Der Klimablog (112): Negativemissionen 3 – Großer Einsatz, kleine Wirkung?

Das Meer – vom CO2-Speicher zur CO2-Quelle?

Trotz größter Anstrengungen im Klimaschutz wird es wahrscheinlich nicht ausreichen, lediglich die menschengemachten CO2-Emissionen auf Null zu bringen. Es müssen zusätzlich jedes Jahr noch Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre gezogen werden. Aber klappt das auch?

Teil 3: Der Kohlenstoffkreislauf

Nachdem in Teil 1 und Teil 2 der kleinen Artikelserie vor allem zwei viel diskutierte Methoden vorgestellt wurden, um große Mengen CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, geht es in diesem dritten Teil noch einmal einen Schritt zurück, um eine fundamentalere Frage zu klären. Bisher gingen wir in unseren Überlegungen immer davon aus, dass eine oder mehrere Techniken große Mengen an CO2 aus der Atmosphäre ziehen können und dass die Konzentration an CO2 danach um genau diese Menge geringer ist.

Doch dies ist leider nicht der Fall. Denn das wirkliche Verhalten des Erdsystems ist deutlich komplizierter – und dies könnte die Effizienz der Negativemissionstechnologien (NETs) dramatisch verringern. In diesem Artikel geht es darum, wie der Kohlenstoffkreislauf in den vergangenen 200 Jahren unser größter Verbündeter im Kampf gegen die Erderhitzung war. Und wie sich das ändern könnte, wenn wir die Richtung wechseln.

Seit 1850 hat die Menschheit rund 2500 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen. Eine beeindruckende Zahl und noch beeindruckender daran ist, dass fast die Hälfte davon seit dem Beginn der Klimaverhandlungen 1990 dazu kam. Diese 2500 Milliarden Tonnen CO2 haben die durchschnittliche Temperatur auf der Erde um etwa 1,2 Grad Celsius erhöht – mit all den Folgen, die wir derzeit erleben: Fluten, Dürren, Hitzewellen, und so weiter. Trotz dieser verheerenden Katastrophen hatten wir auf eine Art aber auch Glück. Denn der globale Kohlenstoffkreislauf war bis jetzt unser Verbündeter. Von den 2500 Milliarden ausgestoßenen Tonnen sind heute nur etwa 42 Prozent in der Atmosphäre. Der Rest wurde von den Meeren und den Wäldern aufgenommen.

Das Erdsystem hilft (noch) mit

Aktuell stoßen wir pro Jahr fast 60 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente aus. Von diesen 60 Milliarden werden etwa 10 Milliarden Tonnen im Jahr an Land aufgenommen, vor allem weil Pflanzen mehr Photosynthese betreiben als Tiere ausatmen. Das Meer hilft ebenfalls mit:  Weitere 10 Milliarden Tonnen lösen sich im Wasser. Das Erdsystem nimmt somit jährlich etwa 20 Milliarden CO2-Äquivalente auf  (die Rede ist hier von Äquivalenten, weil nicht nur CO2 ein Treibhausgas ist).

Bei unseren bisherigen Überlegungen waren wir immer davon ausgegangen, dass diese Prozesse im wesentlich intakt bleiben, also weiterhin pro Jahr 20 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Und dass wir mit diversen Techniken zusätzlich weitere 10 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen können. Unsere gesamten Negativemissionen könnten mithin 10 plus 20, also 30 Milliarden Tonnen umfassen.

Leider ist diese Annahme aber falsch. Denn im Kohlenstoffkreislauf stehen die großen Komponenten Atmosphäre, Land, Meer und (für unsere Diskussion hier vernachlässigbar) das geologische Reservoir miteinander im Gleichgewicht. Verändern wir den Kohlenstoffzufluss in eine der Domänen, verändern wir den Zu- und Abfluss der anderen Domänen gleich mit.

Photosynthese und Zellatmung

Wie läuft das ab? Der CO2-Zufluss zum Meer wird über den Unterschied in der CO2-Konzentration im Meer und in der Atmosphäre gesteuert (für die Naturwissenschaftler*innen: genau genommen reden wir vom Unterschied des CO2-Partialdruckes). Haben wir eine größere CO2-Konzentration in der Luft als im Meer – so wie das der Fall ist, wenn die ganze Zeit Kohlenstoff verbrannt wird –, dann ist die CO2-Konzentration in der Luft höher und das Meer nimmt mehr CO2 auf. Ist die Situation umgekehrt und die CO2-Konzentration in der Luft niedriger als im Meer, dann gasen die Ozeane CO2 aus und die beiden Konzentration gleichen sich an. Im Meer selbst wird das CO2 dann durch die biologische und die physikalische Kohlenstoffpumpe verteilt; entscheidend ist hierbei vor allem, wie viel CO2 in tiefere Meeresschichten gelangt.

