Prekäre Arbeit in der Wissenschaft – Buchvorstellung „#IchBinHanna“ mit Autorin Kristin Eichhorn
An den Universitäten sitzen irgendwelche Eierköpfe auf bestens bezahlten Stellen, können tun und lassen, was sie wollen, haben dauernd Semesterferien und leben überhaupt wie die Maden im Speck. Dies ist das gängige Klischee. Die Realität sieht aber für die meisten Nachwuchswissenschaftler*innen ganz anders aus: Befristete Stellen, ungewisse Projekte und soziale Unsicherheit. Dazu gibt es am nächsten Dienstag eine Podiumsveranstaltung an der Uni.
„Ich bin Daniel, 44, Philosoph, und ich habe nach meinem Studienabschluss 15 Jahre lang auf befristeten Teilzeitstellen (in 6 verschiedenen Städten) und Hartz IV geforscht und gelehrt. Seit letztem Jahr habe ich erstmals eine feste Stelle – im Ausland #IchbinHanna“
10:31 vorm. · 11. Juni 2021 — daniel loick (@da_loick)
Mit Aussagen wie dieser meldeten sich seit Sommer 2021 tausende Wissenschaftler*innen bei Twitter zu Wort. Ihr Ziel war nicht, Ihre Forschung zu präsentieren, sondern auf die prekären Arbeitsbedingungen im deutschen Mittelbau aufmerksam zu machen. Denn das landläufige Bild von Professor*innen, die auf Beamtenstellen mit guten Bezügen und hohen Pensionsaussichten das Privileg genießen, selbstbestimmt und frei forschen zu können, stimmt eben nur bedingt. Zwar ist das Sozialprestige von Wissenschaftler*innen durchaus hoch und das Gehalt bei einer vollen Stelle durchaus komfortabel. Allein: Wer hat die schon und wenn ja, für wie lange?
Zahlreiche wissenschaftliche Angestellte sind (unfreiwillig) teilzeitbeschäftigt – gefordert wird in der Regel aber dennoch, 100 Prozent zu arbeiten. Arbeitszeiterfassungen gibt es bislang nicht, sodass Überstunden nicht abgebaut oder ausbezahlt werden können. Zahlreiche Wissenschaftler*innen finanzieren sich jahrelang über Stipendien, bei denen sie sich selbst sozial- und rentenversichern müssen. Und auch diejenigen, die für ihre Arbeit tatsächlich vollständig entlohnt werden, müssen sich oft bis ins fünfte Lebensjahrzehnt mit befristeten Verträgen mit kurzen Laufzeiten, ständiger Unsicherheit und der Anforderung, räumlich (mindestens innerhalb Deutschlands) flexibel zu bleiben, zufriedengeben.
Es sind nicht nur diese Einschränkungen der Lebensplanung, diese Hürden für Partnerschaft und Familiengründung, diese ständige Sorge, irgendwann vor dem Nichts zu stehen, die von teilweise eben nicht mehr ganz so jungen „Nachwuchs“wissenschaftler*innen auf Twitter beklagt werden. Es sind auch die Auswirkungen auf die Wissenschaft selbst: Beispielsweise die im obigen Zitat deutlich werdende Abwanderung Hochqualifizierter ins Ausland, die immense Zeit, die für Forschungsanträge statt für Forschung selbst aufgewendet werden muss, die dauernde Abhängigkeit, die sich negativ auf die Freiheit der wissenschaftlichen Diskussion auswirkt und zu einer Ausrichtung der Forschung auf trendige Themen und gefällige Thesen führen kann. Nicht zuletzt schultern die „Nachwuchs“wissenschaftler*innen einen Großteil der universitären Lehre, während dieser im Rennen um die rar gesäten Professuren kaum Bedeutung beigemessen wird.
