Noch eine Chance fürs Abendgymnasium
„Bestürzt“, „schockiert“, „veräppelt“ fühlten sich quer durch alle Fraktionen die KreisrätInnen im Schulausschuss: Die Mitgliederversammlung der Volkshochschule (vhs) Konstanz-Singen hatte beschlossen, mit dem Abiturjahrgang 2020 das Abendgymnasium auslaufen zu lassen – ein 2. Bildungsweg (Erringung der nachträglichen Hochschulreife) wäre damit im Landkreis Konstanz ausgeschlossen. Doch das einhellige Votum des Kreistags-Ausschusses eröffnet dem Abendgymnasium noch eine Chance.
Die vhs-Mitgliederversammlung (neben dem Landkreis Konstanz sind das die Städte Singen, Konstanz, Stockach und Radolfzell) soll nun aufgefordert werden, ihren Beschluss zu revidieren – der Landkreis wäre dabei bereit, seinen Drittel-Anteil eines möglichen Defizits von 20 000 Euro zu übernehmen. Richtig – es handelt sich um läppische 20 000 Euronen, für den die vhs-Geschäftsführung aus Nicola Ferling und Dorothee Jacobs-Krahnen bereit gewesen wäre, ihren Bildungsauftrag über Bord zu schmeißen.
Hintergrund: Erstmals legt die vhs für das Geschäftsjahr 2018 einen Wirtschaftsplan vor, der den Trägern keine erhöhten Zuschüsse abverlangt – das Gejammer der städtischen Kämmerer nach „wirtschaftlicher Haushaltsführung“ hatte endlich gefruchtet. Diese Bilanz jedoch würde verhagelt, wenn das Abendgymnasium als Kostenfaktor für ein Defizit sorgte – dafür sollte diese wichtige Einrichtung des 2. Bildungsweges abgeschafft werden.
Kritik querbeet
Genau da setzte die Kritik von Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) an: Dem ehemaligen Schulrektor ging das pädagogische Herz auf, als er den „unverständlichen Schlag“ gegen „eine hochrangige Nachqualifizierungsinstitution“ geißelte; stattdessen forderte er, dem „Bildungsauftrag Vorrang vor der Kostensicht“ zu geben. Ins selbe Horn blies Rainer Luick (Grüne), als Professor ebenfalls pädagogisch bewandert, der „gerade am Bildungsstandort Konstanz“ die Schließung des Abendgymnasiums „als fatalen Schritt in die falsche Richtung“ bezeichnete. Gleichzeitig berichtete er von „fragwürdigen Lehrer-Leistungen“, die zu einer hohen Abbrecher-Quote führten.
Tatsächlich sind die Anmeldungszahlen rückläufig: von 45 im Schuljahr 2014/15 über 60 im Schuljahr 2016/17 bis zu 43 im laufenden Schuljahr. Entscheidend für das Regierungspräsidium (RP), das die 14 Lehrerstellen finanziert, sind die Anmeldungen in der Eingangsklasse: Da liegt die Quote mit 14 Anmeldungen im aktuellen Schuljahr um zwei Zähler unter der vom RP akzeptierten Richtzahl. Doch Ausnahmegenehmigungen für mindestens drei Jahre sind üblich, weshalb im Schulausschuss auch das Wort vom „vorauseilendem Gehorsam“ umging.
Einhelliges Votum
„Das passiert auch nicht alle Tage, dass die Linke Herrn Müller-Fehrenbach und seiner CDU voll umfänglich zustimmt“, so der Linken-Vertreter im Ausschuss. Dennoch müsse kritisiert werden, wie die vhs-Geschäftsführung ihren Bildungsauftrag verstehe. Dem schloss sich Dieter Rühland (Neue Linie) an, der Nicola Ferling vorwarf, nicht genug Werbung für das Abendgymnasium betrieben zu haben. Einzig Rainer Stolz von den Freien Wählern, Stockacher Bürgermeister und als Teilnehmer der Mitgliederversammlung für den Kürzungsbeschluss mitverantwortlich, redete weiterhin der Wirtschaftlichkeit das Wort – er enthielt sich als einziger dem ansonsten einstimmigen Votum der Ausschussmitglieder, den Abschaffungsbeschluss für das Abendgymnasiums abzuändern.