An Land ist der Prozess etwas schlechter zu verstehen; doch die Grundprinzipien sind auch hier schnell erzählt: CO2 wird vor allem durch Photosynthese an Land gebunden, während es durch das Verbrennen von Wäldern, Kohle, Öl und Gas in die Atmosphäre entweicht. Vor allem spielt dabei aber auch die Zellatmung eine Rolle.

Photosynthese und Zellatmung werden zu großen Teilen durch allgemeine klimatische Bedingungen wie Temperatur, Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit bestimmt, die sich an manchen Orten sehr zu Gunsten der Pflanzen entwickeln könnten und an den meisten Orten sehr zu Ungunsten. Im Amazonas-Regenwald kann das Zusammenspiel dieser Faktoren und der verheerende Klimaeinfluss gut beobachtet werden. Ein zusätzlicher wichtiger Faktor ist der Düngemitteleffekt von CO2. Mehr CO2 führt zu mehr Photosynthese und effizienterer Wassernutzung der Pflanzen.

Zusätzlich werden große Mengen an Kohlenstoff über Flüsse in die Meere transportiert und beeinflussen so auch den maritimen Kohlenstoffkreislauf. Außerdem stehen Süßwassergewässer – wie das Meer – mit der atmosphärischen CO2 Konzentration im Gleichgewicht.

Von der Senke zur Quelle

Was passiert nun, wenn negative Emissionen jedes Jahr der Atmosphäre mehr CO2 entziehen als hinzukommt? Nun, wie bereits beschrieben, wird das Meer zuerst immer weniger CO2 aufnehmen und beginnt schließlich, CO2 auszugasen. Die zweitgrößte Kohlenstoffsenke der Welt wird also Schritt für Schritt schwächer und schließlich zu einer Kohlenstoffquelle.

Für das Land können wir hingegen erwarten, dass der CO2-Düngemitteleffekt schwächer wird und dass der Zufluss von Kohlenstoff zum Meer auch schwächer wird. Die restlichen Vorgänge an Land sind etwas komplizierter, da sie von allgemeinen klimatischen Vorgängen abhängen und der Verfügbarkeit von Nährstoffen. Dementsprechend schwanken die Modelle zwischen der Annahme, dass die Kohlenstoffsenke des Landes sukzessive schwächer wird, bis hin zu der Erwartung, dass aus der Senke eine Quelle wird.

Wie groß sind die Effekte und wie schnell treten sie auf? Dazu gibt es keine klare Schwarzweiß-Antwort, da über viele Punkte noch Unsicherheit besteht. Zum Beispiel: Macht es einen Unterschied, bei welcher Erderhitzung und CO2-Konzentration der Prozess beginnt? Und ob für eine lange Zeit wenig Kohlenstoff entfernt wird oder für eine kurze Zeit viel?

Zwei Simulationen geben uns jedoch etwas Einsicht in die Größenordnung: In der einen wurde ein vorindustrielles Klima simuliert, indem auf einen Schlag 100 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt wurden. Das (errechnete) Ergebnis: Sowohl das Meer als auch das Land würden nahezu direkt zu einer CO2-Quelle. Innerhalb von 100 Jahren gasen dann Meer und Land 75 Prozent des entfernten CO2 wieder aus, bevor sich die CO2 Konzentration stabilisiert.

In einer anderen (für uns relevanteren) Simulation wird davon ausgegangen, dass wir durch eine Art Middle-of-the-Road-Klimaschutz im Jahr 2100 erstmals weltweit vollständig klimaneutral werden (bei einer Temperaturerhöhung von 2,5°C). Von 2100 bis 2200 werden dann etwa 1500 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt. Wie bereits in der ersten Simulation wandelt sich sowohl das Land als auch das Meer in eine Kohlenstoffquelle um und reduziert im Laufe dieser 100 Jahre die Effektivität der Negativemissionen um etwa 50 Prozent. Das würde bedeuten, dass nach einem Jahrhundert großskaliger Negativemissionen mit Erdsystemrückkopplung die Erderhitzung von 2,5 auf 2° Celsius reduziert werden könnte.

