Radfahren in Deutschland: Spaß oder Stress?
Bis zum 30. November läuft der Fahrradklima-Test 2020 des ADFC, eine der nach Veranstalterangaben weltweit größten Umfragen zur Zufriedenheit von RadfahrerInnen mit den Verkehrsangeboten in ihren Kommunen. Eine gute Gelegenheit auch für Radelnde in Konstanz und auch anderswo, die örtliche Verkehrspolitik zu bewerten und der Verwaltung Fingerzeige zu geben, woran es noch immer hapert. Die Themen dürften wieder von Abstellanlagen über Radwege und Verkehrssicherheit bis zur Beschilderung reichen.
Laut Unfallstatistik tragen RadfahrerInnen in erheblichem Maße zur Blutspur auf Deutschlands Straßen bei. Daher ist es wichtig, dass sie sich immer wieder vernehmlich zu Wort melden und ihre Interessen und Bedürfnisse geltend machen, denn von der von PolitikerInnen gern beschworenen Fahrradfreundlichkeit ist vielerorts bislang wenig bis nichts zu merken. Die jahrzehntelange einseitige Bevorzugung des Autos hat den Verkehr in Stadt wie Land geprägt, und allerorten fehlt es an sicheren Radwegen, Fahrradparkplätzen und anderer Infrastruktur. Verglichen mit dem breiten Strom der Investitionen in die Autoinfrastruktur sind die Mittel für eine bessere Radinfrastruktur bisher nur ein armseliges Rinnsal, und mancher sonst so tatendurstige und spendable Amtsgewaltige wird bei Vorschlägen für Verbesserungen in diesem Bereich schlagartig zu einem winselnden Bedenkenträger.
Stärken und Schwächen
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC), der sich bundesweit für RadlerInnen einsetzt, nimmt im Internet vom 1. September bis 30. November 2020 zum neunten Mal seine Befragung vor, an der jede/r teilnehmen kann. Im Idealfall wird so Ort für Ort ein (halbwegs) realistisches Bild der Radverkehrssituation ermittelt, aus dem sich dann handfeste Forderungen an Politik und Stadtplanung ableiten lassen. Ein wesentlicher Vorteil der bundesweiten Umfrage ist es, dass sie die einzelnen Kommunen vergleichbar macht, da alle nach den gleichen Kriterien bewertet werden.
Am letzten Test 2018 nahmen bundesweit 170.000 RadlerInnen teil. Darunter waren 437 KonstanzerInnen, die ihrer Stadt am See zwar einen hervorragenden Platz im Ranking bescherten, aber auch auf erhebliche Schwächen hinwiesen. Die Befragung 2020 soll wieder klären, wie sich das Radfahren in Konstanz und anderswo denn wohl anfühlt. Macht es Spaß, oder ist es eher Stress – und warum das so ist?
„Fahrradfreundlichkeit ist ein echter Standortfaktor und ein Synonym für Lebensqualität geworden“, schreibt der Verband dazu. Der Fahrradklima-Test soll helfen, Stärken und Schwächen der Radverkehrsförderung in den einzelnen Städten und Gemeinden zu erkennen und ermittelt ein Ranking, das zeigt, wo eine Kommune im Vergleich zu anderen Kommunen steht. Dieses Ranking dürfte es letztlich sein, das Politik und Verwaltung an diesem Projekt am meisten interessiert, denn mit einer guten Platzierung relativ zu anderen Kommunen können Stadtväter und -mütter hausieren gehen, wobei sie allerdings gern verschweigen, dass die vergebenen Noten selten zur Zufriedenheit Anlass geben.
Singen auf Platz 196
Konstanz errang 2018 den dritten Platz unter sämtlichen Orten mit 50.000–100.000 EinwohnerInnen, erhielt aber gerade mal die Schulnote 3,1 (Bundesdurchschnitt 3,93). In wichtigen Punkten wie den Konflikten mit FußgängerInnen und RadfahrerInnen gab es für Konstanz schlechtere Noten, bis hin zur 4,5 in Sachen Fahrraddiebstahl. Radolfzell und Singen schnitten noch schlechter ab als Konstanz: Unter den Städten mit 20.000–50.000 EinwohnerInnen landete Radolfzell 2018 mit einer Durchschnittsnote von 3,64 auf Rang 73; und Singen schaffte es mit einer Note von 4,03 nur auf den 196. Platz.
Immerhin hatte sich Konstanz zwischen 2016 und 2018 sensationell verbessert. Man darf gespannt sein, wie die Befragung 2020 ausfällt und ob und wie etwa die am 7. August 2018 eröffnete neue Fahrradstraße oder die in Angriff genommene neue Radwegweisung (2018 noch eine klare Schwäche) sich in der Bewertung niederschlagen werden. Ausgezeichnet werden die fahrradfreundlichsten Kommunen in vier Einwohner-Größenklassen, abgeliebelt werden auch jene, die sich seit dem letzten Mal am stärksten verbessert haben.
