Nächster Schritt auf dem Vincentius-Gelände
Die weit überwiegende Mehrheit der Gemeinderätinnen und -räte war in der gestrigen Sitzung des Technischen und Umweltausschusses von den Plänen des Investors für das Vincentius-Areal angetan. Die LLK allerdings übte scharfe Kritik an der ihrer Meinung nach vertanen Chance für sozialen Wohnungsbau auf diesem innerstädtischen Filetgrundstück. Doch mit ihrer Kritik blieb sie allein – wird sich das in der entscheidenden Sitzung des Gemeinderates nächste Woche ändern?
Die gestrige Sitzung des Technischen und Umweltausschusses (TUA) erforderte von allen Beteiligten einen wahren Vorbereitungs-Marathon. Für die acht Tagesordnungspunkte hatte die Verwaltung nämlich insgesamt 567 Seiten an Unterlagen erarbeitet. Man vergisst, wenn man von Kommunalpolitik spricht, oft, welch ungeheurer Arbeitsaufwand darin steckt, eine Entscheidung vorzubereiten, und wie viel Zeit Gemeinderätinnen und -räte opfern müssen, um auch nur halbwegs informiert zu bleiben. Gerade für Berufstätige bedeutet eine Gemeinderatstätigkeit immer einen ganz erheblichen Einschnitt in ihr Privatleben. Kommunalpolitik ist einfach Knochenarbeit, wie sich gestern im TUA einmal mehr zeigte: Eine verdiente Stadträtin packte gar verstohlen ein volkseigenes Brötchen, das ausschließlich zur Stärkung während der Sitzung gedacht war, in ihre Jutetasche, um es daheim zu verzehren, wohl weil sie einfach keine Zeit zum Einkaufen und Kochen mehr hat.
Mehr Wohnungen
Paul Günzler von der LBBW Immobilien Development GmbH ist der Projektleiter seitens des Investors (was für ein Wort!) und stellte den derzeitigen Planungsstand für das Gelände vor. Im Wesentlichen bleibt alles wie gehabt bei einem fast geschlossenen Block aus 4 Geschossen mit einem 5. Staffelgeschoss sowie eigenen Wohntürmen für mehrstöckige Luxuswohnungen. Und doch gibt es einige kleine, aber für Anlieger vielleicht wichtige Änderungen. Die Fassade an der Laube wurde so umgeplant, dass sie jetzt eine geschlossene Linie bildet. Außerdem wurde die Zahl der Treppenhäuser von zehn auf sieben reduziert, wodurch weitere Wohnfläche gewonnen wurde. Am Ende wird es – auch aufgrund geänderter Wohnungsgrundrisse – wesentlich mehr Wohnungen geben als bisher geplant: Aus 98 wurden in der Zwischenzeit 126 Wohnungen. Außerdem plant man Gewerbe zur Laube hin und denkt über ein Café oder Restaurant an der Schottenstraße nach. Ein Spötter schlug vor, dort einen McDonald’s einzurichten, dann könnte man gleich auch die Mensa der Humboldtschule dichtmachen.
Was die Sozialbindung der geförderten Wohnungen in dem neuen Komplex anbelangt, war sich Günzler nicht ganz sicher, er hat 20 Jahre in Erinnerung, wollte sich darauf aber nicht festlegen lassen. Sein Unternehmen wird allerdings ohnehin nicht als Vermieter auftreten, sondern auch die (38?) öffentlich geförderten und preisgedämpften Wohnungen werden ebenso wie die Tiefgaragenstellplätze nach der Fertigstellung verkauft.
Großen Gesprächsbedarf sahen die Gemeinderätinnen und -räte in Sachen des Frieda-Sigrist-Weges. Er soll etwas nach Süden verlegt werden und als Zufahrt für Lieferanten dienen. Der neue Weg soll für Fußgänger und Radfahrer öffentlich zugänglich sein und von Lieferfahrzeugen als Einbahnstraße von der Laube aus befahren werden dürfen. Insbesondere Alfred Reichle (SPD) und Peter Müller-Neff (FGL) konnten sich mit dieser Lösung nicht anfreunden, denn sie bedeutet, dass die Lieferfahrzeuge in Zukunft über die vielbefahrene Fahrradstraße in der Schottenstraße wieder abfahren.
Allerdings gibt es außer dem künftigen Lieferverkehr in der Schottenstraße noch einige weitere mögliche Verkehrsprobleme. Die Tiefgaragenausfahrt aus dem neuen Areal mündet in die Laube und trifft dort zuerst auf den Fußweg und dann auf einen dichten Verkehr mit zahlreichen Bussen und Fahrrädern auf der Busspur und etlichen anderen Fahrzeugen auf der zweiten Spur, was das Einfädeln in die Laube zu vielen Tageszeiten zu einer harten Geduldsprobe machen dürfte und heftigen Ärger zwischen FußgängerInnen, RadlerInnen und AutofahrerInnen verspricht.