Höchstens fünfzig Prozent Effizienz

Wir sehen also: in den beiden diskutierten Simulationen verlieren wir in Zeitskalen um etwa 100 Jahre die Hälfte bis Dreiviertel des entfernten CO2s wieder an die Atmosphäre.

Künftige Studien werden diese Vorgänge noch genauer beschreiben können und uns Auskunft über die tatsächliche Effizienz geben. Doch für den Moment können wir sagen: Die tatsächliche Effizienz von Negativ-Emissionstechniken (und das gilt sowohl für „natürliche“ wie Aufforstung oder Bodenaufbau als auch für „künstliche“ wie BECCS und DACCS [www.seemoz.de …]), sinkt um etwas mehr als die Hälfte, wenn wir die Reaktion des Kohlenstoffkreislaufes mit berücksichtigen. Wenn wir also 10 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre ziehen wollen, dann müssen wir tatsächlich eher zwischen 20 und 30 Milliarden Tonnen CO2 entfernen.

Das heißt, unsere in Teil 1 und Teil 2 diskutierten Potenziale waren deutlich zu optimistisch. Dass wir sie so betrachtet haben, hatte trotzdem einen Sinn. Denn in den meisten Studien wird betrachtet: Mit Technik XY kann man unter gegebenen Bedingungen Z Tonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Und auch für uns war es erst einmal praktisch, die Potenziale abzuschätzen. Aber wie sieht die Realität aus?

Um 10 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, müsste eine Fläche in Größe der EU für die BECCS-Methode bereitgestellt werden, und für das DACCS-System würden etwa 17 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs benötigt. Da aber 10 Milliarden – wie wir jetzt wissen – bei weitem nicht reichen, bräuchte es für BECCS mindestens die Fläche der USA (inklusive Alaska). Oder beim mechanischen CO2-Entzug etwa einem Drittel des weltweiten Stromverbrauchs. Und wie sieht es mit der Aufforstung aus? Hier liegt das theoretische maximale Pozential laut IPCC zwischen 0,5 und 10 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Eine bessere Bodenbearbeitung hätte ein Ergebnis in etwa derselben Größenordnung – jeweils ohne Berücksichtigung von Rückkopplungen des Erdsystems.

Starke Nebenwirkungen, geringe Erfolgsaussichten

Wie in Teil 1 erwähnt, gibt es übrigens noch deutlich mehr Ideen, der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Wenn wir irgendeine Chance haben wollen, werden wir vermutlich viele dieser Techniken parallel laufen lassen müssen – inklusive der neuen Herausforderungen und Problemen, die eine Kombination der Techniken mit sich bringen wird.

Im Übrigen stoppt die CO2-Entfernung weder den Meeresspiegelanstieg, noch können überschrittene Kipppunkte wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzt werden (es gibt dafür zwar eigene technische Ideen  – aber mit starken Nebenwirkungen und geringer Erfolgsaussicht).

Die realistische Option

Fazit: Negative Emissionen sind an und für sich machbar. Die entscheidende Frage ist jedoch, in welchem Umfang die jeweilige Methode andere planetare Grenzen beeinflusst. Je länger es jedoch dauert, bis endlich endschieden gehandelt wird beim Klimaschutz, desto größer wird die Menge an CO2 sein, die entfernt werden muss. Es ist sehr fraglich, dass dies machbar ist.

Dennoch muss die Gesellschaft auch in der Frage der Negativ-Emissionstechniken eine Entscheidung treffen. Die momentan vorgesehene Finanzierung reicht jedenfalls bei weitem nicht aus,

Die größere Frage ist jedoch: Wann nehmen wir die Klimakrise ernst? Dann müssten Wissenschaftler:innen auch nicht mehr verzweifelt über unrealistisch hohe Negativemissionsmodelle nachdenken – in der vagen Hoffnung, einen Ausweg zu finden. Und das, weil derzeit physikalisch realistischere Optionen wie eine rasante Energiereduktion verbunden mit einer sehr schnellen Energiewende als unrealistisch abgelehnt werden.

Text und Audiodatei: Manuel Oestringer von der Klimablog-Redaktion
Bilder: unsplash.org / iaea.org / Umweltbundesamt

Der Klima-Blog (hier die 112. Ausgabe) wird von Aktivist*innen von Fridays for Future Konstanz verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Frühere Artikel und Blogs finden Sie HIER.