Proteste und bisweilen Solidarität im Gemeinderat

20131122-220910.jpgEinerseits – andererseits: Einerseits war das eine der längsten Gemeinderatssitzungen – acht Stunden saß man zusammen, um das Sonderthema ‚Wohnen‘ und 30 Tagesordnungspunkte abzuarbeiten, 40 Demonstranten waren da und das Fernsehen. Andererseits brachten die 38 Stadträtinnen und Stadträte trotz allen Fleißes kaum Bahnbrechendes auf die Schiene: Wahlen endeten ohne Überraschung und Konflikte wurden von einer breiten Mehrheit zu Kompromissen umfunktioniert

Hurra, ein neuer Bürgermeister ist da

Mit Karl Langensteiner-Schönborn, derzeit Baubürgermeister in Lahr, erhält Konstanz ab 1. Februar einen Nachfolger für Bürgermeister Kurt Werner. Mit überwältigender Mehrheit setzte sich der 48-jährige Architekt und Stadtplaner bereits im ersten Wahlgang gegen zwei Mitbewerber durch und vervollständigt damit die Verjüngung der Verwaltungsspitze (s. Foto). In seiner Vorstellungsrede beeindruckte Langensteiner-Schönborn vor allem mit seinem Plädoyer für eine frühzeitige Bürgerbeteiligung und seiner Zurückhaltung gegenüber Konzerthaus-Plänen.

Proteste von Bürgern und Flüchtlingen

Schon vier Stunden der Gemeinderatssitzung waren vergangen, als um 18 Uhr die Bürger-Protestler zu Wort kamen. Zuerst eroberte Andreas Marder das Mikrophon und begründete den dann auch schriftlich vorgetragenen Protest der Anwohner, die eine Verlagerung des Boule-Clubs auf den Bolzplatz an der Schwaketenstraße verhindern wollen; zumindest sollten Alternativstandorte intensiver als bislang untersucht werden. Das nahm der Gemeinderat (GR) später auf, als er mit großer Mehrheit für einen „Aufstellungsbeschluss“ votierte, der Martin Wichmann zufolge der Verwaltung die Möglichkeit eröffnet, weiter zu planen, ohne die Protestler vor vollendete Tatsachen zu stellen. Der stellvertretender Leiter im Amt für Stadtplanung und Umwelt versicherte glaubhaft, dass auch Alternativen ernsthaft geprüft würden.

Begleitet von über 40 Flüchtlingen, die nur auf dem Boden ihren Platz fanden (s.Foto), begründeten Susanne Scheiter und Monika Schickel vom Aktionsbündnis Abschiebestopp ihren Protest gegen die Gutschein-Praxis, mit der das Landratsamt seit Jahren die in der Konstanzer Steinstraße kasernierten Flüchtlinge abspeist (seemoz berichtet mehrfach). Ihre Demonstration, die sich wortgleich auch in einem Antrag der Linken Liste Konstanz (LLK) wiederfand, stieß im Gemeinderat quer durch alle Fraktionen auf viel Verständnis. So ist es nicht verwunderlich, dass OB Burchardt zusagte, Landrat Hämmerle zu einer Stellungnahme aufzufordern; überdies wird Hämmerle gebeten, in der nächsten GR-Sitzung seine „diskriminierende Politik“ (Susanne Scheiter) zu erläutern. So viel scheint klar: Der Landrat steht mit seiner Meinung zumindest im Konstanzer Gemeinderat ziemlich alleine da.

Mit einem durchschaubaren Trick gelang es übrigens der CDU-Fraktion, ein anderes Flüchtlingsthema von der Tagesordnung zu boxen: Zur sogenannten „Lampedusa-Petition“ mit dem Titel „Lampedusa mahnt: Endlich Umdenken in der Flüchtlingspolitik“ der LLK (auch hier berichtete seemoz mehrfach), schon in der vorigen GR-Sitzung vertagt und von Pressesprecher Rügert dann überarbeitet, fiel den CDU-Stadträten wenige Stunden vor der Sitzung noch ein Änderungsantrag ein, der in der Kürze nicht mehr verarbeitet werden konnte – eine nochmalige Vertagung war die Folge.

