„Ohne Zielsetzung keine Zielerreichung“
Erstmals seit dem Lockdown veranstalteten junge KlimaschützerInnen am vergangenen Freitag, 17.7., einen fast schon traditionell zu nennenden Freitagsstreik. Anlass der Demo: Am kommenden Donnerstag debattiert der Gemeinderat über die Umsetzung der Klimaziele in Konstanz. Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag von FGL, LLK und JFK vor. Der Gegenvorschlag der Stadtverwaltung dazu stieß bei den rund 200 Demonstrierenden auf scharfe Kritik.
Ein vor Corona wohlbekanntes Bild bot sich an diesem Freitagmittag in der Konstanzer Innenstadt: Hunderte Klimaschützer*innen, jung und alt, mit bunten Plakaten, versammelten sich, um für ihre Zukunft zu demonstrieren. Doch eines war anders als gewöhnlich: die Teilnehmenden trugen Mundschutz und hielten Abstand.
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Anlass für den Wiederbeginn der Demonstrationen sind die historischen Verhandlungen über eine Klimazielsetzung in der Gemeinderatssitzung am 23.7.2020. Nachdem die Stadt Konstanz sich mit der Ausrufung des Klimanotstands dazu verpflichtet hat, ihren Beitrag zur Einhaltung der 1,5 Grad Grenze zu leisten, fordert Fridays for Future nun seit mehr als einem Jahr, diese Absichtserklärung in die Tat umzusetzen. Das heißt, dass Konstanz bis spätestens 2030 klimapositiv sein muss, also weniger Emissionen ausstößt, als durch natürliche Prozesse wieder aufgenommen werden können.
Im Mai hatten die Freie Grüne Liste Konstanz, das Junge Forum und die Linke Liste einen Antrag für die Klimazielsetzung „klimapositiv 2030“ eingereicht. Die jungen Demonstrant*innen erhoffen sich einen ähnlich wegweisenden Beschluss vom Gemeinderat wie schon letztes Jahr beim Klimanotstand. „Da die Zielsetzung „2030 klimapositiv“ nur die logische Konsequenz aus dem Klimanotstand und sie für unsere Zukunft aus wissenschaftlicher Sicht auch absolut notwendig ist, sind wir zuversichtlich, dass sich der gesamte Gemeinderat hinter dieses Ziel und die Einhaltung der überlebenswichtigen 1,5 Grad Grenze stellen wird“, so die 18-jährige Schülerin Lena Gundelfinger.
Am Freitag zeigten sich die Klimaschützer*innen allerdings sehr empört: Die Stadtverwaltung hat einen Gegenvorschlag zu dem Antrag „Konstanz klimapositiv 2030“ veröffentlicht, dieser ist laut Fridays for Future absolut unzureichend. Die Stadtverwaltung plant zunächst eine Studie über die Umsetzung verschiedener Klimaschutzszenarien zu erstellen und dann im Laufe des kommenden Jahres über eine Klimazielsetzung abzustimmen. „Wir begrüßen es, eine Studie zur Umsetzung der Klimaziele zu erstellen, allerdings ist es ein Skandal, dass damit die Festlegung einer Klimazielsetzung um ein weiteres Jahr verzögert werden soll. Es ist absolut klar, dass wir, um unsere Zukunft nicht zu zerstören, bis spätestens 2030 klimapositiv werden müssen. Auch andere Städte, wie z.B. Tübingen, Marburg und Heidelberg gehen bereits mutig und entschlossen voran. Dem müssen wir uns anschließen, anstatt zehn Jahre bevor wir keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen, ein Jahr lang abzuwarten“, empört sich Pirmin Kupffer. „Einen großen Teil des Weges können wir auch ohne neue Studie zurücklegen, deshalb müssen wir jetzt mit dem verbindlichen Ziel 2030 losmarschieren und parallel eine Studie anfertigen. Das Ziel ist so schon ambitioniert, da können wir nicht noch ein Jahr abwarten und untersuchen.“
Daher forderte Fridays for Future die Verwaltung und den Gemeinderat dazu auf, sich klar zum Ziel der klimapositiven Stadt in zehn Jahren zu bekennen und dieses Verbindlich zu beschließen. Basierend auf diesem klaren Ziel müsse dann eine Studie, erarbeitet werden. Diese Forderung verkündeten die Demonstrant*innen auch lautstark, als sie durch die Innenstadt am Rathaus vorbei zogen, um an der Marktstätte ihre Abschlusskundgebung abzuhalten.
Stattdessen müsse man jetzt eine Zielsetzung beschließen und deren Umsetzung dann zusammen mit den Expert*innen, die die Studie erstellen, erarbeiten, fordert Fridays for Future von der Stadt.
Pro Amazonia: Brasilianische Produkte boykottieren
Bei der Kundgebung kam auch Marco Walter zu Wort, der sich für Pro Amazonia engagiert. Der Konstanzer Verein macht gegen die galoppierende Zerstörung des Amazonas-Regenwalds mobil und setzt sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens ein. In seiner im folgenden dokumentierten Rede wies er auf die weitreichenden klimapolitischen Folgen der vom rechtsradikalen Präsidenten Bolsonaro forcierten Politik der verbrannten Waldes hin.
