Der Klimablog (111): Negativemissionen 2 – Carbon Capture and Storage
Im ersten Teil unserer Serie über die Negativen Emissionstechniken (NET) erläuterte unser Autor Manuel Oestringer, dass weniger Energieverbrauch und ein geringeres Bruttoinlandsprodukt am besten das Klima schützen. Und dass Aufforstung unter bestimmten Bedingungen hilft. Aber das reicht nicht. Und deswegen setzen vor allem Politiker*innen und Unternehmen auf die Speicherung des Treibhausgases CO2, das der Atmosphäre entzogen wird. Eine Schnapsidee?
In weniger als dreißig Jahren müssen wir weltweit klimaneutral sein. Doch voraussichtlich wird dies alleine nicht reichen, um die Temperaturerhöhung zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius zu stabilisieren. Je nach Szenario müssen ab 2050 zusätzlich zur Klimaneutralität jedes Jahr noch etwa 10 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden. In dieser Artikelserie geht es um die Frage, wie und ob das gelingen kann. Nachdem es in Teil 1 um die naheliegendsten Lösungen gegangen ist, namentlich Aufforstung und Humusaufbau, widmen wir uns heute deutlich technischeren Lösungen, die zum Rückrat der Modelle wurden, mit denen es gelingen könnte, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten: „Bioenergy and Carbon Capture and Storage“ (BECCS: Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung) sowie „Direct Air Carbon Capture and Storage“ (DACCS: CO2-Abscheidung und -Speicherung direkt aus der Luft).
Die Idee von BECCS ist relativ simpel: Man nehme Biomasse, beispielsweise einen großen Wald oder Energiepflanzen wie Mais oder Miscanthus. Diese Biomasse wächst zuerst und zieht dabei CO2 aus der Luft. Anschließend erntet man die Biomasse, das heißt, man holzt den Wald ab oder erntet den Mais und verbrennt die Masse. Das bei der Verbrennung entstehende CO2 wird abgeschieden und in unterirdische Lagerstätten, meist leere Erdöllager, gepresst. Auf diese Weise wird Kohlenstoff langfristig dem Kohlenstoffkreislauf entzogen – vorausgesetzt, die Lagerstätte ist dicht. Zusätzlich kann die beim Verbrennen entstehende Energie zur Stromproduktion genutzt werden.
DACCS hingegen setzt darauf, dass riesige Ventilatoren Luft ansaugen, aus der man das CO2 entfernt. Das geschieht meist, indem man es durch eine Flüssigkeit leitet und zu Carbonaten umwandelt. Anschließend transportiert man (wie bei BECCS) das aufgefangene CO2 durch ein Pipelinenetz zu unteridischen Lagern, wo es verpresst wird.
Wo der Teufel steckt
Nun stellt sich natürlich eine Reihe von Fragen: Kann das Ganze funktionieren? Wie viel Strom und wie viel Biomasse verbraucht das? Was kostet das?
Die Frage nach dem Funktionieren ist nicht ganz einfach zu beantworten, da die Techniken noch nicht sehr ausgereift sind und viele verschiedene Schritte enthalten. Aber beginnen wir hinten, am Ende der Kette, da die beiden Techniken da gleich sind. Also mit der Frage: Kann man CO2 unterirdisch lagern? Antwort: im Prinzip ja. Es gibt auf der Welt laut IPCC unterirdische Lagerstätten, die bis zu 1000 Mrd Tonnen CO2 sicher aufnehmen. Sicher heißt: Die Leckage-Rate darf 0,0008 Prozent nicht übersteigen.
Das Problem hier ist, dass diese Lagerstätten ungleich verteilt sind und nicht jede Carbon-Capture-and-Storage-Anlage direkt neben einem geeigneten Lager wäre. Also müsste ein klimaneutraler Transport im Milliarden-Tonnen-Maßstab organisiert werden.
Funktioniert es, CO2 aufzufangen? Auch hier gilt: im Prinzip ja. Aber der Teufel steckt im Detail. Die meisten Anlagen versuchen, 90 Prozent des ausgestoßenen CO2 wieder aufzufangen. Höhere Werte sind grundsätzlich möglich, erhöhen aber deutlich den Energie- und Konstruktionsaufwand und damit auch die Kosten. Und 90 Prozent Effizienz heißt, dass die Atmosphäre beim Verbrennen immer noch mit zusätzlichem CO2 belastet wird. Dazu kommt, dass es momentan schwierig ist, die Effizienz richtig zu bewerten. Derzeit gibt es weltweit lediglich ein Dutzend CCS-Anlagen, zumeist dienen sie dem Versuch, Kohlekraftwerke CO2-ärmer zu betreiben. All diese Anlagen haben bisher weniger CO2 aufgefangen und waren deutlich teurer als erhofft.
