Nur bedingt einsichtsfähig

Neben Südkurier und Konstanzer Anzeiger hat sich auch das Radolfzeller Wochenblatt nur bedingt mit Ruhm bekleckert und das bereits im seemoz besprochene Hetzblättchen der AfD zur anstehenden Landtagswahl beigelegt. Dafür ist, wie bei derlei Werbung üblich, auch Geld geflossen. Verleger und Redaktion des Wochenblatts wollen jetzt die Einnahmen für wohltätige Zwecke spenden. Und schalten weiter fröhlich irreführende AfD-Werbung.

Einzelfälle? Von wegen …

Die AfD-Beilage in Südkurier, Konstanzer Anzeiger und Radolfzeller Wochenblatt glänzte mit falsch ausgewerteten Statistiken, Faktenverdrehungen und rassistischen Ressentiments. Diesen Inhalten eine Plattform zu geben, ist verachtenswert.

Doch auch bei anderen Zeitungen ist dergleichen in der jüngeren Vergangenheit vorgekommen. Ähnliche AfD-Beilagen lagen schon dem Berchtesgadener Anzeiger und der Badischen Zeitung in Freiburg bei. Auch hier der althergebrachte Zusammenschnitt aus Diffamierungen, Unwahrheiten, Faktenverdreherei und reaktionärem Rassismus. Und auch hier kam zunächst von Verlagsseite die Relativierung, man wolle das gesamte politische Spektrum abbilden. Werbeeinlagen seien auch hier kein Produkt der Redaktion, sondern im Verantwortungsbereich der jeweiligen Herausgeber. Immerhin hat die Badische Zeitung dann ihre Erlöse aus der AfD-Einlage gespendet.

Wochenblatt zwischen Erklärung, Spenden und AfD-Werbung

Ausgerechnet das Singener/Radolfzeller Wochenblatt, das ja sonst eher keine Perle des Lokaljournalismus ist, wollte jetzt doch noch Haltung beweisen und distanzierte sich in einer Erklärung in der Ausgabe von 3. März von der AfD als Werbepartnerin:

„Wir wollen mit dieser Partei kein Geld verdienen und werden deshalb die Einnahmen spenden – in [sic!] Projekte gegen Rassismus, gegen das Vergessen des Holocausts und für die Integration von Geflüchteten.“

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So weit, so gut. Fragt sich nur, warum man das erst nach einem gepflegten öffentlichen Aufschrei feststellt und warum man überhaupt in diese Situation kommen muss. Dennoch: AfD-Gelder für geflüchtete Menschen und Shoah-/Porajmos-Erinnerungskultur. Das könnten erfreuliche Neuigkeiten sein, die man so nicht alle Tage hört.

Trotzdem tut Thorsten Otterbach genau neben den angesprochenen Erklärungen im Blättle weiter seine Halbwahrheiten kund. Ja genau, mal wieder richtig gelesen: In exakt der Ausgabe des Wochenblatts, in der man sich vom Geld der AfD distanzieren möchte, steht AfD-Wahlwerbung. Gerade einmal ein paar Zentimeter weiter. Otterbach pauschalisiert in der Anzeige die Thesen von Aerosol-Experte Gerhard Scheuch, reißt sie aus dem Zusammenhang und zieht so irreführende Schlussfolgerungen hinsichtlich der Notwendigkeit von Masken im Freien. Der Werbespruch „Maskenzwang im Freien ist völliger Unsinn“ ist damit irreführend und wiederum ein wundervolles Beispiel, wie Fake News funktionieren.

Aber warum zum Geier steht das im Wochenblatt neben der Erklärung, dass man kein Geld mehr mit der AfD verdienen wolle? Warum stehen neben so einer Erklärung jetzt schon wieder potentiell gefährliche Halbwahrheiten?

Und der Südkurier? Toleranz von Intoleranz?

Und auch beim Südkurier ist das alles nicht so wirklich besser. Der ist schon seit einer ganzen Weile auf dem rechtskonservativen Auge kurzsichtig – und zwar nicht nur ein bisschen. Das betrifft in der jüngsten Vergangenheit die sehr wohlwollende Berichterstattung über Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle „Wodans Erben“ am Bodensee oder die Schmutzkampagne gegen Luigi Pantisano im Rahmen der letztjährigen OB-Wahl. Das betrifft aber auch die Relativierung und Verteidigung rassistischer Begriffe und Darstellungen mit (kunst-)historisch hanebüchenen Strohmannargumenten.

Eigentlich würden Teile der Südkurier-Berichterstattung reichlich Anknüpfungspunkte an das AfD-Programm bieten. Doch so eine Zeitungsredaktion mit all den daran hängenden (freien) MitarbeiterInnen vertritt keine einheitliche Meinung und politische Überzeugung – und entsprechend dürfte es in der Südkurier-Redaktion so langsam auch gehörig brodeln. Auch im Journalismus soll es zuweilen Vielfalt und Debatte geben, wie auch der regionalen AfD aufgefallen ist: Mehrfach warf sie dem Südkurier vor, dass ihr nicht das rechte Maß an Berichterstattung zukäme. Unter anderem echauffiert sich KandidatIn Otterbach in der „AfD-Seesicht“ darüber, dass er bei der Südkurier-Podiumsdiskussion schlecht ausgeleuchtet in der rechten Ecke habe sitzen müssen. (Anm. d. Red.: Otterbach sitzt da zwar am rechten Rand, kriegt aber genauso viel Licht ab wie die anderen KandidatInnen auch.)

