OB-Wahl: Fertig machen zum Kentern?

Wochenlang schossen Spekulationen ins Kraut, wer sich für den bald frei werdenden OB-Sessel bewerben würde. Naturgemäß stolpern dann KandidatInnen aus der Jux- und Spassecke ins Rampenlicht, an deren Ernsthaftigkeit man getrost zweifeln darf. So teilweise auch bei den Piraten, wo am Wochenende zwei Männer und zwei Frauen vorstellig wurden, die um Unterstützung buhlten. Hier ein subjektiver Eindruck über getriebene Außenseiter unterschiedlichster Prägung.

Samstag Spätnachmittag im Nebenzimmer eines Konstanzer Cafes. Etwa 30 Personen, darunter fünf Frauen, die sich an diesem Abend der nonverbalen Kommunikation verschrieben hatten, waren der Einladung zur Mitgliederversammlung der Piraten gefolgt. Meist unbekannte Gesichter, die bisher kommunalpolitisch kaum oder gar nicht in Erscheinung getreten sind. Die Altersschere klaffte weit auseinander. Viele Junge waren gekommen, aber auch ältere Graurücken jenseits der Fünfzig. Das Thema Oberbürgermeisterwahl in Konstanz stand mit auf der umfangreichen Tagesordnung. Zwei Männer und zwei Frauen stellten sich vor, die den Job gerne hätten.

Mykola Neumann, (47), Jurist und Mediator in Konstanz, mühte sich nach Kräften. Er, parteilos, umriss bruchstückhaft und durchaus eloquent seine kommunalpolitischen Vorstellungen. Der Ausbau der Alternativen Energien sei ihm wichtig, Konstanz benötige mehr bezahlbaren Wohnraum vor allem für Familien mit Kindern, den Flugplatz hält er für überflüssig, Konstanz brauche attraktive Angebote für Jugendliche und vor allem störe ihn, dass im Gemeinderat immer die gleichen Gesichter säßen. (Ganz nebenbei: Ich habe den Mann noch nie im Ratssaal gesehen). Konkrete Umsetzungspläne waren von Neumann nicht zu hören. Warum auch, es fragte ja niemand nach. Ob er denn Pirat werde, wenn man ihn unterstütze? „Möglicherweise“, erklärte Neumann, „das will ich nicht ausschließen“. Rauchpause. Kellner, noch ein Bier bitte.

Plötzlich platzte Sylvia Grossmann (53), in die bunte Runde. „Ich bin die, die heute in der Zeitung steht“. Die Einzelhändlerin und Stadtführerin wurde bereits vom Südkurier als Kandidatin vorgestellt und sucht nun Unterstützer für ihren Wahlkampf. Den will sie unter allen Umständen führen, aber ohne Plakate oder Flyer und einfach ganz anders. Wie anders, behielt sie weitgehend für sich. Piratin möchte sie keine werden, denn sie hätte noch ein SPD-Parteibuch, würde aber schon seit Jahren keine Mitgliedsbeiträge mehr entrichten. Nun aber müsse sie leider nach Hause, um ihrem Sohn das Abendessen zuzubereiten. (Mittlerweile, verriet mir mein Handy, war Dortmund Meister und auch ich bekam Hunger.)

Ein weiterer Kandidat betrat die Bühne. Johannes „Dschonnie“ Brand, (58), selbstständiger Handwerker mit Wurzeln in der freien Kulturszene, unter anderem langjähriger Manager von Georg Schramm, machte es sympathisch kurz. Der Verkaufsoffene Sonntag sei „Quatsch“, die Bepflasterung des Münsterplatzes eine „Frechheit“, die Bodanbrücke „ein Schildbürgerstreich“ und für ihn sei „mehr Menschlichkeit“ das Allerwichtigste. Pirat will auch er keiner werden, ist aber zutiefst davon überzeugt, dennoch die hundert Unterschriften zu bekommen, die für eine Wahlzulassung erforderlich sind. Es sieht so aus, als sei der gute Dschonnie im fortgeschrittenen Alter hauptsächlich darauf aus, sein Ego etwas aufzupolieren und seinen Stellenwert innerhalb seines Bekanntenkreises zu überprüfen. Kann man machen, muss man aber nicht.

