Omas gegen rechts machen mobil

Erschreckend schnell ist der Skandal um das freundliche Geleit der Ordnungskräfte für unmaskierte Corona-Leugner am Wochenende in Stuttgart aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt worden. Gar nicht erst ins öffentliche Bewusstsein drang hingegen, dass die Polizei durchaus rustikal vorgehen kann – gegen Gegendemonstranten nämlich, obwohl die sich an die Corona-Vorgaben hielten. Die „Omas gegen rechts“ wollen das nicht auf sich sitzen lassen und haben dem Ministerpräsidenten geschrieben.

Hier der Brief in vollem Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

wir Omas gegen rechts im Südwesten und in ganz Deutschland haben schon im Mai letzten Jahres klar Position bezogen und stehen hinter den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Wir haben unsere Aktivitäten eingeschränkt und sie immer wieder den Hygienestandards, die gerade notwendig und von allen gefordert waren, angepasst.

Viele von uns haben über lange Phasen auf Kontakte mit ihren Familien verzichtet. Mit großer Sorge und wo möglich auch immer wieder mit deutlichem Protest haben wir die Aktivitäten der Querdenker beobachtet und begleitet.

Dass diese Szene sich zusehends radikalisiert, ist nicht erst klar, seit die AfD die Freiheitsrechte „entdeckt“ und sich an diesen Protest angehängt hat. Diese zunehmende Radikalisierung der Querdenken-Bewegung hat in Baden- Württemberg schließlich zur Beobachtung durch den Landesverfassungsschutz geführt, was wir sehr begrüßen.

Mittlerweile befinden wir uns mitten in der dritten Infektionswelle. Die Impfungen gehen schleppend voran, die Inzidenzen steigen. Mitten in dieser dritten Welle melden die Querdenker eine Kundgebung in der Landeshauptstadt an. Eine Kundgebung, bei der von vorneherein abzusehen war, dass man kein Interesse hat, sich an Auflagen der Behörde zu halten. Einer Kundgebung, die man nach den Vorgaben des Infektionsschutzes hätte verbieten können.

Nein, man ließ sie unter Auflagen zu. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, heißt es. Man kündigte an, die Kundgebung aufzulösen, sollten die Auflagen nicht eingehalten werden.

Die Auflagen wurden nicht eingehalten – für alle Welt sichtbar. Die Versammlung wurde nicht aufgelöst. Begründung: Die Auflagen werden zwar nicht eingehalten, die Versammlung verläuft jedoch friedlich. – Außer ein paar Steinwürfen auf ein ARD-Team, außer ein paar Hooligans am Rande der Veranstaltung …

Stattdessen werden Gegendemonstranten eingekesselt.

Von dieser Einkesselung berichtet eine unserer Mitstreiterinnen:

„Schon auf der Hinreise stiegen ungehindert immer mehr Menschen ohne Maske in den Zug, die auch nach mehrfacher Aufforderung keinerlei Veranlassung sahen, sich Masken aufzuziehen. So saß ich nun in einem Zug mit Schwurblern. Mit Freunden im Auto wollte ich nicht fahren, da wir bereits einige Tage zuvor in Sinsheim darauf hingewiesen wurden, dass nun maximal zwei Haushalte pro Auto zusammenfahren dürften (was in Sinsheim lustigerweise nicht für die Reisebusse galt, mit denen die Querdenker aufschlugen, aber das ist eine andere Geschichte). In Stuttgart angekommen, sah ich zunächst sehr viele Querdenker, die immer wieder unseren Weg kreuzten.

Als klar wurde, dass die Polizei die Querdenker in Stuttgart trotz massiven Verstößen gegen die Auflagen weiterhin marschieren ließ, formierte sich ein Gegenprotest, dem ich mich auch anschloss, der jedoch nach kurzer Zeit mit einem massiven Polizeiaufgebot von allen Seiten eingekesselt wurde.

Die Polizei schubste dabei einige Leute zu Boden. Ein junger Mann wurde dabei verletzt, durfte aber den Kessel nicht mit seinem Begleiter verlassen. Stattdessen wurde er von Demosanitätern im Kessel versorgt, bis der von diesen angeforderte Rettungswagen eintraf.

Irgendwann sagte man uns per Lautsprecherdurchsage, wir hätten eine Störung begangen, und man würde uns jetzt einzeln aus dem Kessel führen, unsere Personalien feststellen, und uns einen Platzverweis erteilen. Wir, die Störer. Die FFP2 Masken tragen, auf Abstand bedacht sind, uns während der Zeit im Kessel die Hände desinfizieren, impfbereit sind, in jeder Hinsicht kooperationsbereit sind. Zeitgleich laufen über 10.000 Menschen ohne Masken, ohne Abstand, unter ihnen Faschisten, Neonazis und Antisemiten, durch die Stadt und bepöbeln und bedrohen sogar unbeteiligte Passant*innen, nur weil diese Maske tragen.

Drei Stunden im Kessel. Wer blieb an dem Tag friedlich? Wir. Der Gegenprotest. Wer schlug an dem Tag auf Journalisten ein? Die Querdenker.

Nach drei Stunden wurde mir dann erklärt, ich habe mich unverzüglich aus dem Stadtgebiet von Stuttgart zu entfernen. Sollte ich in Stuttgart wohnen, müsse ich mich unverzüglich in meine Wohnung begeben, und dürfe die bis 6 Uhr morgens nicht verlassen.

Auch auf der Rückfahrt waren wieder maskenlose Schwurbler in der Bahn. Aber ich darf nicht mit mehr als zwei Haushalten in einem Auto sitzen, wenn ich gegen Schwurbler demonstrieren fahre, und muss deshalb mit denen in der Bahn sitzen. Ist das so gewollt? Wirklich?“

Wir Omas gegen rechts im Südwesten sind empört über die Vorgänge in der Landeshauptstadt Stuttgart am vergangenen Samstag.

Wir erwarten in diesem Zusammenhang von unserer Landesregierung eine deutliche Stellungnahme.

Bislang schiebt nur jeder die Verantwortung auf den anderen: Die Landesregierung auf die Stadt, die Stadt auf die Polizei, oder wahlweise umgekehrt.

Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut. In unseren Regionalgruppen wird immer wieder abgewogen, ob wir an Versammlungen teilnehmen oder nicht. Selbstverständlich halten wir uns an die damit verbundenen Auflagen.

Wir als politisch aktive Frauen, die sich einmischen in den politischen Diskurs – wir sehen uns alleine gelassen, wenn Recht gebrochen wird, ohne dass auf der Seite der Exekutive darauf reagiert wird.

Wir bitten Sie, Herr Ministerpräsident Kretschmann, um eine deutliche und klare Positionierung!

Mit freundlichen Grüßen im Namen der Omas gegen rechts Deutschland e.V. und zahlreicher Regionalgruppen im gesamten Bundesgebiet

[Unterschriften]

MM/red (Symbolbild: Christian Michelides, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)