Neues Schuljahr, neue Gemeinschaftsschule – Wandel des Schulsystems in Konstanz

Wandel des Schulsystems in KonstanzZu Beginn des neuen Schuljahrs eröffnet am Zähringerplatz die zweite Gemeinschaftsschule neben der Gebhardschule. Die Theodor-Heuss-Realschule wird hingegen auslaufen. Diese bildungspolitische Entscheidung war im Gemeinderat kontrovers diskutiert worden. FGL-Stadtrat Till Seiler begrüßt die Eröffnung der neuen Schule und analysiert den Zusammenhang mit der langfristigen Schulentwicklung in Konstanz.

Für das Schuljahr 2022/2023 wurden 36,9 % der zukünftigen Fünftklässler*innen an den beiden Gemeinschaftsschulen angemeldet, im Landesschnitt sind es lediglich 15,5 %. Hier spiegelt sich zunächst der Erfolg der Gemeinschaftsschule Gebhard wider. Um zu vermeiden, dass diese Schule immer größer wird, entsteht nun am Zähringerplatz eine zweite, kleinere und überschaubare Gemeinschaftsschule. Beide Schulen sollen im Rahmen des Konzepts „Family of Schools“ einerseits eng kooperieren und andererseits eigenständige Profile entwickeln. An der neuen Gemeinschaftsschule steht die berufliche Orientierung unter dem Aspekt „Werkstatt – Vom Wissen zum Handeln“ im Mittelpunkt.

Die Schulart Gemeinschaftsschule ist besonders mit dem Ideal der Chancengleichheit bei der Bildung verbunden. Es wird hier vermieden, dass Schüler*innen bereits im Zusammenhang mit dem Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen sehr frühzeitig auf ihren weiteren Bildungsweg festgelegt werden, der dann – wie entsprechende Studien belegen – eben nicht nur von der individuellen Begabung, sondern etwa in gleichem Maße auch vom Status des Elternhauses abhängig ist. Die Gemeinschaftsschule möchte möglichst lange den Weg zu den verschiedenen Abschlüssen offenhalten. Konkretes Beispiel: Wenn eine zweite Fremdsprache in der sechsten Klasse, die das Gymnasium für alle Schüler*innen vorsieht, als Überforderung erscheint, so kann diese auch erst in späteren Jahren noch begonnen werden. Wichtig ist also, dass der Weg zum Abitur länger offen bleibt, aber eben mit gleichem Stellenwert auch eine gute Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss sowie die Mittlere Reife erfolgt.

An den vier Gymnasien der Stadt wurden zusammen 52,5 % der Schüler angemeldet. Das Gymnasium wird also im Bildungssystem auf absehbare Zeit eine wichtige Säule bleiben.

Trotz der guten Arbeit der Werkrealschule Berchen wurden dort für das kommende Schuljahr nur 1,8 % des Jahrgangs angemeldet, das sind gerade mal zwölf Schüler*innen. Vor einigen Jahren wurde das Auslaufen der zweiten Werkrealschule im Schulverbund Geschwister-Scholl noch von einigen Bildungspolitiker*innen vehement bekämpft. Aus heutiger Sicht kann man feststellen, dass es absurd wäre, diese zwölf Schüler*innen auf zwei Standorte aufzuteilen.

Damit ist das dreigliedrige Schulsystem in Konstanz an sein Ende gekommen, stattdessen entsteht ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule. Ein solches Modell wurde etwa bereits im gesamten Bundesland Schleswig-Holstein und auch in Tübingen etabliert, wo es keine Realschulen mehr gibt.

[the_ad id=“87862″]Jenseits der bildungspolitischen Debatten werden sich die beiden Schularten Gemeinschaftsschule und Realschule annähern müssen: Die Realschule bereitet heute nicht nur auf die Mittlere Reife vor, sondern nimmt auch den Hauptschulabschluss ab. Dies ausschließlich über äußere Differenzierung organisieren zu wollen (also einen abgetrennten Werkrealschul-Zug einzurichten), erscheint nicht mehr zeitgemäß, so dass sich die Realschulen auch für an den Gemeinschaftsschulen erfolgreich praktizierte Formen der Binnendifferenzierung öffnen. Umgekehrt gibt es natürlich auch äußere Differenzierung an Gemeinschaftsschulen, insbesondere bei der unmittelbaren Vorbereitung auf die Bildungsabschlüsse.

Im Zwei-Säulen-Modell wird es auch zu Schulartwechseln vom Gymnasium zur Gemeinschaftsschule kommen. Diese Wechsel gab es bisher in Konstanz kaum, da vom Gymnasium kommende Schüler*innen von den Realschulen aufgenommen wurden, da an der Gemeinschaftsschule die Kapazitäten fehlten. Allerdings erscheint es dringend notwendig, dass die Zahl dieser teilweise problematischen Wechsel deutlich reduziert wird. Hier ist die Schulart Gymnasium gefragt, bessere Förderkonzepte zu entwickeln und nicht mehr so stark die Verantwortung für den schulischen Erfolg auf die Elternhäuser abzuwälzen. Die vier Konstanzer Gymnasien könnten auch eine „Family of Schools“ bilden und in diesem Zusammenhang ein gemeinsames Konzept entwickelt.

Abschließend: Das Zwei-Säulen-Modell bedeutet für die kommunale Schulentwicklung konkret, dass der Sekundarbereich der Berchenschule als reiner Werkrealschul-Standort nicht zukunftsfähig ist. Außerdem: Die geplante neue Sekundarschule am Hafner muss eine Gemeinschaftsschule sein!

Text und Bild: Till Seiler, Stadtrat FGL, der hier seine persönliche Meinung wiedergibt