Michael Meier-Shergill vertrat noch einmal wortreich die Argumente der „Schweizer Kinder“, die einen bedingungslosen Zugang zu Konstanzer Grundschulen einfordern. Zwar war in der Diskussion kaum Neues zu hören, doch eine korrigierte Vorlage der Schulbehörde hatte für Verwirrung gesorgt. Immer noch gibt es unterschiedliche rechtliche Auffassungen, immer noch herrscht Unklarheit über die Position von Landesregierung und Regierungspräsidium. Da aber ein FGL-Antrag auf Rückverweisung in den Ausschuss keine Mehrheit fand und auch der CDU-Vorschlag, alles beim Alten zu lassen, abgeschmettert wurde, sahen die StadträtInnen nur einen Ausweg: Mit 23 zu 11 Stimmen bei vier Enthaltungen wurde dem aktuellen Vorschlag von Bürgermeister Osner zugestimmt, wonach Schüler deutscher Eltern in der Schweiz solange in Konstanzer Grundschulen aufgenommen werden dürfen, wie dadurch keine neuen Klassen gebildet werden müssen.

Endlich war das leidige Thema vom Tisch, mochten viele Stadträte gedacht haben. Das aber dürfte ein Trugschluss sein, denn jetzt haben die Richter das Sagen – es wird nicht lange dauern, bis Eltern ihr vermeintliches Recht vor Gericht einzuklagen versuchen. Und damit bleibt das Thema auf der Tagesordnung. Schon am folgenden Sonntag wird der SWR – ein TV-Team filmte während der Sitzung – das Thema in einer Nachmittagssendung erneut beleuchten.

Solidarität mit den Beschäftigten der Herzklinik, aber…

Neben der Bürgermeister-Wahl nahm der Streit um die „Entschließung zur Herzklinik“ den meisten Raum ein. Der von Stadtrat Eberhard Roth (UFG) mit deutlichen Anleihen bei der CDU formulierte Text fand, um das Ergebnis vorweg zu nehmen, bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen die Zustimmung des Gemeinderates. Doch die kam nicht ohne heftigen Zwist zustande.

Während die Konservativen im Gemeinderat alles unternahmen, die Verantwortlichen in der Herzklink reinzuwaschen und den Medien den Schwarzen Peter zuzuschieben (Matthias Heider (CDU): „Die Mitarbeiter leiden unter Vorverurteilungen“; Jürgen Wiedemann (UFG): „Die Herzklinik taugt nicht zum Klassenkampf“; Ewald Weisschedel (FWK): „Das Wichtigste ist: Die Herzklinik ist segensreich für die Region“), sparten andere nicht mit kritischen Anmerkungen (Jürgen Puchta (SPD): „Die Geschäftsführung sollte nicht unterstützt werden“; Christiane Kreitmeier (FGL): „Einen Antrag hätten wir nicht zugestimmt, eine Resolution aber können wir mehrheitlich mittragen“), machte nur ein Stadtrat seinem Unmut reichlich Luft.

Holger Reile (LLK) wollte keinen „Kotau vor den Klinik-Verantwortlichen“ machen und keine „Rosstäuschertricks“ unterschreiben. Auch wenn die „Solidarität mit den Beschäftigten“ außer Frage stehe, müsse doch die Frage erlaubt sein, wie es denn ansonsten auf der konservativen Seite des Gemeinderates mit der Arbeitnehmer-Solidarität stehe – so aber blieben die Treueschwüre unglaubwürdig. Reile, dem die einzige Gegenstimme zuzuschreiben ist (die Enthaltungen kamen aus Reihen der FWK und LLK), kritisierte zudem den unterschwelligen Vorwurf der Resolution an der Rolle der Medien: „Wir sollten dankbar sein, dass die Medien hier ihre Wächterrolle wahrnehmen, weiter recherchieren und sich nicht einschüchtern lassen, auch wenn hinter den Betreibern der Klinik einflussreiche Kreise stehen, die bereits in der Vergangenheit immer wieder ihre schützenden Hände über das Unternehmen gehalten haben.“

Ein Preis für den Oberbürgermeister

Ein versöhnlichen Schlusspunkt konnte gegen 22 Uhr dann OB Burchardt setzen, als er verkündete, er habe bei der sommerlichen Gesundheitsinitiative „Deutschland bewegt sich“ an einem Wettkampf teilgenommen und sich gegen sieben Amtskollegen durchgesetzt: Seinen Preis, ein interaktives Sport- und Trainingsgerät, spendet er der Stadt. Wenn das keine gute Nachricht ist.

Autor: hpk

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