OB-Wahl: Kandidatenfindung beim grünen Webinar
Kann OB-Kandidat Luigi Pantisano auf Schützenhilfe von der Freien Grünen Liste (FGL) und Bündnis 90/Die Grünen rechnen? Eine grüne Findungskommission und der FGL-Vorstand empfehlen den Stuttgarter SÖS-Stadtrat als Kandidaten. Geklärt werden sollte die Bewerberfrage eigentlich schon letzten Mittwoch bei einer gemeinsamen Basisversammlung. Doch wie in vielen anderen Fällen machte die Corona-Pandemie diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Stattdessen lädt der FGL-Vorstand die Basis nun diesen Samstag zu einem Informations-„Webinar“ ein, in schriftlicher Abstimmung soll danach über die Personalie entschieden werden.
Anfang Februar schon hatte der Stadtplaner Pantisano, der Konstanz gut aus seiner Zeit als Quartiersmanager des Berchengebiets kennt, seine Kandidatur bekanntgegeben. Um den Bewerber mit akzentuiert sozial-ökologischem Profil sammelt sich mittlerweile ein rasch wachsendes Bündnis, unlängst haben ihm auch die Linke Liste und die Konstanzer Linkspartei Unterstützung zugesagt. Umso überraschter waren selbst Kenner der Szene, als am 5. März auch der Konstanzer Architekt und Umweltaktivist Felix Müller seinen Hut in den Ring geworfen hat, der nun ebenfalls bei den Grünen vorstellig wird. Bei dem jetzt von der FGL kurzerhand organisierten Webinar sollen Mitglieder und Interessierte die Möglichkeit haben, sich ein Bild von beiden Kandidaten zu machen und sie mit Fragen zu löchern.
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Zu der jetzigen Konstellation ist es gekommen, weil eine seit Ende letzten Jahres tätige Findungskommission, paritätisch besetzt aus Mitgliedern von FGL und Partei, bei ihrer Suche nach geeigneten KandidatInnen mit sozial-ökologischem Profil parteiintern nicht fündig wurde. Verantwortlich dafür ist ironischerweise offenbar ausgerechnet der politische Höhenflug der grünen Partei. Bundesweit sei die „Interessenlage“ bei den Grünen „sehr dünn“, resümiert Kommissions-Berichterstatterin Gisela Kusche das Ergebnis der Kandidatensuche, „da durch die guten Wahlergebnisse in der letzten Zeit sehr viele Mitglieder interessante Posten haben oder sich schon auf die kommende Bundestagswahl oder Posten in anderen attraktiven Städten (Stuttgart …) eingestellt haben“. Ein – nebenbei bemerkt – nicht eben schmeichelhafter Befund für eine dereinst unter dem Banner der Basisdemokratie angetretene Partei, wenn solche Fragen offenbar vornehmlich unter dem Aspekt persönlicher Karriereperspektiven behandelt werden.
Blieben am Ende der unabhängige Kandidat Pantisano und sein überraschend auf der Bühne erschienener Kontrahent Müller. Der dürfte sich allerdings nicht leicht damit tun, seine Bewerbung zu begründen. Tritt doch Pantisano mit einem Programm an, das in schroffem Kontrapunkt zum burchardtschen Marktliberalismus eine nachhaltige sozial-ökologische Politikwende in der Stadt herbeiführen und die Bürgerschaft substanziell an Entscheidungsfindungen beteiligen will. Alles Ziele, für die auch Klimaaktivist Müller steht, der sich jetzt von nicht wenigen die Frage gefallen lassen muss, warum er mit einer Konkurrenzkandidatur das progressiv-emanzipatorische Lager schwächen will.
Bei der grünen Findungskommission jedenfalls fiel Felix Müller ebenso durch wie beim FGL-Vorstand. Einstimmig entschieden beide Gremien, der Basis Luigi Pantisano als geeigneten Kandidaten zu präsentieren. Doch wer auch immer am Ende die Nase vorn haben wird – ob er sich am 5. Juli wie vorgesehen mit dem Amtsinhaber messen kann, steht derzeit in den Sternen. Sie wissen schon: Corona.