Mehr Platz fürs Humboldt
Für die Humboldtschule bedeutet die Verlegung des Frieda-Sigrist-Weges nach Süden mehr Platz. Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn kündigte an, es werde zum Doppelhaushalt eine komplette Planung für das gesamte Humboldtareal vorliegen, die den Pausenhof zum lohnenswerten öffentlichen Raum aufwertet. SchülerInnen wie BürgerInnen sollen dort – eventuell sogar unter Einbezug von Flächen am Rhein vor der Handwerkskammer – einen attraktiven Pausen- und Aufenthaltsort sowie genügend Fahrradstellplätze finden.
Die Macher von LBBW sprachen auch davon, dass der Innenhof des neuen Blocks „halböffentlich“ zugänglich sei und die Nachbarschaft aus dem Paradies zum Verweilen einlade. Man sollte aber vielleicht erstmal abwarten, wie die künftigen Bewohner reagieren, wenn dort im Sommer die ersten Grills brutzeln und die Paradiesler sich animiert unter Absingen heimatlichen Liedgutes zuprosten.
Geduld brauchen allerdings die Fachleute, die an einem Energiekonzept für den neuen Block arbeiten. Favorisiert wird derzeit ein Netz, das auch das Humboldt mit einbezieht und in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken verwirklicht werden soll. Das alles dauert aber (wer etwa ist für den Unterhalt der Leitungen zuständig etc.?), weshalb die Bauherren alternativ mit einer nach ihren Angaben wesentlich schlechteren Lösung planen, nämlich Luftwärmepumpen auf den Dächern ihres Blocks. Die haben nicht nur eine wesentlich schlechtere Umweltbilanz als das Netz, sondern machen auch Krach, was vielleicht nicht jeden Bewohner einer der exklusiven Wohnungen im Dachbereich erfreuen wird.
Eine vertane Chance?
In ihrem Redebeitrag versuchte Sabine Feist (CDU) bereits vorauseilend der linken Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie forderte, entschlossen nach vorn zu schauen und daran zu denken, dass der Verkauf dieses Grundstücks an einen Privaten damals beschlossen worden sei, um mit dem Erlös den Krankenhausneubau zu finanzieren. Sie sprach sich tapfer gegen „rückwärtsgewandte Verhinderungsreden“ aus.
Damit hatte sie ganz gewiss Holger Reile (LLK) gemeint, aber der geißelte einmal mehr das Vorgehen in Sachen Schottenplatz/Vincentius: Er beklagte, dass es bei diesem Verkauf wieder einmal nur um die profitable Vermarktung von Grund und Boden gegangen sei. Angesichts der hochdramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt und einem massiven Fehlbestand an Sozialwohnungen sei die Sozialbindungsquote bei diesem Projekt ein Witz. „Dieses Gelände hätte sich hervorragend dazu geeignet, es in städtischer Eigenregie hauptsächlich für den Wohnbedarf zu entwickeln, zusammen mit Initiativen, Genossenschaften und Baugruppen, für die soziale und ökologische Standards noch Verpflichtung sind und für die satte Rendite auf Kosten anderer nicht der alleinige Leitfaden ist.“ Er warf der Verwaltung vor, die Wohnungsfrage dem freien Markt zu überlassen, statt endlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Karl Langensteiner-Schönborn sieht das naturgemäß nicht so: Er lobte die soziale Durchmischung in dem geplanten Neubau, denn der Sozialwohnraum sei über das gesamte Gebäude verteilt. Außerdem sei Konstanz eine der ganz wenigen Städte, die überhaupt in den Markt eingreifen. Bevor es das Handlungsprogramm gab, sei etwa das Heroségelände ohne eine einzige Sozialwohnung bebaut worden, so etwas sei heute dank des Handlungsprogramms nicht mehr möglich. Außerdem sagte er, dass dank der Wobak in Konstanz niemand auf der Straße stehe und wies Reiles Vorwürfe als „schlicht falsch“ zurück.
Eins allerdings ist bei dem ganzen Projekt noch unklar: Was nämlich aus dem denkmalgeschützten Altbau an der Gartenstraße (Foto) wird. Er wird derzeit noch genutzt, so dass bisher keine detaillierten Bauuntersuchungen vorgenommen werden konnten, um den Sanierungsbedarf zu bestimmen. Ziel der LBBW ist es aber, hier Büroräume und eventuell ein Restaurant anzusiedeln. Klar ist also eins: Der Rubel rollt für den Investor am Ende allemal.
