Prioritäten sind gefragt: Klinikum kommt vor KKH

Die Konstanzer Gemeinderäte freuten sich auf eine kurze, erste Gemeinderatssitzung in neuen Jahr: Nix da – Brand-Folgen, Klinikum-Sorgen und KKH-Träume sorgten für eine stundenlange Diskussion. Immerhin wurde klar: Für eine neuerliche KKH-Debatte ist kein Platz angesichts der drängenden Haushaltsprobleme. Von den Sorgen ums Klinikum ganz zu schweigen – das Mega-Thema der kommenden Jahre.

Trotz einer überschaubaren Tagesordnung tagte der Gemeinderat über sechs Stunden. Allein der ausführliche Bericht von Feuerwehrkommandant Dieter Quintus und Wolfgang Rüdiger vom Technischen Hilfswerk über den verheerenden Brand in der Altstadt vom 23. Dezember 2010 und die umfassende Vorstellung der Bürgerbefragung 2010 nahmen fast drei Stunden in Anspruch.

Vor dem Einstieg in die Tagesordnung erinnerte OB Frank an das denkwürdige Datum der Sitzung: Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit und seit 1996 erinnert der „Holocaust-Gedenktag“ an alle Opfer des Nationalsozialismus. Der Oberbürgermeister mahnte, als Demokraten wachsam und achtsam gegenüber unseren Mitmenschen zu sein, damit sich die beispiellose Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen nie mehr wiederholen könne.

KKH und kein Ende

Die Vorstellung der Unistudie „Bürgerbefragung 2010 – Nutzung kultureller Einrichtungen und Lebenszufriedenheit“ bot mal wieder Anlass, um dem untoten Wiedergänger Konzert- und Kongresshaus vermeintlich neues Leben einzuhauchen. Wir erinnern uns: am 21. März 2010 stimmte die Konstanzer Bürgerschaft bei hoher Wahlbeteiligung mit einem mehr als eindeutigen Ergebnis (65,7% Nein-Stimmen) gegen ein solches Haus auf Klein-Venedig. Die Studie befasste sich auch mit den Einschätzungen der Konstanzer Bürgerinnen und Bürger zum KKH. Das erstaunliche Ergebnis: Klein-Venedig scheiterte am Standort und dem hohen finanziellen Risiko.

Zudem bekundeten 63% der 802 Befragten ihr „Interesse am Vorhaben Konzert und Kongresshaus“. Eine Feststellung, die ein weites Feld für Spekulationen eröffnet. Denn auch GegnerInnen des Vorhabens dürften die bürgerferne Durchsetzung des hoch umstrittenen Projekts mit Interesse verfolgt haben. 22% sprachen sich dafür aus, die Planungen an einem anderen Standort später zu beginnen, 24% waren dafür, dies sofort zu tun. Selbst diese Zahlen relativieren den eindeutigen Bürgerentscheid nicht: an welchem Standort denn (laut Professor Hinz, der die Ergebnisse der Befragung vorstellte, wurden mehr als hundert mögliche Standorte genannt) und wie ist „später“ zu definieren?

Wie aber nicht anders zu erwarten, hakten CDU, Freie Wähler und FDP ein und sprachen sich mit ihren alten und gescheiterten Argumenten dafür aus, weitere Ideen zu sammeln und „nicht zu resignieren, denn ein solches Haus ist gut für uns und unsere Stadt“ (Roth, CDU).

Wie ein angeschlagener Boxer…

Ganz anders Holger Reile von der Linken Liste Konstanz: Ihm kämen die Befürworter aus dem bürgerlichen Block wie „ein angeschlagener Boxer vor, der ordentlich eins auf die Nuss bekommen hat und nicht einsehen will, dass er verloren hat“. Er bat darum, den Gemeinderat nicht in Gesinnungshaft für ein sinnloses Unterfangen zu nehmen und endlich zur Kenntnis zu nehmen, in dieser Frage verloren zu haben. Dorothee Jacobs-Krahnen, die in einem vorhergehenden Redebeitrag mehr Bürgernähe eingefordert hatte, erinnerte er daran, dass sich schon 2003 eine eindeutige Mehrheit gegen ein Konzert- und Kongresszentrum ausgesprochen hatte: dies habe sie als Gemeinderätin jedoch nicht davon abgehalten, sich zweimal vehement für ein KKH einzusetzen.

Mit einer Deutlichkeit, die so wohl niemand erwartet hätte, erteilte Oberbürgermeister Frank den (alten) neuen Begehrlichkeiten eine klare Absage: Unter Bezugnahme auf FDP-Altstadtrat Edgar Kießling, der in der Bürgerfragestunde sein Projekt „Kulturhaus auf dem Vincentius-Gelände“ vorstellte, machte er deutlich, dass es derzeit keinen Spielraum für einen neuen Anlauf gebe. Die Ressourcen in der Verwaltung seien nicht vorhanden und die bestehende Rücklage restlos für den Haushaltsausgleich verplant. Der Rat müsse sich in den kommenden Jahren anderen, weitaus dringlicheren Fragen widmen: er nannte den Ausbau der Kindertagesstätten und Schulen, die genehmigungsfähige Verabschiedung des Doppelhaushalts 2011/2012 und die Probleme und Aufgaben rund um das Klinikum.