J. Geiger (Fotos: privat, Anjana Perera)
Webinar statt Mitgliederversammlung
Der Vorstand der FGL hat für den kommenden Samstag, 20. März, ein sogenanntes Webinar organisiert, um es allen Mitgliedern und Interessierten zu ermöglichen, die beiden Kandidaten Luigi Pantisano und Felix Müller kennenzulernen und Fragen zu stellen. Diese können auch vorab an den Vorstand (vorstand@fgl-konstanz.de) gesendet werden. Es ist geplant, die Sitzung aufzuzeichnen und später ins Netz zu stellen. Wer an dem Webinar teilnehmen möchte, findet auf der Homepage der FGL eine Anleitung.
Die Aufzeichnung unseres Webinars ist jetzt online unter https://www.youtube.com/watch?v=PW6wuNe0z5k .
Ein WEBINAR kann nur ein kleiner Einstieg sein. Für mich keine Frage, dass die OB-Wahl in Zeiten der Corona-Krise verschoben werden muss. Ein für unsere Stadt wichtiger Wahlkampf nur über soziale Netzwerke stattfinden zu lassen, wie es Herr Brumm, SK, anklingen ließ, ist absoluter Humbug und zudem undemokratisch, denn niemals werden so alle Wahlberechigten in KN erreicht. Ich persönlich kenne ältere und alte interessierte Menschen, die so nicht erreichbar sind und genügend junge, die diese Diskussionen im Netz nicht verfolgen würden. Ein Wahlkampf ohne Möglichkeit des persönlichen Gesprächs, ohne Podiumsdiskussionen, ohne die Stimmung solcher, ist keiner. Wer möchte das persönliche Auftauchen der Kandidaten auf dem Markt, in den Stadtteilen, die gerade Burchhardt sonst völlig am selbigen vorbeigehen, die kleinen und größeren Diskussionen Auge in Auge missen? Wir haben eine Ausnahmesituation, eine Zeit, in der Vieles verändert, verschoben, gesperrt, verboten wird, da sollte es kein Problem sein, den neuen Kandidaten und vor allen Dingen uns Bürgern die Chance zu geben, die sie/wir sonst nicht haben werden. Dass durch ein Fehlen öffentlicher Veranstaltungen und deren Möglichkeiten direkten MeinungsaustauschesBurchhardts Chancen steigen könnten, ist nur ein unangenehmer Nebeneffekt. Kennenlernen über´s Netz sollte ein kleiner Einstieg sein, mehr nicht. Ausnahmesituationen erfordern ein Umdenken, dies erleben wir aktuell täglich.
Viele arme oder armutsgefährdete Kinder geraten in diesen Tagen, wie auch zahllose Obdachlose, in größte Existenznot, gehören zu jenen „weiteren“ Bevölkerungsgruppen, die von der Politik nicht erfasst sind. Die Kinder- und Jugendlichen der Arche, eine bundesweite Kinder- und Jugendeinrichtung der evangelischen Kirche betreibt in Berlin sechs Häuser, in denen 1.000 bedürftige Kinder und Jugendliche täglich ein warmes Mittags- und Abendessen, Hausaufgabenhilfe und Spielangebote bekamen, sind jetzt unversorgt. Seit am Mittwoch (18.3.) alle Standorte schließen mussten.
Im Gegensatz zu KünstlerInnen, einer aktuell von den neoliberalen Grünen bevorzugten Zielgruppe, kann Leistungsempfängerinnen augenscheinlich nicht mit Beihilfen geholfen werden. Sie müssen über Almosen Buch führen, Geschenke angeben und sich diese, auch Jahre später auf das Sozialgeld anrechnen lassen. Der Bürokratie aufwand allein ist unverhältnismäßig hoch. Die Ursache für die Finanznot der KünstlerInnen liegt seit ewigen Zeiten auch und, vereinfacht gesagt, oftmals in der Anspruchshaltung etlicher PolitikerInnen, besonders Alternativ affiner sozialdemokratischer und Grüner Amts- und MandatsträgerInnen, die es bisher leidenschaftlich vermieden haben Eintrittsgelder zu bezahlen, oder nach einem üppigen Buffet ein Werk käuflich zu erwerben, so dass über „Gästelisten“ viel zu oft mehr Publikum in eine Veranstaltung kam als über Kartenverkäufe.
