Offene Geheimnisse

Die Dauerkontroverse zwischen dem Konstanzer Oberbürgermeister und der Linken Liste, die Uli Burchardt unlängst durch Drohungen mit der Justiz erneut befeuert hatte, wird nun auch über die Stadtgrenzen hinaus zur Kenntnis genommen. Michael Lünstroth hat für die Kontext-Wochenzeitung in Stuttgart den Fall Rathausspitze contra Ratslinke aufgearbeitet.

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Wie verschwiegen müssen Gemeinderäte sein? Und ab wann ist ein Geheimnis eigentlich kein Geheimnis mehr? Zwei Fragen, die gerade einen bizarren Streit zwischen dem Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt und einem linken Stadtrat prägen.

Mit dem „offenen Geheimnis“ verhält es sich so ähnlich wie mit dem schwarzen Schimmel – beides gibt es nicht. So wenig wie ein weißes Pferd gleichzeitig schwarz sein kann, kann etwas Öffentliches gleichzeitig geheim sein. Und trotzdem dreht sich in Konstanz gerade ein politischer Streit genau darum. Oder besser gesagt um die Frage, wo genau die Grenze zwischen geheim und öffentlich eigentlich verläuft. Aber der Reihe nach.

Kein offenes Geheimnis, sondern vielmehr eine durch viele Episoden belegbare Tatsache ist, dass der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) und der Stadtrat Holger Reile (Linke Liste Konstanz/LKK) in diesem Leben keine Freunde mehr werden. Reile ist der schärfste Kritiker des seit 2012 amtierenden Burchardt im Gemeinderat. In seinen oft amüsanten, stets pointierten Wortmeldungen legt der gebürtige Bayer einen bisweilen erstaunlichen Ehrgeiz an den Tag, den Oberbürgermeister schlecht aussehen zu lassen.

Den ohnehin nicht mit besonderer Kritikfähigkeit ausgestatteten Burchardt ließ das in der Vergangenheit schon diverse Mal so aus der Haut fahren, dass er dem Stadtrat mal das Mikrofon in laufender Sitzung abdrehen ließ oder ihm mal mit juristischen Konsequenzen für verwaltungskritische, satirische Texte drohte, die Reile auf der von ihm mitbegründeten Plattform „seemoz“ regelmäßig publiziert. Mit anderen Worten: Man kennt sich, man mag sich nicht.

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So verfahren wie jetzt war die Situation aber wohl noch nie. Im Streit um eine Pressemitteilung der LLK hat der Oberbürgermeister dem Stadtrat nun sogar ein Ordnungsgeld von 1000 Euro angedroht. Was war passiert? Einen Tag nach einer nicht-öffentlichen Sitzung zur Zukunft des kriselnden Veranstaltungshauses Bodenseeforum (Kontext hat mehrfach berichtet) hatte die LLK am 21. Dezember eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Bodenseeforum sofort schließen und nach Alternativen suchen“ verschickt. Darin ging es unter anderem um die Tags zuvor beschlossene Entlassung des bisherigen Geschäftsführers.

Vor allem an dieser Personalnachricht entzündete sich offenbar der Zorn des Rathaus-Chefs. Dies sei ein „Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht“, moniert Burchardts Stellvertreter Andreas Osner in einem Schreiben an Reile am 10. April. Tatsächlich gibt es in der baden-württembergischen Gemeindeordnung einen Paragrafen, der genau das regelt: Demnach sind alle Gemeinderäte zu Verschwiegenheit über alle in nicht-öffentlicher Sitzung behandelte Angelegenheiten verpflichtet. Aber war das alles wirklich noch geheim, als die LLK die Nachricht verbreitete?

Holger Reile meint: Nein. Er verweist vor allem darauf, dass bereits am Abend nach der nicht-öffentlichen Sitzung in der lokalen Tageszeitung „Südkurier“ ein Beitrag mit der Nachricht der Kündigung des Geschäftsführers erschienen sei. Laut Internetseite der Zeitung ging der Text um 20.02 Uhr am 20. Dezember online. Fast 16 Stunden bevor die LLK ihre Mitteilung verschickte. „Insoweit gehen wir davon aus, dass die Stadtverwaltung selbst den Südkurier informiert hat und die Nachricht bereits hinreichend öffentlich war“, erläutert Reile. Eine im Raum stehende Sanktionierung der LLK entbehre somit jeder Grundlage, so der Stadtrat. Juristen könnten das auch anders sehen: Wo der Südkurier-Bericht in Teilen noch spekuliert („soll offenbar gekündigt werden“), legt sich die Mitteilung der LLK fest („nach der Kündigung des noch amtierenden Geschäftsführers“). Bei einer möglichen juristischen Überprüfung könnte das ein Knackpunkt sein.

Beim OB liegen die Nerven immer schneller blank

Gerne hätte man auch gewusst, wie die Stadt das Scharmützel inzwischen beurteilt, aber sie bleibt bei ihrer mauernden Öffentlichkeitsarbeit und verweist lediglich darauf, dass es sich „bei dem Thema um eine nichtöffentliche Angelegenheit“ handele. Auskünfte seien daher nicht möglich. Erklären lässt sich der Unmut gegenüber dem linken Stadtrat Reile aber auch so. Er ist vor allem drei Dingen geschuldet: Zum einen hatte sich die Verhandlungsposition der Stadt in den Vertragsauflösungs-Gesprächen mit dem geschassten Geschäftsführer nach dem Publikwerden des Rauswurfs verschlechtert: Die notwendige Abfindung lag danach deutlich über dem, was man ursprünglich bereit war zu zahlen. Zum anderen hängt eine mögliche Wiederwahl von Uli Burchardt wesentlich am Erfolg des Bodenseeforums und zum dritten dauert der Konflikt zwischen OB und Stadtrat schon so lange, dass die Nerven offensichtlich immer schneller blank liegen.

Dabei sind das im Kern ja wesentliche Fragen, die der Fall verhandelt: Wie verschwiegen müssen Gemeinderäte sein? Und ab wann überwiegt so etwas wie das öffentliche Interesse? Erst recht, da ein Anfangsverdacht gegen Reile in dem Thema nicht komplett aus der Luft gegriffen ist. Zwar steht unter den meisten kommunalpolitischen Beiträgen von „seemoz“ nicht Reiles Name, was am grundsätzlichen Problem aber nichts ändert: an der Doppelfunktion als Journalist und Politiker, in der Interessenskonflikte programmiert sind.

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Im konkreten Fall wird das dennoch wieder darauf hinaus laufen, dass auch diese Runde des Konfliktes an Holger Reile gehen wird. Wohl auch deshalb macht derweil, kurz vor der Kommunalwahl am 26. Mai, ein anderes Szenario in Konstanz die Runde: Mit seiner beharrlichen Neigung, Reile zügeln zu wollen, avanciert der CDU-Bürgermeister Burchardt inzwischen längst zum besten Wahlkampfhelfer der Linken in Konstanz.

Michael Lünstroth (Foto: Patrick Pfeiffer)

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