Nötig ist zivile statt militärischer Aufklärung

Unter dem Titel „Schlepper? Schleuser? Menschenhändler? Die wahren Ursachen von Flucht und Asyl“ referierte Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete und entwicklungspolitische Sprecherin der Linken, in der Konstanzer Uni über Fluchtursachen und fand Gründe dafür in der deutschen und europäischen Handels-und Sicherheitspolitik.

„Die derzeitige EU-Politik ist nur repressiv“, erklärt die Bundestagsabgeordnete, „die Berichterstattung und die Suche nach Gründen sind sehr einseitig.“ Die Schleppernetzwerke als Hauptursache für die Migration nach Europa zu sehen, sei zu kurz gefasst. Vielmehr sei die neoliberale Handelspolitik der EU maßgeblich verantwortlich für Fluchtbewegungen weltweit.

Als entwicklungspolitische Sprecherin konnte Frau Hänsel hier einen detaillierten Einblick geben. Viele Länder, beispielsweise in Afrika, seien über neokoloniale Abhängigkeiten fest an die EU gebunden. Während diese Länder mit billigen Agrarprodukten sowie Waren aus Europa überschwemmt werden, werden dort geförderte Rohstoffe billig in die EU importiert. Sowohl Importzölle für Waren aus der EU als auch Zölle für Exporte in die EU sollen in diesen Ländern, unter massiver Kritik von Entwicklungsorganisationen, weiter gesenkt werden. Was das für regionale Märkte, Kleinbauern und die Volkswirtschaften bedeutet, liegt auf der Hand. „Wir erleben eine Verarmung bei gleichzeitiger Konzentration von Macht zum Beispiel durch Landübernahme“, resümiert Heike Hänsel.

Die Veranstaltung wurde moderiert von Simon Pschorr, Landtags-Kandidat der Linken in Konstanz. Organisiert wurde sie von der Hochschulgruppe linksjugend [’solid] der Uni Konstanz.

Über sogenannte Freihandels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen soll diese Handelspolitik  noch weiter verschärft werden. „TTIP ist da nur das bekannteste, dabei gibt es unzählige weitere Abkommen dieser Art“. Es herrsche ein regelrechter Handelskampf um den Zugang zu Ressourcen, Land und Märkten. Die EU gehe in die Offensive und in Konkurrenz zu den anderen Großmächten und versuche so, viele bilaterale Abkommen wie möglich auf den Weg zu bringen.

Handelspolitik = Flüchtlingsabwehr

Diese Handelspolitik stehe außerdem im Lichte des Grenzschutzes und der Flüchtlingsabwehr. „In jedem Handelsvertrag gibt es auch ein Migrationskapitel“, erklärt Heike Hänsel. „Dort wird von irregulärer Migration geredet, von Flüchtlingsabwehr und davon, die Grenzsicherung zugunsten der Interessen der EU auszuweiten. Es gibt also eine immer weitere Grenzverlagerung in die Länder des Südens“, stellt die entwicklungspolitische Sprecherin der Linken fest.

Was den Umgang mit den Problemen von Flucht angehe, gebe es zwar viele schöne Reden im Bundestag, aber wenig konkrete Vorschläge. Insgesamt bestehe wenig Interesse, sich mit dem Thema Fluchtursachen auseinanderzusetzen. Die Bundesregierung selbst sei zwar regelmäßig bestürzt über Tragödien im Mittelmeer, handle aber dennoch repressiv und rein militärisch. Die Hauptursache ist schnell gefunden, Schleusernetzwerke müssen bekämpft werden. Die Antwort auf die Flüchtlingsnot im Mittelmeer ist also ein Militäreinsatz. Die Militärmission soll umfassende Aufklärung über Routen von Schleppern leisten sowie Schleuser auf hoher See festnehmen und verhören. Noch kein Mandat gebe es für die militärische Zerstörung von Schlepperbooten beispielsweise an der Küste Libyens. Und was denn genau ein „Schlepperboot“ sei und wie man das von Personenbooten oder Booten für die Schifffahrt abgrenzen könne, blieb im Bundestag ebenfalls unklar. Von einer zivilen Seenotrettungsmission, wie sie DIE LINKE fordert, fehlt bislang jede Spur.

„Das Aussetzen von ,Mare Nostrum‘ war politisch gewollt und lag nicht an Ineffizienz oder zu hohen Kosten“, stellt die Linken-Abgeordnete fest. Eine praktizierte Seenotrettung wäre ja eine direkte Botschaft an Flüchtlinge und Schlepper, die Überfahrt zu wagen, so laute sinngemäß der derzeitige Konsens der EU. Die Aussetzung von Mare Nostrum diente somit, unter Inkaufnahme von Toten, der Abschreckung.

Flüchtlinge aus Kriegsregionen

Auch in der Außenpolitik verfolgen Bundesregierung und EU eine konfrontative Strategie der massiven politischen Intervention. Sie setze nicht auf den Versuch der Deeskalation und der Verständigung. Rüstungsexporte in unsichere Länder wie Saudi Arabien, Algerien oder Katar befeuern indirekt jene Konflikte, die schon jetzt ungeheure Fluchtbewegungen ausgelöst haben.

Auch die Erweiterung der NATO-Präsenz nach Osten setze auf Konfrontation und lasse neue Konfliktherde entstehen. Seit dem Beginn der Ukraine Krise hätten etwa 4000 Personen, in großer Anzahl Kriegsdienstverweigerer, Asyl in Deutschland gesucht.

In Deutschland trifft die Bundesregierung zunehmend Maßnahmen, die Flüchtlinge zu kriminalisieren und ihre Rechte und Möglichkeiten zu untergraben. Ein erst letzte Woche erlassenes Gesetz ermöglicht es nun, Geflüchtete ohne Pass sowie nachweislich durch Schlepper Gekommene und jene, bei denen ein noch nicht beendetes Asylverfahren aus einem anderen Land anhängig ist, zu inhaftieren. Für Heike Hänsel ist dies ein direkter Angriff auf die Rechte von Flüchtlingen.

Fähren statt Frontex

„Wenn diese Politik so weitergeht, werden wir mit ganz neuen Flüchtlingszahlen konfrontiert werden.“ So das Fazit von Frau Hänsel. Es brauche eine Außenpolitik der Verständigung und nicht der Abschottung. „Wir  brauchen dringend humanitäre Visa, das heißt legale Einreisemöglichkeiten. Außerdem müssen wir unsere zivilen Strukturen stärken, die vertrauensfördernd wirken, anstatt militärische Blöcke einzusetzen. Eine Seenotrettung haben wir ja bereits in Deutschland, aber die wurde überhaupt nicht in Betracht gezogen.“

In die mediale Offensive gehen

Wichtig sei es, so findet Heike Hänsel, dass sowohl die Parteien als auch Bürgergruppen, Ehrenamtliche und Initiativen, die einen Beitrag zu einer Willkommenskultur leisten, in die Offensive gehen. Man müsse eine Gegenstimme zur derzeitigen Berichterstattung leisten. Denn diese würde instrumentalisiert, sei sehr einseitig, zum Teil propagandistisch und führe zu Ressentiments innerhalb der Bevölkerung.

RCG