Grundlage dieser Verhältnisse ist – unter anderem – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Es legt fest, dass wissenschaftliche Angestellte während ihrer – bis zur Erreichung einer Professur andauernden – Qualifizierungszeit für zweimal sechs Jahre (jeweils vor und nach der Promotion) befristet angestellt werden dürfen. Die Anzahl der befristeten Verträge, die man in dieser Zeit hat, ist irrelevant. Die ursprüngliche Intention, nach höchstens zwölf Jahren weitere befristete Beschäftigung zu verhindern, konnte so jedoch nicht umgesetzt werden oder brachte nun ihrerseits neue Probleme hervor: Denn nach der festgelegten Zeitspanne folgt in der Regel nicht die Festanstellung, sondern entweder der Ausschluss aus der Wissenschaft oder die befristete Weiterbeschäftigung auf extern finanzierten Projektstellen oder Vertretungsprofessuren.
Dass diese Arbeitsbedingungen notwendig sind, versuchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung in einem kurzen Erklärvideo zu vermitteln, dessen Hauptfigur, die Biologiedoktorandin „Hanna“, zur Namensgeberin des Protesthashtags wurde. Dass ihre Anstellung nur befristet möglich sei, wird damit erklärt, dass nur so die nötige wissenschaftliche Innovation gewährleistet wäre. Würden Wissenschaftler*innen unbefristet angestellt, würde das System „verstopfen“: Nachkommende Generation könnten sich nicht qualifizieren, die Universitäten nicht mehr die benötigten Fachkräfte für Wirtschaft und Gesellschaft ausbilden. Die Hanna aus dem BMBF-Video wirkt mit diesen Bedingungen durchaus zufrieden: Sie plant ihre Karriere fachmännisch und lässt sich beraten. Doch so entspannt wie die BMBF-Hanna sehen das die zahlreichen realen Hannas nicht – der Twitter Hashtag #IchbinHanna war geboren und wurde zeitweise zur Nummer 1 der deutschen Twittertrends. Komplettiert wurde die Debatte durch den Hashtag #IchbinReyhan‚ der auf die noch prekäreren Bedingungen von im akademischen System unterrepräsentierten Gruppen aufmerksam macht.
In Reaktion auf diesen Sturm der Entrüstung nahm das BMBF das Video verschämt aus dem Netz und versuchte – relativ erfolglos – die Wogen zu glätten. Nicht nur entstand ein Gegenvideo, das Hannas Arbeitssituation in deutlich düstereren Farben zeichnet. Das Thema wurde auch von zahlreichen überregionalen Zeitungen aufgegriffen, in einer Aktuellen Stunde im Bundestag debattiert und stand im Zentrum der Kampagnenarbeit der für Bildung und Forschung zuständigen Gewerkschaften und zahlreicher Mittelbauinitiativen. Allerspätestens die 2022 veröffentlichte Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und die diese begleitende Alternative Evaluation des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft haben deutlich gemacht, dass Handlungsbedarf besteht. Einzelne Universitäten – so auch Konstanz – haben sich auf den Weg gemacht, Konzepte für verlässliche Karrierewege auszuarbeiten, einzelne Bundesländer, wie Berlin, haben ihre Landesgesetzgebung novelliert und auch in der Bundesregierung ist die Reformdebatte in vollem Gange – noch im ersten Halbjahr soll ein erster Entwurf vorliegen.
Ein guter Zeitpunkt also, das Thema erneut zu beleuchten: Am 14.02. laden die Volkshochschule Konstanz und die Mittelbau-Initiative Konstanz zur Podiumsveranstaltung mit Kristin Eichhorn, Mitinitiatorin des ursprünglichen Hashtags und Mitautorin des Buchs #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, erschienen 2022 im Suhrkamp Verlag. Die öffentliche Veranstaltung findet am 14.02. um 17 Uhr in Raum A 702 der Universität statt.
Text: Medienmitteilung der Mittelbauinitiative Konstanz, Symbolbild: Universität Konstanz.
Eine Förderung junger Wissenschaftler/innen sieht anders aus. Verkrustete Rahmenbedingungen die de- motivieren, statt motivieren. In keinem anderen Arbeitsumfeld wird hoffnungsvoller, zukunftsorientierter Nachwuchs derart ausgebeutet. Es ist höchste Zeit, dass der Wert unserer wissenschaftlichen Hoffnungsträger hinterfragt und mehr geschätzt wird.