Eine Erkenntnis mancher Musikanten-Solidaritätstour und vieler „kleiner“ Alternativ-Bühnen. Kartenkauf wurde oftmals als persönlich kränkend empfunden, besonders in der Frühphase einer politischen Karriere. Man wollte zwar glänzen wie der Regenbogenfisch, aber nicht eine güldene Schuppe verlieren. Das Ergebnis ist klar, die Grünen wie Katrin Göring-Eckardt, fordern heute pauschale Direktzahlungen an KünstlerInnen, nur kurzzeitig natürlich, und Arme bleiben auf der Strecke. Glücklich sind die KonstanzerInnen, die eine Freie Grüne Liste haben, in der man es hoffentlich versteht, dass sozial neben ökologisch die wichtigste humane Zukunftsvision ist. Diese soziale Komponente scheint mir bei Luigi Pantisano markant ausgeprägt zu sein. Trotzdem ist es nur eine Hoffnung, dass er, „das Soziale im Blut“, die Herzen der KonstanzerInnen erobert. Eine Empfehlung wäre sinnvoll aber vermutlich über griffig – von hier, von dem anderen Ufer.
Ich halte es für vollkommen legitim, dass sich auch im linksökologischen Flügel mehrere Kandidaten um die Gunst der Wähler bewerben. Immerhin haben es die dort zu verortenden Fraktionen offenbar nicht geschafft, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu verständigen. Somit kann man es Felix Müller keinesfalls übelnehmen, dass auch er sich nun den Konstanzern zur Abstimmung stellt. Dieser Vorgang ist für eine Demokratie bereichernd, wenngleich er natürlich für die Taktik mancher Partei zur Unzeit kommt.
Doch darauf sollte Müller keinesfalls Rücksicht nehmen. Dass sich DIE LINKE sogleich für Pantisano ausgesprochen hat, ist sicherlich hilfreich, um klare Verhältnisse zu schaffen. Den anderen Gruppierungen im Gemeinderat kann jedoch niemand vorschreiben, wen sie aus strategischen Gründen unterstützen sollen. Das Rennen ist derzeit so offen wie nie – und schlussendlich scheint eine solche Ausgangslage für das Votum auf kommunaler Ebene förderlich, da eine dauerhafte Lagerbildung bei der Debatte um örtliche Themen ohnehin kaum durchzuhalten ist.
Allerdings muss Müller nun Farbe bekennen und sich mit einem Gesamtkonzept für die Stadtentwicklung der nächsten acht Jahre in Stellung bringen. Denn ausschließlich auf die Klimafrage zu setzen, wird vielen Bürgern nicht ausreichen. Auch wenn ich mich persönlich nach derzeitigem Stand für Pantisano ausgesprochen habe, heißt das nicht automatisch, dass mein Kreuz auf dem Wahlzettel heute schon feststeht. Die Dynamik eines Wahlkampfes kann auch mich noch überzeugen, zumal dann, wenn Müller sich mit konkreten Antworten auf die drängenden Probleme von Konstanz zu Wort meldet. Und bei allem Respekt vor Umwelt-, Klima- und Naturschutz: Es braucht auch Einlassungen zu anderen Herausforderungen, um letztlich das Vertrauen der Urnengänger gewinnen zu können.
Ich bin gespannt, wie Burchardt, Pantisano und Müller liefern werden. Im Augenblick hat der Gemeinderat aus der Landeshauptstadt nach meinem Dafürhalten die besten Chancen, da er ein umfassendes Angebot für eine soziale, wirtschaftliche und umweltbewusste Wende vorlegen kann. Deshalb gilt mein Rückhalt momentan dem Stuttgarter Stadtplaner, der durch seine politische Karriere und Erfahrung in der Verwaltung bereits viel Wissen und Fertigkeiten für ein verantwortungsvolles Amt am See mitbringen würde. Es wäre allerdings unfair, seinem Konkurrenten Müller nicht die Möglichkeit zu geben, sich ebenfalls zu profilieren.
In einer Herrschaft des Volkes ist die Vielfalt ein Gewinn. Da steht der Gedanke des Pluralismus über dem Wunsch einzelner Kräfte, den politischen Gegner mit Kalkül und Methode auszustechen. Darum will ich keinem Bewerber das Recht absprechen, sich der Wählerschaft zu stellen. Denn die Werte unserer freiheitlichen Gesellschaft, der Anspruch auf eine Bandbreite an Persönlichkeiten, die sich mit unterschiedlicher Couleur dem Referendum preisgeben, sind für mich wichtiger als ein Manöver der Berechnung, den Sieg um jeden Preis ins eigene Lager einfahren zu wollen.