OB-Wahl: Deutlicher Wechselgeruch
Man konnte davon ausgehen, dass es keine Entscheidung im ersten Wahlgang geben wird. Dass aber der junge Herausforderer Luigi Pantisano vor dem Amtsinhaber Burchardt liegen würde, war dann doch eine satte Überraschung. Großer Jubel bei Pantisanos AnhängerInnen, lange Gesichter bei Burchardts UnterstützerInnen, denen so gar nicht zum Feiern zumute war. Nun wird erst in drei Wochen entschieden, wer die kommenden acht Jahre auf dem Chefsessel im Konstanzer Rathaus Platz nehmen darf.
Das Bodenseeforum war noch spärlich gefüllt, als die ersten Zahlen eintrafen. Und viele wollten nicht glauben, was da auf den riesengroßen Bildschírme zu sehen war. Kaum waren die ersten Bezirke ausgezählt, nahm Pantisano den Spitzenplatz ein, den er auch bis zur Endauszählung nicht mehr abgeben musste. Die CDU-Granden Roger Tscheulin und Wolfgang Müller-Fehrenbach legten ihre Stirn in Falten und verschwanden darin. Das hatten sie sich doch völlig anders vorgestellt. Eigentlich zu Recht, denn es kommt nur ganz selten vor, dass ein Stadtoberhaupt um seinen gutdotierten Job fürchten muss. In der Regel reicht der Amtsbonus und der damit verbundene Bekanntheitsgrad, um eine zweite Amtszeit zu ergattern. Doch diesmal nicht, und das Ergebnis ist eine herbe Niederlage, ja eine Klatsche für Burchardt, der lange glaubte, an seiner Wiederwahl bestünde kein Zweifel.
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Klar ist, dass nur die Kandidaten Pantisano und Burchardt das Rennen in der anstehenden Neuwahl unter sich ausmachen werden. Wie aber verhalten sich die anderen? Jury Martin wird nicht wieder antreten, bittet aber seine WählerInnen eindringlich, ihr Kreuz auf keinen Fall bei Burchardt zu machen. Andreas Matt, der glaubt, seine angebliche Unabhängigkeit sei ein großes Pfund, mit dem er weiterhin überzeugend wuchern könne, aber der mit rund 7 Prozent weit und hoffnungslos abgeschlagen hinterher hinkt, will dennoch erneut antreten. Das wird Pantisano nicht schaden, denn für die Matt-WählerInnen ist er ein rot-grünes Schreckgespenst, das es zu verhindern gilt.
Bleibt also die Frage: Was macht der SPD-Kandidat Andreas Hennemann, der mit knapp 15 Prozent die verbliebene SPD-Familie gerade noch so um sich scharen konnte. Will er in einen zweiten Wahlgang? Darüber müsse er erstmal schlafen, ließ er ziemlich geknickt verlauten, bis Mittwoch wolle er sich entscheiden. Gibt er auf und spricht eine Wahlempfehlung für Pantisano aus? Daran mag beim Zustand der hiesigen Sozialdemokratie kaum jemand glauben. Wenn doch, wäre das eine positive Überraschung, um für Konstanz nach acht Jahren weitestgehenden Stillstands wichtige Zeichen zu setzen. Aber die aktuelle SPD-Linie war im Bodenseeforum deutlich herauszuhören: „Es geht nicht um Personen, es geht um Inhalte“. Das ist grundsätzlich nicht falsch, aber mit seinen Inhalten konnte der SPD-Bewerber offensichtlich nicht überzeugend punkten. Quo vadis, Konstanzer SPD?
Nun also wird sich erst am 18. Oktober entscheiden, wer in der größten Stadt am Bodensee zukünftig an wichtiger Stelle mit die Weichen stellt. Schon jetzt bleibt allerdings festzuhalten: Es ist ein Riesenerfolg, dass ein Bewerber mit einem kompromisslos sozialen und ökologischen Programm, mit strikt basisdemokratischen und integratorischen Grundsätzen bei einer solchen Wahl auf Platz eins landet. Ein Momentum, das es zu nutzen gilt.
H. Reile (Text und Foto)
Wie richtig und zukunftsorientiert ihre Wahlentscheidung war, wird sich für viele KonstanzerInnen erst herausstellen, wenn Luigi Pantisano (im Amt des Oberbürgermeisters) die Ampeln für soziale Gerechtigkeit, ökologische Stadtgestaltung sowie eine Sinn- und identitätsstiftende Stadt auf freie Fahrt stellt. Selbst der FDP oder den Freien Wählern geneigte MitbürgerInnen werden bemerkt haben, dass auch ImmobilieneigentümerInnen mit größerem Anlagevermögen oder touristische Gäste vermehrt mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs sind und wenig Lust verspüren hinter Abgasschleudern herzufahren. Der öffentliche Raum ist bundesweit seit den 70er Jahren einem Wandel unterworfen, den viele Christdemokraten bis zum heutigen Tag nicht nachvollziehen wollen oder können, weil sie sich den Fehlentscheidungen des Managements der Autoindustrie uneingeschränkt unterwerfen.
Die tiefen Sorgenfalten der CDU-Granden erklären sich möglicherweise auch damit, dass es bei der SPD am Bodensee sozial denkende Sozialdemokraten geben könnte, die den Schulterschluss mit arbeitenden Menschen, GewerkschafterInnen und einer modernen Linkspartei endlich erneut und aufrichtig vollziehen wollen, um alte sozialdemokratische Tugenden wiederzubeleben. Zu denen ein ausreichendes Einkommen, ein vorbildlicher ÖPNV, wie auch ein gutes Bildungs- und Kulturangebot gehören, das für Menschen mit geringen Einkommen bezahlbar ist.
Der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, einer vorbildlichen ökologischen Umgebung mit hoher Aufenthaltsqualität, wird sowohl in Konstanz, in Stuttgart, als auch in Berlin erst gehört, wenn die Linke als wissenschaftlicher Berater und parlamentarischer Partner die Interessen der WählerInnen sowohl in Gemeinde-, wie in Kreisräten, im Land- oder Bundestag nachdrücklich vertreten kann.
Eine Bemerkung zum Schluss. An den Versammlungen und Demonstrationen der Gewerkschaft darf man jederzeit teilnehmen. Es ist ein schönes Gefühl das wärmt in kalten Tagen, wenn man den Menschen, denen man vorher am Fenster oder vom Balkon Applaus geschenkt hat, nahe ist. So nahe wie es eben geht, mit Maske und gebotenem Abstand.