„Ökologisch und sozial“: Auftrag und Verpflichtung
In Singen gibt es eine neue Wählervereinigung: SÖS („Singen ökologisch und sozial“) will bei den Kommunalwahlen am 26. Mai antreten. Bei einer gut besuchten Nominierungsveranstaltung vergangene Woche wurden die zentralen Punkte des – wie der Name schon sagt – sozial und ökologisch ambitionierten Wahlprogramms vorgestellt und 15 KandidatInnen – acht Frauen und sieben Männer – gewählt. Sie wollen auch einen weiteren Rechtsruck verhindern.
„Der Name unserer Wählervereinigung soll Auftrag und Verpflichtung sein“, sagte Peter Mannherz, Initiator von SÖS, bei der Veranstaltung am Mittwoch. Mit einem einleitenden Statement umriss er die Beweggründe und die Ziele der KandidatInnen: „Wir möchten in den Gemeinderat einziehen, um die sozialen und ökologischen Belange der BürgerInnen mehr in den Vordergrund zu rücken“ – und zwar in Singen, einer Stadt, in der Familien fast doppelt so oft von materieller Armut betroffen seien wie in anderen Gemeinden des Landkreises, in der jedes fünfte Kind in Armut aufwachse und in welcher der Mangel an günstigem Wohnraum erheblich dazu beitrage, dass nicht selten mehr als die Hälfte des Einkommens als Mieten bezahlt werden müssten – und in der, wenn nicht gegengesteuert werde, immer mehr Menschen von Obdachlosigkeit betroffen sein werden.
Im Rathaus aber regiere eine Allparteienkoalition, so Mannherz. Dies habe sich gerade jetzt bei der einstimmigen Verabschiedung des Haushalts 2019 gezeigt. Der Haushaltsplan sieht für 2019 eine Kreditaufnahme von 17,7 Millionen Euro vor (wobei offen ist, ob diese Kredite überhaupt in Anspruch genommen werden müssen). Von „Jammern auf hohem Niveau“ spricht Peter Mannherz und befürchtet, dass damit Streichungen bei Schulen, Vereinen, anderen sozialen Aufgaben oder gar Obdachlosen vorsorglich gerechtfertigt werden sollen, während an Prestigeobjekten wie der Edelsanierung der Einkaufswege zum Cano-Center (Hegau- und August-Ruf-Straße) festgehalten werde. Einem Haushaltsplan, der keine Mittel für eigene Wohnbauaktivitäten der Stadt enthält – obwohl Fördermittel des Landes für sozialen Wohnungsbau vorgesehen sind – hätte SÖS nicht zugestimmt.
Weitere wichtige Anliegen von SÖS sind gebührenfreie Kitas und Kindergärten sowie freie Fahrt mit dem Stadtbus – Themen, die Mannherz in Singen nicht einmal ansatzweise diskutiert sieht. Auch darauf, dass die Stadt zwar neue Museen habe, aber für das seit Jahren von der großen Gruppe der jenischen MitbürgerInnen gewünschte Kulturzentrum noch immer kein Grundstück zur Verfügung stehe, wies er hin. Mehr Geld in die Stadtkasse zur Finanzierung sozialer und ökologischer Projekte könnte durch die Erhöhung der Gewerbesteuerhebesätze erreicht werden, denn hier sei Singen deutlich günstiger als andere Kommunen.
Zu den dringendsten ökologischen Aufgaben gehöre die Entlastung der Innenstadt vom Individualverkehr. Statt neuer Parkhäuser sollen mehr Fahrradwege und Fahrradstraßen ausgebaut werden. Dass mit der Eröffnung des Cano-Shoppingcenters die Stadt mit deutlich mehr Verkehr überrollt werde, bereite SÖS große Sorge. Peter Mannherz und einige seiner SÖS-MitstreiterInnnen gehörten der Bürgerinitiative „Für Singen“ an, die sich gegen die Ansiedlung der ECE-Shoppingmall des Großkonzerns Otto-Group engagierte. Das Center wird gebaut, aber die Befürchtungen seiner Kritiker, vor allem was das Sterben der Einzelhandelsfachgeschäfte in der Innenstadt angeht, sind geblieben.