Das letzte Wort aber hat der Kreistag in seiner Sitzung am 18. Dezember. Dann steht zwar die Haushaltsdebatte an, bei der es um ganz andere Summen geht als um die 20 000 Euro für das Abendgymnasium – dennoch kann bei anderen Mehrheitsverhältnissen nicht unbedingt von einem Ja für das vhs-Abendgymnasium ausgegangen werden. Trotzdem – die Chance ist da.
hpk (das vhs-Foto zeigt die Absolventen des 2017-Jahrgangs des Abendgymnasiums)
Alle sprechen von Bildung – und der Landkreis Konstanz schafft das Abendgymnasium ab! Es gab ja schon desöfteren Schlagzeilen, die die besondere Naivität unserer Region in bestimmten Belangen zum Ausdruck brachten. Aber diese Nachricht sollte es wieder einmal in die Bestenlisten der fahrlässigsten Entscheidungen Deutschlands schaffen. Denn mit dem Ende des zweiten Bildungsweges hier vor Ort würden wir einen Ast absägen, auf dem wir selbst sitzen. Schließlich sind die Absolventen des Abendgymnasiums unsere tatkräftigen Steuerzahler von morgen!
Doch wo bleiben die Aufschreie derjenigen, die sich ansonsten für das Thema „Weiterbildung“ in den Ring werfen? Die darauf setzen, dass Menschen ihr eigenes Leben in die Hand nehmen, Chancen nutzen und sich qualifizieren für einen Aufstieg in der Gesellschaft? Wir diskutieren über Digitalisierung an unseren Schulen – und schaffen es gleichzeitig nicht einmal, einen zweiten Bildungsweg zu garantieren. Da offenbart sich das Auseinanderdriften politischer Visionen und der alltäglichen Realität an einem praktischen Beispiel – und niemand heult auf?
Es liegt sicher nicht allein an der Nachfrage, dass man nun überhaupt über ein Aus des Abendgymnasiums debattiert. Sondern daran, einen vergleichsweise geringen Posten eines Zuschusses dort einzusparen, wo er am sinnvollsten eingesetzt wäre. Politik ist nicht immer logisch, oftmals ist sie einfach nur unvernünftig. In diesem Fall haben die roten Zahlen jeglichen Verstand ausgeblendet, wurde die Tragweite einer solchen Entscheidung völlig missachtet. Statt darüber nachzudenken, wie man Menschen für den zweiten Bildungsweg begeistern kann, soll gestrichen werden. Das klingt nach der einfachen, aber sicher der folgenreichsten Lösung.
Und trotzdem bleiben die Reaktionen verhalten. Vielleicht, weil der Einsatz für eine gute Sache doch nicht alle finanziellen Mittel heiligt? Es geht aber um weit mehr: Das Abendgymnasium ist ein für Deutschland unabdingbarer Teil des Bildungswesens, der es jenen, die den Mut, die Leistungsbereitschaft und die Eigenverantwortung aufbringen, es in ihrem Leben noch weiter zu schaffen, eine Perspektive zur persönlichen Fortentwicklung anbietet. Deren Träume zu enttäuschen, deren Anrecht auf Bildung zu beschneiden, das hat schon etwas Martialisches.
Und letztlich sollten sich die Verantwortlichen auch fragen, welchen immateriellen Wert, welches Ansehen und welche Bedeutung hinter dem Abendgymnasium steckt. Wer seinen Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg bestreitet, ist angesehen und wird hoch gelobt. Denn er ermöglicht die Weiterqualifizierung der Menschen, die wir fortan brauchen: Fachkräfte auf allen Gebieten, die bewiesen haben, dass ihnen auch das nebenberufliche Pauken nicht zu viel ist, denen der Feierabend nicht zu schade für Fortbildung scheint. Solche Vorbilder braucht unser Land – und für diese Chance will unsere VHS, will unser Kreis mit einem überschaubaren Teil an (Steuer-)Geldern nicht mehr einstehen?