Gegenteilige Wirkung
Entscheidend für das BECCS-System ist die Frage: Gibt es genug Biomasse? Hier gehen die Probleme richtig los. Um die Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, müsste etwa die Fläche der EU (rund vier Millionen Quadratkilometer) zur Biomasse-Produktion bereit stehen. Diese riesige Fläche müsste dann regelmäßig gerodet und verbrannt werden. Würde die Biomasse auf landwirtschaftlichen Flächen produziert, müsste in etwa vierzig Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Fläche genutzt werden.
Die Hoffnung von BECCS beruht jedoch darauf, dass landwirtschaftlich ungenutzte Flächen zur Verfügung stehen. Auf ihnen könnte zum Beispiel das schnell wachsende, anspruchslose Miscanthus (schilfartiges Gras, siehe Bild) wachsen, das für die Landwirtschaft nicht geeignet ist. Ob diese Hoffnung realistisch ist, ist im Moment noch unbeantwortet, auch wenn es starke Zweifel an der Machbarkeit gibt. Sicher ist jedoch, dass es viele andere sinnvollere Nutzungen für landwirtschaftliche Reste gibt, wie etwa der Einsatz von Stroh als Bau- und Dämmmaterial.
BECCS wird immer gewaltige Mengen an Biomasse benötigen und damit unweigerlich in Konflikt mit anderen Landnutzungsarten treten. Dazu kommt, dass keine Wälder gerodet werden dürfen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 könnten die CO2-Emissionen bei der Umwandlung von Wäldern zu Äckern oder Baumplantagen so groß sein, dass BECCS nicht einmal negative Emissionen produzieren würde. Ganz zu schweigen davon, dass die Rodung von großen Wäldern zu einem Verlust an Artenvielfalt führt und andere wichtige Erdsystemkomponenten wie den Wasserkreislauf weiter unter Stress setzen.
Insgesamt ist es jedoch schwierig, eine pauschale Antwort zu geben, da die Effizienz von BECCS sehr stark davon abhängt, wo die Biomasse herkommt.
Aufwendig und großräumig: DACCS
Kommen wir zu DACCS: Wie viel Strom brauchen wir, um all das CO2 aus der Luft zu ziehen? Eine Studie aus dem Jahr 2019, die von der Annahme ausging, dass DACCS jedes Jahr 30 Milliarden Tonnen CO2 entfernen würde, stellte fest, dass die dafür benötigte Energie die Hälfte des heutigen weltweiten Stromverbrauchs betragen würde. Bei „moderaten“ 10 Milliarden Tonnen CO2 wären es immer noch beeindruckende 17 Prozent unseres heutigen Stromverbrauchs. Um dies in Relation zu setzen: 2021 wurde weltweit etwa 30 Prozent des Stroms mithilfe erneuerbarer Energien produziert.
Diese hohen Energiekosten bringen drei wichtige Nachteile mit, die berücksichtigt werden müssen:
– Erstens muss diese Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Um die Technik angemessen schnell hochzuskalieren, müssen wir bereits in großem Stil DACCS-Anlagen errichten, bevor wir weltweit klimaneutral sind. Das verlangsamt die Energiewende.
– Zweitens brauchen alle Arten von Stromerzeugung Ressourcen, genauso wie alle Arten von CO2-Abscheidungsanlagen und -Transportinfrastruktur. Ressourcenabbau ist immer umweltschädlich und momentan auch recht klimaschädlich. Eine deutliche Erhöhung des Stromverbrauchs bringt also eine Verschlechterung bei anderen planetaren Grenzen mit sich und verkleinert unseren Handlungsspielraum.
– Drittens ist es zwar deutlich flächeneffizienter, Anlagen zur Produktion von erneuerbarer Energien zu errichten als Biomasse für das BECCS-System anzubauen. Trotzdem muss auch diese Fläche bereitgestellt werden – und das wird zu Konflikten führen. Eine Studie aus Tübingen, in der eine etwas modifizierte DACCS Anlage diskutiert wurde, berechnete, dass vermutlich 17.000 Quadratkilometer oder etwa 4 Prozent der deutschen Landesfläche benötigt würden, um jährlich 10 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen.
Eine Billion US-Dollar im Jahr
So viel zu den rein technischen Aspekten von BECCS und DACCS. Es gibt jedoch noch eine wirtschaftliche Komponente, die, finde ich, zu häufig aus der Diskussion vergessen wird. Was kostet das Ganze?
