Neue Sitze, aber alte Probleme im Konstanzer Gemeinderat

20120926-222832.jpgEin runder Tisch als Symbol neuer Offenheit? Oberbürgermeister Uli Burchardt will zumindest äußerlich in seiner ersten Gemeinderatssitzung überraschen: Die 40 Stadträte sollen im Kreis sitzen und tagen. Zunächst noch nur zur Probe mit Ecken und Kanten, später aber oval. Rund 60 000 Euro soll der neue Runde Tisch dann kosten. Doch schon macht sich Unmut breit unter den alt eingesessenen Räten – und OB Burchardt bekommt einen Vorgeschmack, wie ungemütlich der Gemeinderat werden kann

Dabei hatte sich der Uli das so hübsch ausgedacht – eine Überraschung sollte es werden für die RätInnen und die Fotografen. Denn die ersten Pressefotos könnten den offenen Kreis zeigen, könnten von Aufbruchstimmung künden und wahrer Transparenz. Und nun das: Erste Stimmen aus dem Gemeinderat werden laut, die es gar nicht gut finden, den lauschenden Bürgern den Rücken zu zukehren, andere pochen auf die parlamentarische Tradition (wer rechts denkt, sitzt rechts, wer links argumentiert, sitzt links) und wieder andere beklagen die hohen, unnötigen Kosten für ein rundes Holz-Ungetüm. So lernt der neue OB gleich zu Beginn seiner Amtszeit, dass auch ein rundes Ding zwei Seiten haben kann.

Ansonsten erwarten den OB in der heutigen Gemeinderatssitzung, der ersten unter seinem Vorsitz, (ab 16 Uhr im Ratssaal, eine Livestream-Übertragung findet nicht statt, gegen 18 Uhr dürfen für wenige Minuten auch BürgerInnen etwas fragen oder anregen; und einen nicht öffentlichen Teil der Sitzung gibt auch noch, dazu unten mehr) fast nur Erblasten seines Vorgängers. Und eine womöglich erweiterte Tagesordnung.

Tritt Konstanz der Initiative „Vermögenssteuer jetzt“ bei?

Denn auf Initiative der LLK fordern in einem fraktionsübergreifenden Antrag FGL- sowie SPD-Fraktion und die Linke Liste, über ein zusätzliches Thema zu befinden: Große Vermögen sollen so schnell wie möglich wieder einen Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Leistungen bringen. Das fordert die Initiative „Vermögenssteuer jetzt!“. Auch die Stadt Konstanz soll diesen Aufruf unterstützen, fordern SPD, Grüne und Linke Liste in ihrem Antrag und bitten den Oberbürgermeister, das Thema im Gemeinderat auf die Tagesordnung zu setzen.

Wer zahlt das Defizit der Philharmonie?

Die Fakten sind längst bekannt: Die Südwestdeutsche Philharmonie schiebt ein Defizit von 697.345,90 Euro vor sich her; der Intendant Florian Riem geht zum Ende des Monats, verweigert aber jegliche Stellungnahme und soll auch deshalb – so der Orchesterausschuss in seiner Empfehlung an den Gemeinderat – nicht entlastet werden. Spannend jedoch dürfte die Diskussion werden, wie dieses Haushaltsloch denn gestopft werden soll, wo also zukünftig gespart werden muss: OB Uli Burchardt und Stadtkämmerer Hartmut Rohloff werden Vorschläge auf den noch nicht ganz runden Tisch legen müssen.

Wird die Chérisy zugebaut?

Auch die Änderung des Bebauungsplanes Elberfeld – dahinter verbirgt sich ein Freifahrtschein für die Investoren von Studentenwohnheimen auf dem Chérisy-Areal – beschäftigt das Stadtparlament seit vielen Monaten. In der vorbereitenden TUA-Sitzung hatten sich FGL- und LLK-Vertreter mit ihren Forderungen – Verhinderung einer späteren Umwandlung der Studentenbuden in Eigentumswohnungen und Maßnahmen gegen die Verkehrsvermehrung – nicht durchsetzen können. Zu befürchten ist, dass sich auch im Gemeinderat eine Mehrheit aus CDU, SPD, FWG und FDP finden wird, die den Bauherren alle Türen und Tore meilenweit öffnen will. Wenn, ja wenn nicht der Protest der Chérisy-Bewohner auch mal Einzug in den Ratssaal hält.

Wie heißt die Von-Emmich-Straße in Zukunft?

Das war kein Ruhmesblatt für den Gemeinderat: Die Diskussion um einen neuen Namen für die Kriegshelden-Straße Von Emmich in Petershausen wurde vor der Sommerpause einer Fußballspiel-Übertragung im Fernsehen wegen ausgesetzt. Jetzt wird das Thema wieder aufgegriffen, und im Beamtendeutsch liest sich das so: „Die Straßenbenennungskommission empfiehlt dem Gemeinderat aufgrund des Vorliegens neuer Erkenntnisse die Aufhebung des Beschlusses des Gemeinderates vom 29.03.2012 über die Umbenennung der Von-Emmich-Straße in Georges-Ferber-Straße“. Hinter den „neuen Erkenntnissen“ verbirgt sich nichts anderes als der Protest der Anwohner, die von der Stadtverwaltung viel zu spät über die Pläne zur Umbenennung ihrer Straße informiert wurden. Zumindest über neue Verfahrensweisen bei Straßenumbenennungen wird auch in der heutigen Gemeinderatssitzung zu sprechen sein.

Was wird hinter verschlossenen Türen ausgehandelt?

Trotz aller Beteuerungen zur Bürgerbeteiligung, trotz aller Forderungen nach mehr Transparenz, denen man im OB-Wahlkampf auch schon nicht ganz glauben mochte, zieht sich der Gemeinderat sogar in seiner aktuellen Sitzung hinter verschlossene Türen zurück. In nicht öffentlicher Sitzung soll, so war aus verschiedenen Vorbesprechungen zu hören, unter anderem über eine Honorar-Rückforderung verhandelt werden.

Zu vermuten ist, dass es sich um Rechtsanwaltskosten aus dem Müller-Esch-Fall handeln könnte. Man erinnert sich: Nach dem für die Stadt nur peinlichen Kündigungsschutzverfahren des geschassten Chefarztes Müller-Esch kamen in öffentlicher Stadtratssitzung die Honorare des Dr. Endemann, Anwalt des Klinikums, zur Sprache. Damals wurde beschlossen, die womöglich übertriebenen Forderungen der Münchner Kanzlei durch die Rechtsanwaltskammer überprüfen zu lassen. Ein solches Gutachten liegt, so darf vermutet werden, jetzt wohl vor.

Warum aber über diese Erkenntnisse einmal mehr in Hinterzimmern beratschlagt werden soll, bleibt das Geheimnis der Stadtverwaltung. Von dem verantwortlichen Bürgermeister Claus Boldt konnte man anderes nicht erwarten, vom neuen Oberbürgermeister schon. Zu deutlich noch klingen die Treueschwüre zu mehr Offenheit und mehr Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger aus dem letzten Wahlkampf in den Ohren. Es wird Zeit, dass Uli Burchardt den Worten nun Taten folgen lässt.

Autor: hpk