NUN – ein positives Seufzen

In Konstanz liegen sie überall. In Cafés, Geschäften, im Theater, beim Frisör. Und in Kreuzlingen auch. Dunkelblaue Magazine mit einer neonorangenen Rutschbahn darauf. „NUN,“ heißt das neue Kulturmagazin, das die beiden Grenzstädte verbindet. Voller Herzblut und trotzdem ganz umsonst. Wer steckt nur dahinter?

Zwischen Flyern und Prospekten sehe ich das „NUN“ erstmals in einem Restaurant. Ein Magazin für Konstanz und Kreuzlingen, steht auf dem Cover. Im Daumenkino durchgeblättert, sehe ich bunte Grafiken, große Fotos, wenige Werbeanzeigen. Der Geruch von frischer Druckerfarbe weht durch das 135-Gramm-Papier. „Darf ich das lesen?“, frage ich den Kellner. „Das kannst du auch mitnehmen, ist kostenlos.“, sagt der und schwupps ist das edle Teil in meiner Tasche.

Auf dem Sofa lese ich Dinge über die Stadt, in der ich seit über einem Jahrzehnt lebe, und über die andere Stadt, gleich nebenan. Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Die Konstanzer Skaterszene. Trap Music. der Alltag einer Dragqueen. Dazwischen Gedichte, die Biographie einer Roten Grütze, Infos übers Containern statt eines Shopping guides. Mit Fähre, Fahrrad und Taxi geht es hin und her, über die Grenze und zurück. Gezeigt werden Orte, von denen man zwar schon gehört hat, wo man aber nie gewesen ist: das Casino, das Planetarium, der Tätowierer. Cool!

„Was liest du da?“, fragt der Mann. „Das neue Konstanz/Kreuzlinger Kulturmagazin“, sage ich. „Sieht aus wie aus Berlin.“, findet er. Ja, tatsächlich. Es hat so gar nichts von bisherigen Magazinen, die sich mit Fotos der Seestraße schmücken, irgendwo die Imperia abbilden und Kreuzlingen nicht erwähnen – ist ja auch das Ausland, obwohl nur einen Katzensprung entfernt. Wer steckt hinter dem Heft? Ich bin neugierig und schicke eine Mail an die Redaktion. Und prompt werde ich eingeladen, in ein Büro im Hofhaus.

Das steht mitten im Stadtteil Paradies. In einem Hinterhof stapeln sich Büros zu einer bunten Gemeinschaft. Vor der Tür stehen Gartenmöbel und Kinderfahrräder, zwei Jungs rauchen eine Zigarette in der Sonne. Im zweiten Stock finde ich das Büro „2 Zimmer“. Hier erwarten mich Annabelle Höpfer und Miriam Stepper, um mir von der Entstehungsgeschichte von „NUN,“ zu erzählen. Beide haben in Konstanz Kommunikationsdesign studiert und ihre Abschlussarbeiten zu ähnlichen Themen verfasst. Stepper hat einen Reiseführer entwickelt, der universell einsetzbar ist und auf die Methode des Zufalls und der Kreativität setzt, Höpfer ein Magazin über Konstanz, das die Provinzstadt aus unterschiedlichen und ungewöhnlichen Blickwinkeln erschließt.

Ich halte die beiden Arbeiten ehrfürchtig in Händen, jede für sich ein kleines Kunstwerk. Dass sie diese Gemeinsamkeit haben, ist den beiden Grafikerinnen aber erst kürzlich aufgefallen, Jahre nach dem Verlassen der HTWG und Jobs in anderen Städten. Vergangenen Sommer dann gab es die Idee, beide Potentiale zusammen zu werfen und ein Kulturmagazin zu entwickeln.

Die Stunde Null

Gesagt, getan. Die Vision wurde zum Selbstläufer. „Auf einmal kamen Leute auf uns zu, die davon gehört hatten und haben gefragt, ob sie mitmachen könnten“, erzählt Höpfer. Und so hat sich jeder etwas überlegt und selbstständig gearbeitet. Bei einer ersten Redaktionssitzung wurde das Thema fürs Heft beschlossen: Die Stunde Null. Dieses zieht sich wie ein roter Faden durch das Magazin, das sich sehr vielseitig den beiden Grenzstädten annähert. Ob dieses Überschreiten der Grenze ein Kriterium ist, um sich von anderen kostenlosen Magazinen abzuheben, frage ich. Das kann Stepper klar verneinen. Spannend ist für sie die Fläche der zwei Städte, die sich hier so nahtlos ergibt und ineinander übergeht.

Grenzenloses Engagement

Der Name „NUN,“ steht für einen Satzanfang oder den Moment nach dem Luftholen, für den Beginn einer Frage oder Aufforderung. Nun – wie jetzt. Als Anagramm ist er universell einsetzbar und so vielseitig wie die Inhalte. „‘Nun,‘ das klingt wie ein positives Seufzen“, ergänzt Stepper. Das Magazin gibt es nur auf Papier. Auch das ist ein ganz bewusster Akt der beiden Herausgeberinnen. „Die Menschen gehen raus, suchen und fragen nach dem Magazin und kommen so in den Austausch mit der Stadt und dem eigenen Umfeld.“, sagt Stepper. Finanziert wurde der Druck durch sorgfältig ausgewählte Werbeanzeigen sowie die unentgeltliche Mitarbeit aller Beteiligten.

Nicht unerheblich ist der Arbeitsaufwand neben der redaktionellen und gestalterischen Arbeit. „Die Akquise und die Absprachen haben manchmal den ganzen Tag in Anspruch genommen“, erzählt Höpfer, „da habe ich mich direkt auf die Abendstunden gefreut – endlich Layouten!“

Auch in der Arbeit des Druckhauses Müller in Langenargen steckt viel Begeisterung. „Dort wurden wir sehr unterstützt und am Abend vor dem offiziellen Erscheinen kam der Drucker sogar persönlich vorbei, um uns das erste Heft mit zwei Flaschen Sekt zu überreichen.“, erzählt Höpfer mit strahlendem Blick. Nun liegen 2000 Exemplare in verschiedenen Einrichtungen und Geschäften der Anrainerstaaten zum Mitnehmen bereit.

Das Feedback ist durchweg positiv. Zahlreiche Mails, Postkarten und Anrufe sind bislang eingegangen. Teils von Menschen, die ein Kompliment aussprechen, teils von Arbeitswütigen, die mitmachen wollen, und auch von zukünftigen Werbekunden. Einer zweiten Ausgabe steht also nichts im Wege – im Gegenteil. Die Freude am ersten Heft schwingt durch Konstanz und Kreuzlingen, und wenn sich weiterhin viele Unterstützende – finanziell wie ideell – finden, darf man sich bereits auf den Spätsommer freuen, wenn es wieder heißt: NUN…!

Veronika Fischer (Das Foto von Ines Njers zeigt Annabelle Höpfer (links) und Miriam Stepper; der Text erscheint auch auf www.saiten.ch)

Weitere Infos: www.nun-magazin.de