Letztlich aber kann, da hat der ADFC recht, nur eine „systematische Radverkehrsförderung das Fahrradklima kontinuierlich verbessern“, und das heißt, dass Kommunen bereit sein müssen, Geld in die Hand zu nehmen und den zur Verfügung stehenden Verkehrsraum anders zu verteilen, aber diese Bereitschaft ist (auch angesichts des sofortigen Aufheulens der Autofahrerlobby) oft streng limitiert. Die recht detaillierten Ergebnisse der Befragung mögen da mancherorts durchaus helfen, der Verwaltung die Hammelbeine lang zu ziehen.
Es ist letztlich kein Wunder, dass die Zufriedenheit der RadfahrerInnen zwischen den letzten Befragung immer geringer wurde, denn die Diskrepanz zwischen vollmundigen Versprechungen und trister Wirklichkeit ist einfach zu groß. Vor allem die Sicherheit der Radelnden wird weiterhin sträflich vernachlässigt, wie der steigende Blutzoll zeigt. Die Zahl der getöteten Radfahrenden ist gegenüber 2010 um 16,8 Prozent gestiegen, während die Zahl der Verkehrstoten insgesamt im selben Zeitraum um 16,5 Prozent sank; das könnte auf die Stimmung schlagen.
Licht und Schatten in Baden-Württemberg
Der ADFC sieht in Baden-Württemberg noch immer mehr Schatten als Licht: Die überwiegende Mehrheit der baden-württembergischen Kommunen zeichnete sich im deutschlandweiten Vergleich eher mit durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Ergebnissen aus. „Vor allem die mangelnde Infrastruktur, der Umgang mit Baustellen und unvorteilhafte Ampelschaltungen trieben Baden-Württembergs RadfahrerInnen zur Verzweiflung“, schreibt der Verein. Es ist kaum zu erwarten, dass das in der aktuellen Befragung besser geworden ist.
Wie für jede Umfrage ist es wichtig, dass eine möglichst große Zahl an Menschen teilnimmt, denn nur so werden die Ergebnisse repräsentativer. In das Ranking gelangen am Ende nur Kommunen, die eine gewisse Mindestteilnehmerzahl erreichen, weil das Ergebnis sonst zu unzuverlässig wäre. Mit dem neuen Ranking und der Veröffentlichung der Umfrageergebnisse ist im Frühjahr 2021 zu rechnen.
Infos, Teilnahme, Zwischenstände
– Sie können hier am Test teilnehmen: Link zur Umfrage
– Wenn Sie wissen wollen, was beim Test herauskommt, finden Sie hier die aktuellen Zwischenstände
– Die Ergebnisse der Tests 2005-2018 finden sich hier: Testergebnisse
– Neuigkeiten zum Fahrradklima-Test postet der ADFC unter den Hashtags #fkt20 und #radklima
Text: MM/red (Bild: O. Pugliese, zu sehen sind sanitäre Einrichtungen mit Luftpumpe für RadlerInnen nahe Tägerwilen)
Weitere Informationen:
10.04.2019 | Konstanz ist in der Bundesliga (Ergebnisse des Fahrradklima-Tests 2018)
In Konstanz wird seit Jahren der auswärtige Fahrzeugverkehr gefördert, stetige Bebauung und Nachverdichtung mit entsprechenden Parkräumen tun ihr übriges. Und solange in Konstanz auf engen oder breiten Straßen eine große Anzahl rücksichtsloser, ignoranter, Regeln missachtender Kampfradler unterwegs sind, ist Konstanz für mich keine Fahrradstadt, Schön war´s während des Lockdowns, viel weniger Fahrradverkehr, die Straßen waren auf einmal breit genug, Radfahren hat Spaß gemacht. Ein Blick nach Dänemark und Holland zeigt, wie es geht. Dort sind solche, teils Leben gefährdende Raser, ganz klar in der Minderheit.Und dies nicht nur wg. regelmäßiger Kontrollen und weit besserer Infrastruktur. Das scheint wohl an der jeweiligen Mentalität zu liegen, viele Menschen dort sind weitaus entspannter und weniger gestresst.
Ich fahre in KN viel mit dem Fahrrad, habe aber auch ein Auto. Ich bin sehr dafür, mehr Fahrspuren für Radfahrer freizugeben, das Radnetz auszubauen, Ampelschaltungen für Radfahrer und Fußgänger zu verbessern, d.h. deren Grünphasen zu verlängern, also das Radfahren attraktiver zu machen und den Autoverkehr einzudämmen …
Ich muss aber leider auch feststellen, dass die für mich als Radfahrer und Fußgänger gefährlichsten und oft rücksichtslosen Verkehrsteilnehmer Radfahrer sind. Auch hier gilt zu oft das Recht des Schnelleren zu Ungunsten der Fußgänger. Rad fahrende Menschen sind ja nicht automatisch die besseren. Als Radfahrer, aber auch als Autofahrer passiert mir so gut wie nie, dass mir nachts schwarze Autos auf der falschen Straßenseite ohne Licht entgegenkommen und dabei noch nebeneinander fahren. So gut wie nie erlebe ich Autofahrer, die durch Fußgängerzonen recht schnell an Kindern und Gebrechlichen vorbeidüsen oder rote Ampeln missachten. Die Zollernstraße ist eine verkehrsberuhigte Zone in der „Schritttempo“ gilt. Dennoch fahren gerade Radfahrer oft knapp und zügig an Hauseingängen vorbei. …