Nur ein Traum vom Paradies? Vom Dies- und Jenseits der Konstanzer Radinfrastruktur

Im vollen Glanze biblischer Metaphorik kürte sich Konstanz jüngst zum Paradies für Fahrräder, wobei zu vermuten steht, die Fortbewegung auf eben selbigen sei mitgemeint. Jedenfalls sieht die Stadt am See einer Umfrage des ADFC zum Fahrradklima mit selbstbewusstem Optimismus entgegen.[1] Wer wollte, wer könnte hier nicht radeln? In den Wein muss leider etwas Wasser gegossen werden, sind die Verhältnisse doch nicht ganz so himmlisch, wie es scheinen mag.[2]

Gewiss, die Situation für Radler:innen vor Ort kann als komfortabel gelten, zumindest im Vergleich, wobei auch hier, wie immer, das Bessere der eherne Feind des Guten ist. Denn leider ist abseits der touristischen Routen wie dem Bodenseeradweg der exzellente Zustand der Radinfrastruktur keineswegs die Normalität, als die sie dem Stadtmarketing vorschwebt. Als erstes Exempel mag der Belag am Ende der alten Rheinbrücke in Richtung Konzil dienen, der sich nach den Sanierungsarbeiten als holprige Piste ausnahm und bis heute ausnimmt. Bezwungen durch die enge Kurve fahren die Menschen hier ganz freiwillig langsam, wodurch sich die Gefahr zu stürzen, stark reduziert. Die Sicherheit des Fahrgefühls wird allerdings nicht unbedingt erhöht. In Hinsicht der alten Rheinbrücke  ist noch erwähnenswert, dass die Breite des Radwegs als eher suboptimal zu bewerten ist und sich nicht wirklich für die Befahrung in beiden Richtungen eignet, was spätestens bei der Benutzung mit Fahrradanhängern offenbar wird. Radwege, also in eine Richtung, sollten 1,5 Meter haben, in zwei Richtungen mindestens 2 Meter. Im Paradies hat‘s wenig Platz, wenn mensch nur auf zwei Rädern rollt.

Brüche, Löcher, Rillen: Konstanz, deine Fahrradwege

Eine weitere Stelle wurde bereits medial aufgegriffen: Den Asphalt der Bus- und Radspur an der Laube durchziehen Furchen, die vor allem durch den öffentlichen Nahverkehr entstehen. Viel Material, viele Menschen, viel Gewicht: Viel Abnutzung. Die Spurrillen sorgen nicht einfach für eine rumpelige Fahrt, sondern führen im Ernstfall zu Unfällen, da sich der Lenker schräg stellt bzw. sich die Räder bei Steuerungsversuchen im Belag verkanten und der und die Radelnde in allzu engen Kontakt mit dem entsprechenden Belag kommen kann. Weder für ein schnelles Eingreifen noch für das Aufstellen von Warnschildern sieht die Fahrradstadt Konstanz allerdings irgendwelche Anlässe. Nein, der marode Zustand sei allseits offenkundig und daher die Geschwindigkeit anzupassen. Und wenn Unfälle dann doch passieren, ist dies wohl oder übel selbst verschuldet, hätte die radelnde Person doch wissen müssen, dass sich seine Reise im Angesicht der Schotterpistigkeit eher als ein Selbstmordkommando denn als Freizeitvergnügen ausnehmen wird. Das Paradies wird zum existentiellen Naturzustand hobbescher Provenienz: Die Gefahr lauert allenthalben …

[the_ad id=“87862″]Bleiben wir bei „Unebenheiten“: Vor dem Kreisel auf der Friedrichstraße, direkt neben den Maltesern, gibt es im Asphalt eine nicht eben flache Vertiefung im Belag. Die Situation selbst sorgt nicht für Entspannung: Es geht bergab, auf einen viel befahrenen Kreisel zu und neben  fahrenden Autos dicht auf, die es nicht erwarten können, endlich vor der nächsten Ampel zu stehen. So passiert es schnell, dass der Weg über die unauffällige Unebenheit genommen wird, was die Kontrolle des Zweirads unangenehm erschwert. Die möglichen Folgen im Radler-Paradies? Eine Dame brach sich beim Sturz vor ein paar Wochen die Schulter und kam mit dem Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus. Zum Glück blieb es beim Verdacht des letzteren. Kein Schild warnt bis heute. Ein Fahrrad-Paradies mit Hindernissen…

Der Traum ist aus.

Halten wir es zum Ende kurz  und knapp: Die Fahrradbrücke, deren enge Wege es kaum erlauben, dass sich Radelnde überholen können und die zugleich die Fußgänger auf den Radweg drängen. Der Kreisel am Ende der Brücke, der die Benutzenden eher verwirrt als orientiert. Die riesige Dooring-Zone auf der Schwaketenstraße, die im Jahre 2022 ein Unding sondergleichen ist. Der Schotter, der in einer Kurve am Ende des Hockgrabens ohne Hinweis ausgebracht wurde. Der noch kleine Baum im Tannenhof, der Sicht auf eine enge Kurve nehmen wird. Der Fahrradweg im Lorrettowald, an dessen Anfang ein Schild vor der Lebensgefahr herunterfallender Äste warnt. Die Idee, S-Pedelecs auf manchen Fahrradwegen zu erlauben und damit das Risiko für Radler:innen – klein wie groß, jung wie alt –  in Kauf zu nehmen, mit 45 km/h schnellen Boliden zu kollidieren. Die auf Rad- und Fußwegen parkenden Autos… Eventuell haben wir uns das Fahrrad-Paradies zu perfekt gemalt und die Stadt am Bodensee bezweckt, hier ganz im Geiste der Aufklärung, der metaphysischen Selbsterkenntnis ein kritisches Motiv zur spekulativen Reflexion zu bieten.

Wenn wir indes den Aufwand in Anschlag bringen, mit dem sich Stadt und Kreis, Land und Bund um dem Komfort unserer motorisierten, vierrädrigen Stahlkarossen bemühen, dann müssen wir doch, Hand aufs Herz, eher von einem Autoparadies sprechen. Neben gigantischen Konstrukten wie vierspurigen Straßen, Tunneln und Parkhäusern ist es schon allein der Aufwand an Pflege, der Fuß- und Radwege von jenen Strecken der motorisierten Verkehrsteilnehmer unterscheidet. Diese elysischen Zustände sind für alle anderen noch fern. Allzu viel Wasser im Wein, leider …

Text & Bilder: TB

[1]https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/das-fahrradparadies-auf-dem-pruefstand/

[2]Wobei die substantielle Dualität der beiden Flüssigkeiten durch die transformativen Qualitäten des Nazareners eigentlich überwunden ist. Wenn Wasser zu Wein werden würde, dann hätten die Menschen am See einen immensen Standortvorteil, müssten sich wohl auf die Sorte einigen, woraus wiederum Ungemach biblischen Ausmaßes erwachsen sollte. Die ewige Wiederkunft des Gleichen…