Gegen weiteren Rechtsruck
Daniel Schröder sicherte im Namen des Kreisverbands der Partei Die Linke den SÖS-AktivistInnen Unterstützung im Wahlkampf zu – machte auf den starken Rechtsrutsch in der Stadt aufmerksam. Bei den Landtagswahlen 2016 hatten 20,18 Prozent der Singener WählerInnen für die AfD gestimmt und so das Landtagsmandat von Wolfgang Gedeon ermöglicht. Einen möglichen Einzug der AfD in den Gemeinderat zu verhindern, sei vor allem ihre Motivation für SÖS zu kandidieren, erklärte auch Silvia Betz.
Das Gros der 15 KandidatInnen ist parteilos und ordnet sich zwischen links und grün ein. Frauen und Männer sind fast hälftig vertreten, sozial und beruflich spiegelt sich bei der relativ kleinen Gruppe ein breites Spektrum wider: Arbeiter, HandwerkerInnen, AkademikerInnen, darunter zwei praktizierende ÄrztInnen, ein Steuerberater und eine Ökonomin, Hausfrauen und RentnerInnen sind dabei.
Nahezu einstimmig (lediglich mit den obligatorischen Enthaltungen bei der eigenen Person) wurden der Reihe nach gewählt: Silke Stockebrand, Peter Mannherz, Bruno Raso, Doris Grießhammer, Emiddio Sansone, Bettina Lisa Irene Apricella, Klaus Schröpfer, Sophie Mannherz, Silvia Ptak, Julia Mannherz, Andreas Syré, Birgit Kloos, Dr. Dr. Wolfgang Rommel, Andreas Schaletzky, Silvia Betz.
Um am 26. Mai bei der Kommunalwahl antreten zu dürfen, braucht es nun noch 50 gültige UnterstützerInnen-Adressen, die zu finden aber ein Leichtes sein dürfte. Und im Wahlkampf heißt es für diese neue Wählervereinigung mit ihrem Programm und ihren Anliegen zu überzeugen, sowohl WählerInnen, die mit den etablierten im Gemeinderat vertretenen Parteien nicht mehr zufrieden sind, als auch solche, die in den zurückliegenden Jahren den Wahlurnen fern geblieben sind. Die NichtwählerInnen zu gewinnen wäre für Singen mit seiner traditionell niedrigen Wahlbeteiligung, vor allem in der Südstadt, ein besonderer Erfolg.
Übrigens: SÖS heißt auch „Stuttgart ökologisch sozial“. Diese Wählervereinigung ist aus der Bewegung gegen Stuttgart 21 hervorgegangen und betreibt inzwischen im Stuttgarter Gemeinderat und in den verschiedenen Stadt- und Ortsteilen gemeinsam mit der Partei Die Linke sehr erfolgreich Kommunalpolitik. Da das Kürzel auch für Singen stimmt, wurde der Name adaptiert; und inhaltlich passen das große und das kleine SÖS sowieso.
Uta Preimesser (Foto: Dieter Heise. Das Bild von links nach rechts: die SÖS-KandidatInnen Bruno Raso, Peter Mannherz, Silvia Betz [hinten] und Emiddio Sansone, Silke Stockebrand [vorn])
1. Sozialer Wohnungsbau mit Landesmitteln. Keine Verschleuderung von städtischen Grundstücken mehr zur Befeuerung des überhitzten Immobilienmarktes. Revolvierender Ansatz bei der Grundstücksbewirtschaftung ausschließlich unter sozialen Aspekten.
2. Abbau von Kita- und Kindergartengebühren. Einkommenssteuerbezogene und sozial verträgliche Staffelung als ersten unabdingbaren Schritt.
3. Entlastung der Innenstadt vom Individualverkehr. Keine neuen Parkhäuser. Mehr Fahrradwege. Kostenloser ÖPNV, übergangsweise 1 Euro (Erwachsene) und 50 Cent (Kinder) pro Einzelfahrschein.
4. Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes von 360 Prozent in zwei Etappen auf 390 Prozent (wie in Konstanz) und dann auf 420 Prozent (wie in Freiburg). Die Mehreinnahmen von mindestens 3,2 Millionen bzw. 6,4 Millionen Euro sollen zweckgebunden jährlich zur Finanzierung der städtischen Aufgaben unter sozialen und ökologischen Aspekten verwendet werden.