Die Erde brennt, der Amazonas brennt! Doch wir geben nicht auf! Mein Name ist Marco Walter und ich bin hier mit meinen Freundinnen und Freunden von Pro Amazonia Konstanz. Danke an Fridays for Future für die Einladung zu dieser Demo und die tollen Aktionen, welche wir bereits gemeinsam umgesetzt haben. Schön, dass ihr alle wieder da seid! Schön, dass wir wieder auf der Straße sind.
Der Amazonas-Regenwald ist, dass wissen hier wohl alle, einer der wichtigsten Klimaregulatoren der Erde. In jedem Quadratkilometer sind ungefähr 20.000 Tonnen Kohlenstoff gespeichert, im gesamten Amazonas sind 90 Milliarden Tonnen Kohlenstoff enthalten. Allein durch Photosynthese bindet der Amazonas ca. 5 Prozent des weltweit ausgestoßenen Kohlendioxids. Dazu kommt eine enorme Vielfalt an Arten, von denen viele noch nicht bekannt sind. Der Amazonas ist auch Lebensraum für hunderte indigener Völker, die seit Jahrtausenden von und im Einklang mit ihm leben. Sie sind bis heute die Hüter dieser sagenhaften Natur.
Doch leider werden sie seit der Besetzung Südamerikas durch die Europäischen Invasoren vor 500 Jahren bekämpft und mit Ausrottung bedroht. Millionen von ihnen sind an der Gewalt und den Krankheiten der Eindringlinge ums Leben gekommen. Und die Natur, welche sie verehren, wurde von Anbeginn der Besetzung ausgebeutet und vernichtet. Das war unter jeder Regierung der Regenwald-Staaten mehr oder weniger drastisch, doch seit Anfang letzten Jahres ist Brasilien als größter Amazonas-Staat in eine neue Ära grenzenloser Menschenverachtung und Naturzerstörung eingetreten. Der neue rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro hat vom ersten Tag seiner Machtübernahme klar gemacht, dass er den Amazonas für wirtschaftliche Interessen opfern und seine indigenen Bewohner ausrotten will. Dieses Ziel betreibt er seitdem unbeirrt, ermuntert Soyafarmer, Rinderzüchter, Holzfäller und Goldsucher dazu, illegal in die Gebiete der Indigenen einzudringen und sich zu holen, was sie wollen. Seit seinem Amtsantritt hat sich die Geschwindigkeit der Amazonasvernichtung mehr als verdoppelt. Ihm scheint jedes Mittel recht zu sein, die Zerstörung voranzutreiben. Sogar Corona sieht seine Regierung als Chance an, möglichst viel Natur zu zerstören und indigene Völker zu dezimieren.
Pro Amazonia Konstanz hat sich gegründet, um einen Beitrag zu leisten, den Amazonas und seine Ureinwohnerinnen zu schützen. Wir haben die Stadt Konstanz überzeugt, eine Klimapartnerschaft mit dem Volk der Borari aus dem Brasilianischen Bundesstaat Para einzugehen. Wir organisieren Aktionstage, der nächste wird am 9. August, dem Tag der Indigenen sein, gehen in Schulen und betreiben Öffentlichkeitsarbeit, um auf die Lage im Amazonas aufmerksam zu machen und die internationale Solidarität, aber auch den Druck auf die dortige Regierung zu erhöhen.
Hierbei ist der Boykott brasilianischer Produkte sehr wichtig und wir fordern alle Konstanzer Einzelhändler und Supermärkte auf, die brasilianischen Waren aus den Regalen zu nehmen, bis das Land zu einem effektiven Schutz des Amazonas kommt. Ihr könnt das unterstützen, indem ihr die Manager persönlich auf das Thema ansprecht oder Briefe an die Zentralen schickt.
Durch unsere letzte Aktion im Mai und Juni konnten wir 220 mittellos gewordene Familien der Borari mittels regional gepackten Hilfspaketen für einen Monat das Überleben sichern. Wir wollen diese Aktion wiederholen und zusätzlich Saatgut verteilen, damit die Menschen ihre eigenen Lebensmittel anpflanzen können. Wenn die Corona-Situation es zulässt, werden wir ein Gemeindezentrum für die Borari ermöglichen, in denen sie sich organisieren können.
Und wir werden versuchen, weitere Städte und Kommunen in Europa von Partnerschaften mit indigenen Völkern zu überzeugen. So soll ein Netz der Solidarität gespannt werden, das unseren indigenen Schwestern und Brüdern kraftvoll zur Seite steht.
Wir freuen uns über eure persönliche Unterstützung, aber auch die Zusammenarbeit mit Fridays for Future für unsere gemeinsamen Ziele.
MM/jüg (Foto: Fridays for Future Konstanz)