich im Bereich der „Erpressung“. Das Publikum murrte laut und vernehmlich ob dieser unqualifizierten Attacke. Wie meist bei öffentlichen Auftritten gab sich Wiesner wieder Mal beleidigt. Immer dann, wenn das von ihm mitverantwortete Produkt in die Schusslinie gerät, greift bei ihm ein Beissreflex. Kontroverse und zielführende Auseinandersetzungen sind seine Sache nicht.

Ein unguter Abschluss bei einer Debatte, die unter dem Strich keine neuen Erkenntnisse brachte. Man hat miteinander geredet. Mehr nicht. Man hätte es aber auch bleiben lassen können. Wer zwei Tage später den Südkurierartikel über die Diskussion las, wähnte sich sowieso auf einer völlig anderen Veranstaltung. Same procedure as every day.

Autor: H.Reile