Dauerpatient Konstanzer Klinikum

Dass es in finanzieller Hinsicht um das Konstanzer Klinikum nicht gut bestellt ist, kann wohl niemand ernsthaft bestreiten. Wie dramatisch sich die Lage allerdings darstellt, wurde von Bürgermeister Boldt erstmals in öffentlicher Sitzung drastisch geschildert: Wenn sich der Schuldenstand von 2010 (prognostizierte 2,7 Millionen) in den kommenden Jahren bis 2015 so fortsetze, müsse Konkurs angemeldet werden. Insgesamt habe das Klinikum ohne Kredite Schulden im Wert von rund neun Millionen Euro zu verzeichnen. Aufgrund der steigenden Personalkosten entstehe 2011 eine Deckungslücke von 627 000 Euro, der 12,5 Vollarbeitsstellen gegenüber stünden. Ein deutlicher Wink an den Personalrat, sich kooperativ zu zeigen und einem weiteren Personalabbau zuzustimmen, obwohl die Beschäftigten schon heute an der Belastbarkeitsgrenze (oder darüber) arbeiten.

Dazu muss man wissen: Erst mit dem im Mai 2010 mehrheitlich gefassten Grundsatzbeschluss des Gemeinderates, das Konstanzer Klinikum in eine GmbH umzuwandeln, wird das Szenario eines Konkurses durch das GmbH-Recht und die Verpflichtung des Geschäftsführers, bei Verlusten spätestens drei Wochen nach Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen, überhaupt nur ermöglicht: Als Eigenbetrieb der Spitalstiftung Konstanz wäre die Stadt für das Klinikum verantwortlich und übernähme Verluste und Kredite – als wichtige Aufgabe für die Daseinsvorsorge der Konstanzer Bevölkerung.

Die einzige Alternative, um eine kommunale Trägerschaft sicherzustellen, so Boldt weiter, sei eine kreisweite Lösung bzw. Holding mit den HBH-Kliniken in Singen und der Krankenhaus Stockach GmbH, bis heute Partner des Klinikums Konstanz. Synergien seien zwingend notwendig, medizinische Schwerpunkte müssten gesetzt werden. Negativ zu bewerten sei, dass eine kreisweite Holding unbestritten zu einem Einflussverlust des Stiftungsrates und einer Verlagerung von medizinischen Abteilungen führen würde. Ein Zusammengehen mit Friedrichshafen scheint in weitere Ferne gerückt, wird aber nach wie vor nicht ausgeschlossen.

Wird die Verhandlungsposition von Konstanz geschwächt?

Und viele Fragen bleiben offen: Wer trägt die Verluste? Was geschieht mit den Gewinnen? Wer finanziert die nötigen Investitionen? Wie wird die Gewährträgerschaft geregelt? Inwiefern sind kartell- und stiftungsrechtliche Fragen bei einer Holding-Gründung zu beachten? Wo werden die medizinischen Schwerpunkte gesetzt, worauf muss Konstanz künftig verzichten? Konkret heißt das unter anderem: Wird es im Kreis künftig nur noch ein Kinderkrankenhaus und eine urologische Fachabteilung geben?

Ein Bündel an unbeantworteten Fragen, das bei den Gemeinderäten zu deutlichen Reaktionen führte. Christiane Kreitmeier (FGL) meinte, dass ein Grundsatzbeschluss für einen kreisweiten Verbund nur bei einer einheitlichen Vorlage möglich sei. Auch Eberhard Roth (CDU) forderte konkrete Zahlen und Antworten auf die zahlreichen offenen Fragen und war nicht bereit, „die Katze im Sack“ zu kaufen. Jürgen Puchta (SPD) kritisierte die unbefriedigende Faktenlage und bewertete die dramatische Ausführungen Boldts als Schwächung der Verhandlungsposition Konstanz’ gegenüber Singen – eine Zustimmung zu jedem Preis dürfe es nicht geben.

Öffentlichkeit in der Diskussion ist nötig

Einigkeit herrschte im Rat aber darüber, dass das Konstanzer Klinikum in – wie auch immer gearteter – kommunaler Trägerschaft bleiben solle. Einzig Heinrich Everke (FDP) lobte die Qualität des Helios Spitals Überlingen und bekannte sich so indirekt zu einem Verkauf des Klinikums an einen privaten Investor. Eine Aussage, die es zu überprüfen gilt – denn der Helios-Mutterkonzern, Fresenius SE, der auch schon in Konstanz angeklopft hat, strebt hohe Gewinne nach der Übernahme an: drei Prozent im ersten Jahr, sechs im zweiten, und im fünften Jahr 15 Prozent – dies kann nur zu Lasten der Pflegequalität und des Personals möglich sein. Stichworte sind hier Personalabbau, Lohnreduzierung, Leistungsverdichtung, Auslagerung von Betriebsteilen und eine deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegende Verweildauer der Patienten.

Bleibt festzuhalten: die Gesundheitsversorgung ist eine der wichtigsten kommunalen Aufgaben und darf nicht der Profitmaximierung unterworfen sein. Denn ist erst einmal die Privatisierung in kommunaler Trägerschaft beschlossen, ist der Verkauf an private Krankenhauskonzerne nicht mehr weit – tatsächliche oder aufgebauschte Sachzwänge und Horrorszenarien machen dies möglich. Das heißt auch, größtmögliche Transparenz und die Einbeziehung der Konstanzer Bürgerschaft einzufordern – alle weiteren Zahlen, Fakten und Handlungsszenarien müssen in öffentlicher Sitzung dargestellt und entschieden werden.

Autorin: Anke Schwede