Normalerweise halte ich es im Bereich der Klimadebatten für albern, all zu sehr über Kosten von Klimaschutzmaßnahmen zu diskutieren, da eine unbewohnbare Erde alle Kosten bei weitem übersteigt. Gleichwohl ist dies eine im Hinblick auf die negative Emissionstechnologien wichtige Frage. Denn die Kosten von BECCS und DACCS sind gewaltig.
Zwar sind Schätzungen noch mit einer sehr großen Unsicherheit behaftet, da beide Technologien noch nicht marktreif sind und stark von der Verfügbarkeit von Biomasse und Strom abhängen. Als Faustformel kann jedoch angenommen werden, dass BECCS in etwa 100 US-Dollar die Tonne CO2 kosten wird, während DACCS mit etwa 400 US-Dollar die Tonne noch einmal deutlich teurer ist. Das macht bei 100 Dollar pro Tonne und einem Volumen von 10 Milliarden Tonnen CO2 jährlich eine Billion US-Dollar. Und das ohne jeden Vorteil für die Gesellschaft – außer dem, dass künftige Klimakrisenfolgen weniger dramatisch ausfallen.
Wer zahlt?
Ist das bezahlbar? Vermutlich. Aber die spannende Frage ist eher: Werden wir es bezahlen? Und, wie immer: Wer ist eigentlich wir? Einer der großen Knackpunkte bei momentanen Klimaverhandlungen ist immer: Wer zahlt was? Nach langem, zähem Ringen hat sich der globale Norden bereit erklärt, 100 Milliarden US-Dollar jährlich für Klimaanpassung an den globalen Süden zu überweisen. Nur wurde erstens dieses Geld nie ganz gezahlt. Und zweitens handelte es sich bei einem großen Teils des Geldes um Kredite.
Sinnbildlich für diese Kostenfrage ist, dass fast alle aktuellen CCS-Anlagen sich darüber finanzieren, dass sie aufgefangenes CO2 in noch aktive Erdöllagerstätten pressen, um die Ausbeute an Erdöl zu erhöhen (Stichwort: Enhanced Oil Recovery). Momentan hilft CCS also nicht, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu reduzieren, sondern sie im Gegenteil zu erhöhen.
Es gäbe vermutlich politische Wege zur Lösung der Finanzierungsfrage. Einer wäre die weltweite Einführung eines CO2-Preises von mindestens 150 US-Dollar pro Tonne. Eine andere wäre es, einen wirksamen Kostenmechanismus in Klimaschutzabkommen zu integrieren. Doch all diese Ideen wirken angesichts der momentanen politischen Lage wie ferne Utopien.
Fazit: Unangemessen und vielleicht doch nötig
Können BECCS und DACCS ihren Beitrag leisten, um uns so dringend erforderliche Zeit zu kaufen? Im Laufe des Artikels ist hoffentlich klar geworden, dass BECCS und DACCS niemals ein Ersatz für wirksame CO2-Reduktion sein werden. Sondern lediglich ein Werkzeug, mit dem es uns gelingen kann, ein paar der Schäden zu reparieren, die wir bereits angerichtet haben.
Und auch dies geht vermutlich nur nach weitgehend systemischen Veränderungen unserer Weltwirtschaft. Interessanterweise sind genau die Tools, die von manchen (nicht von Wissenschaftler:innen) als Begründung angeführt werden, um heutzutage weniger Klimaschutz umzusetzen, nicht vereinbar mit unserer heutigen Weltwirtschaft. Wäre die Lage nicht so dramatisch, würde ich sagen, dass angesichts all der gewaltigen Nachteile und Risiken jede Diskussion über BECCS und DACCS unangemessen ist.
Doch angesichts der großen Gefahr, dass die Menschheit nicht rechtzeitig klimaneutral wird und wir wichtige Kipppunkte aktivieren, hat es einen Sinn, BECCS und DACCS als Notlösung weiter zu entwickeln. Persönlich halte ich es jedoch für unwahrscheinlich, dass BECCS und DACCS jemals im Multimilliarden-Tonnen-Maßstab CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Und dementsprechend halte ich es auch für unverantwortlich, die Hoffnung der Menschheit auf die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze auf diese Technologien zu setzen – zumal es noch einen ganz großen Haken gibt, der das Potential dieser Techniken noch einmal dramatisch reduzieren könnte: Unsere Klimaschulden im weltweiten Kohlenstoffkreislauf. Wie dieser funktioniert und warum er uns noch böse in Bedrängnis bringen könnte, steht in Teil 3 dieser Artikelserie.
Text und Audiobeitrag: Manuel Oesteringer von der Konstanzer Klimablog-Redaktion
Illustrationen: oben Industrieabgase (Pixabay), Schilfgras (©Miya.m_ CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia), Grafik: FFF Konstanz