O. Pugliese
Mal eine ganz törichte Frage zu diesem sonst eindrucksvollen Kommentar:
Warum soll nur den Müttern das Ausweichen auf die Fahrspur erspart bleiben? Was ist mit all den anderen Menschen, die ab und zu mal Kinder durch die Welt schieben? 🙂
Einen Umweltausschuss der mehrheitlich von einer solchen unsozialen und umweltfeindlichen Investorenarchitektur angetan ist braucht eigentlich auch kein Mensch.
Hier werden die letzten Filetstücke der Stadt meistbietend und ohne Rücksicht auf Verluste privatisiert. Nur nennt man es natürlich nicht Privatisierung sondern lieber „Projektentwicklung“ auch wenn das einzige was sich hier entwickelt der Kontostand der Investoren sein dürfte. Die großzügigen Freiräume die dort, an der Stelle des artenreichen Wäldchens entstehen sollen sehen schon in den Plänen wie eine schwäbische Garagenauffahrt am Sonntagnachmittag aus. Betonwüste statt Biodiversität. Aber wer braucht schon Artenvielfalt in der Stadt wenn die Menschheit mitten drin ist im größten Artensterben seit 65 Mio. Jahren. Und das ganz ohne Metorit, dafür haben wir schließlich Beton und Glyphosat.
Apropos Beton, laut Aussage von Frau Merkels obersten Klimaberatern (dem WBGU) einer der Klimakiller schlechthin. Während die Stadt ihre Bürger aber in Sachen Klimaschutz ermuntert doch öfter mal kalt zu duschen oder den alten Pullover noch zu flicken darf hier völlig kritiklos in „Betongold“ investiert werden. Lebt ihr mal schön 2000 Watt, wer genügend Geld mitbringt darf in Konstanz, allen Klimazielen zum Trotz, seine Billigarchitektur auch weiterhin aus dem Klimakiller Beton bauen. Auch wenn es längst gute Beispiele für acht- und mehrgeschossige Holzbauten mitten in der Stadt gibt.
Und weil man sich nicht an ein alternatives Verkehrskonzept traut wird, trotz bester innerstädtischer Lage, mit einer gigantischen Tiefgarage sogar noch der Autowahn von gestern in Beton gegoßen. Denn wer sich hier eine Wohnung kauft fährt standesgemäß wohl kaum mit dem Lastenrad/Carsharing zum Einkaufen oder mit dem Fahrrad zur Arbeit. Penthouse und Porsche – aber lebt ihr ruhig eure 2000 Watt.
Und Fußgänger? Haben eh verloren. Denn wer Wohnraum schaffen will der opfert natürlich keinen Meter. Auch wenn ein Meter mehr am schmalen Gehweg der Schottenstrasse sicher vielen Müttern mit ihren Kinderwagen das Ausweichen auf die Fahrspur ersparen könnte.
Und dann war da ja noch das Heizkonzept, aus ökologischer Sicht bei modernen Gebäuden mittlerweile weniger wichtig als die Wahl des Baumaterials, aber trotzdem die Chance ein Musterbeispiel für eine sinnvolle Nahwärmeversorgung zu schaffen. Nur muss man es auch einfordern, denn von sich aus machen die „Projektentwickler“ von der LBBW das wohl kaum. Der BUND hatte dies ja auch schon gefordert. Nun ist es an der Stadt hier verbindliche Vorgaben zu machen. Im Rahmen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes wäre das auch durchaus möglich. Denn hier verhandeln Stadt und Investor und diese Chance sollte genutzt werden um das geplante Nahwärmenetz und einen Energiestandard durchzusetzen der deutlich über die gesetzlich geforderte Minimallösung hinausgeht. Sei es im Bebauungsplan oder in den Durchführungsverträgen.
Denn auch Konstanzer Luxuswohnprojekte der letzten Jahre zeigen, daß im Detail der Reiche oft den gleichen lumpigen Energiestandard für seine Millionenwohnung bekommt wie der Mieter im sozialen Wohnungsbau. Die Preisdifferenz füllt allein die Taschen der „Projektentwickler“. In diesem Preissegment mehr Klimaschutz zu fordern treibt also noch nicht einmal die Wohnungspreise in die Höhe sondern schmälert lediglich den Gewinn derer die ohnehin genug haben.
Also lieber TUA, liebe Gemeinderäte: Ab jetzt gilt hoffentlich WIR ALLE leben 2000Watt.