Die spärlichen Fragen an die KandidatInnen zeigten übrigens sehr deutlich, dass die freibeuterischen Newcomer über die Details kommunalpolitischer Probleme wenig bis gar nicht informiert sind. Aber daran störte sich niemand. Wer politisch auf der Erfolgswelle surft, dem sieht man mangelnde Bodenhaftung in der Regel nach. (Übrigens: Mein im Zuge einer massiven Hungerattacke bestellter Salat war als solcher nur schemenhaft zu erkennen und drohte in einer weissen Soße zu ertrinken. Ein gummiartiges Brötchen rundete das kulinarische Desaster ab.)

Den piratigen Kandidatenreigen beendete Sabine Reiser (50), die im Stuttgarter Regierungspräsidium für Städtebauförderung zuständig ist. Als potentielle Kandidatin wurde auch sie schon in der Tageszeitung vorgestellt. Darüber, so die durchgängig lächelnde Frau Reiser „bin ich nicht glücklich“. Sie habe sich noch nicht entschieden, ob sie tatsächlich antrete. Erst einmal suche sie den „direkten Kontakt zu den Menschen in dieser Stadt“, Berührungsängste seien ihr durchweg fremd. Sie plädierte für „mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz“ und pries ansonsten in quälender Länge und anthroposophisch anmutender Gestik die Vorzüge der Stadt in höchsten Tönen, die ihrer Meinung nach das „Oberzentrum am See“ sei. Mehrmals erklärte Sabine Reiser, dass sie sich „von niemandem aufstellen“ lassen möchte, denn sie wolle völlig unabhängig bleiben. Da kam dann doch etwas Irritation auf, denn die Vielleicht-Bewerberin ist seit langen Jahren eingeschriebenes Mitglied der CDU. Warum sie an diesem Parteibuch überhaupt noch festhalte, wenn sie sich dauernd von ihrer Partei abgrenze, wurde nachgefragt. Das, so die Gefragte deutlich hilflos, das Dauerlächeln war ihr spontan aus dem Gesicht gefallen, habe etwas mit ihrem früheren Theologie-Studium zu tun. Durch die Beschäftigung mit überirdischen Dingen sei für sie damals der Eintritt in die CDU irgendwie logisch gewesen. Das allgemeine Verständnis für ihre pastoral vorgetragene Erklärung, die nur mit viel Fantasie etwas mit Logik zu tun haben dürfte,  hielt sich in sehr engen Grenzen.

Nach der Vorstellungskür beschlossen die Piraten, in einer Online-Befragung ihre Mitglieder darüber abstimmen zu lassen, ob man eine Bewerberin oder einen Bewerber für die OB-Wahl unterstützt. Möglich ist auch, dass sich noch jemand aus den eigenen Reihen findet, der sich zur Wahl stellt. Der Vorschlag eines Jungpiraten, man möge sich doch erstmal überlegen, was man sich von einer Kandidatin oder einem Kandidaten überhaupt erwarte, blieb ungehört.

Als es um ihn ging, war Michael Krause bereits gegangen. Offensichtlich wusste er da schon längst, wie die Debatte um ihn ausgehen würde. Er hatte bei der letzten Kreistagswahl ein Mandat für die Linke gewonnen, wechselte aber, da ihm die Linke für seine beabsichtigte OB-Kandidatur eine Abfuhr erteilte, kürzlich zu den Piraten und will auch zukünftig für seine neue Partei im Kreistag tätig sein. Die Linke hatte ihn aufgefordert, sein Mandat zurück zu geben und auch in Reihen der Piraten wurde Krause heftig kritisiert. Mit dieser Vorgehensweise, meinten einige Piraten, unterscheide man sich nicht von den Altparteien, bei denen doch nur der Machterhalt zähle. Nach kurzer Diskussion wurde abgestimmt. Zehn Piraten waren für Krauses Verbleib im Kreistag unter der Piratenflagge, fünf dagegen. Was man hat, das hat man. Man sei auf dem besten Wege, brummte einer enttäuscht in sich hinein, „so zu werden wie die anderen“.

Persönliches Fazit: Der Erkenntnisgewinn war gering, der Unterhaltungswert ebenso und Salat ist vorerst von der Speisekarte gestrichen.

H.Reile