Doch aus irgendeinem Grund versucht sich die Geschäftsführung des Südkurier-Medienhauses trotzdem an der Anbiederung an Rechte. In ihrer Erklärung nach dem AfD-Blättle schreibt sie: „Überparteilichkeit ist schwer auszuhalten. Demokratische Grundwerte zu vertreten ist bisweilen anstrengend.“ Das klingt zwar alles ganz toll, ist im vorliegenden Falle aber grob fahrlässig. Diskriminierende Positionen und Diffamierungen müssen nicht ausgehalten werden. Unwahrheiten und der fehlerhafte Umgang mit Zahlen, Daten und Statistiken sind konsequent als solche zu brandmarken. Otterbach tut so, als führe er seinen Wahlkampf nur mit „Fakten, Fakten, Fakten“ und verdreht dabei, ohne mit der Wimper zu zucken, die Zahlen derart, dass sie sogar explizit den Anmerkungen seiner Quelle (wie dem DESTATIS) widersprechen. Verweise einer Zeitungsredaktion darauf, dass man ja für den Inhalt nicht zuständig sei, solange der nicht verfassungsfeindlich ist, sind vor diesem Hintergrund Augenwischerei. Medienhäuser, die solche Inhalte verbreiten, machen sich hier mitverantwortlich.

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Es ist schon absurd: Da liegt einem rechtskonservativen Regionalblatt eine AfD-Werbezeitung bei, in der sich der AfD-Landtagskandidat darüber aufregt, dass er seine Position in genau diesem Regionalblatt nicht angemessen repräsentiert sieht. Und während Otterbach sich noch über die unverhältnismäßige Berichterstattung aufregt und auf den Südkurier draufhaut, hält ihm die Geschäftsführung des Südkurier in einem Anfall von Masochismus den Rücken frei.

Es ging der AfD aber auch nie um Debatte oder Diskussion – oder um Fakten. Es geht nur darum, die eigene Position (so es denn eine gibt) als Widerstand, als Anti-Partei möglichst laut in die Weltgeschichte hinaus zu proleten. Inhalte? Egal. Schlüssige Zusammenhänge? Egal. Und wenn sich nur die geringste Kritik regt, wird sofort auf das eigene Recht auf Meinungsfreiheit gepocht und darauf, dass man ihnen gegenüber doch bitte auch Toleranz walten lassen müsse. Doch argumentativ basierte Kritik, die die Aussagen von Personen des öffentlichen Lebens widerlegt und als intolerantes Geschwafel kennzeichnet, ist keine Beschneidung der Meinungsfreiheit. Sie ist das unbedingte Streben, den demokratischen Diskurs aufrecht zu erhalten. Unhaltbare Meinungen müssen argumentativ widerlegt und deren Urheber als intolerante Schwätzer gekennzeichnet werden. Intoleranten Positionen, die einen Scheiß auf Wissenschaftlichkeit, Respekt und Meinungsvielfalt geben, dürfen keinen Raum erhalten. Vor allem keinen Raum, in dem sie ihre Halbwahrheiten verkündigen. Sie zielen nämlich schlussendlich auf eine Ausmerzung der Meinungsvielfalt und damit -freiheit ab. Eine demokratische Gesellschaft muss sich in all ihren Organen und Instanzen dagegenstellen.

Demokratisch gewählte Parteien vertreten nicht automatisch demokratische Inhalte und Werte. Vor allem dann nicht, wenn sie den Grundtenor in der Öffentlichkeit derart vergiften und selbige mit bewussten Falschaussagen an der Nase herumführen. Die AfD diffamiert journalistisch-kritische Arbeit in einer Art und Weise, dass sich eine Zusammenarbeit in dieser Form eigentlich von vornherein verbieten müsste. Trotzdem ziehen die Medienhäuser mit und so geht der Reigen an gefühlten Wahrheiten, verdrehten wissenschaftlichen Aussagen und Geschmacklosigkeiten weiter.

Praxagora (Bild: Leonhard Lenz, CC0, via Wikimedia Commons)


Weitere Informationen/Quellen:

https://www.berchtesgadener-anzeiger.de/startseite_artikel,-aufregung-ueber-afdbeilage-_arid,617693.html

https://www.badische-zeitung.de/in-eigener-sache-die-abwaegung-war-im-ergebnis-falsch

https://www.badische-zeitung.de/in-eigener-sache-bz-spendet-erloes-der-afd-beilage-an-verein-und-aktion-weihnachtswunsch–198831310.html

https://www.wochenblatt.net/fileadmin/epaper/09_Radolfzell/mobile/index.html#p=1

Der unsägliche M*-Artikel von Uli Fricker:

https://www.suedkurier.de/ueberregional/panorama/ist-der-begriff-mohr-wirklich-rassistisch-die-christliche-kunst-laesst-andere-schlussfolgerungen-zu;art409965,10548101

Südkurier-Artikel mit Paywall:

https://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/im-konstanzer-ob-wahlkampf-brodelt-die-frage-wie-links-luigi-pantisano-wir-haben-den-faktencheck;art372448,10617486

https://www.suedkurier.de/baden-wuerttemberg/Rechte-Umtriebe-in-der-Region-Nazi-Terrorzelle-hatte-Verbindungen-an-den-Bodensee;art417930,10444595

https://www.suedkurier.de/baden-wuerttemberg/Der-Rechte-der-kein-Nazi-sein-will-Ein-Besuch-beim-Anfuehrer-von-Wodans-Erben-Germania;art417930,10445344