Radolfzell: Städtisches Demoverbot war rechtswidrig
Das von der Stadt Radolfzell verhängte Verbot einer antifaschistischen Demonstration auf dem Luisenplatz am 19. November des vergangenen Jahres war rechtswidrig. Das ist das Ergebnis einer Gerichtsverhandlung am 2.8. in Singen, bei der über eine Klage der Anmelderin der Veranstaltung gegen das Behördenverbot entschieden wurde. Einen Tag vor der Verhandlung hatte das Rathaus klein beigegeben und die in der Klageschrift erhobenen Vorwürfe anerkannt.
Den „Volkstrauertag“ wollten AntifaschistInnen aus der Stadt und der Region im Herbst letzten Jahres zum Anlass nehmen, um gegen die Rechtsentwicklung zu protestieren und namentlich auf die Aktivitäten der Neonazi-Gruppe „Der III. Weg“ in der Stadt und im Umland aufmerksam zu machen. Vor allem aber richtete sich der Protest gegen die seit Jahrzehnten geübte Praxis der Stadt, den Opfern des NS-Regimes ausgerechnet auf dem Luisenplatz vor einer martialischen Soldatenstatue zu gedenken, die immer wieder Wallfahrtsort und Identifikationssymbol für Rechtsextreme unterschiedlicher Couleur war und ist. Nicht ohne Grund, huldigt das Nazi-Monument in einer Inschrift doch auch zahlreichen SS-Angehörigen.
Das Vorhaben der AntifaschistInnen, auf die dunkle Vergangenheit der gerne als idyllisches Tourismus-Paradies vermarkteten Bodensee-Kleinstadt aufmerksam zu machen, ging der Radolfzeller Stadtspitze offenbar gehörig gegen den Strich. Nur einen Tag vor der Demonstration jedenfalls flatterte der Anmelderin B. K., linke Aktivistin aus Radolfzell, ein Schreiben des Ordnungsamts ins Haus, das die Kundgebung auf dem Luisenplatz verbot. Mit diesem Bescheid auf den letzten Drücker machte es die Behörde den VeranstalterInnen praktisch unmöglich, sich rechtlich gegen eine gravierende Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu wehren. Begründet hatten die städtischen OrdnungshüterInnen das Verbot mit einer wilden Plakatierung des Denkmalsockels in der Nacht zuvor, die man ohne Umschweife den OrganisatorInnen der Protestaktion in die Schuhe schieben wollte, ohne dass es dafür Beweise gegeben hätte. „Niemand wurde gesehen oder festgenommen“, berichtet Anmelderin K., „trotzdem hat die Stadt diese Sachbeschädigung mit der Demonstration in Verbindung gebracht.“
Ein willkürliches Handeln, fand die Aktivistin und reichte über ihren Anwalt eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage beim Verwaltungsgericht Freiburg gegen das in den Augen der VeranstalterInnen rechtswidrige Verbot ein. Eine solche Klage ist zulässig, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt oder das in Frage stehende Verwaltungshandeln eine tiefgreifende Grundrechtseinschränkung darstellt. Beide Kriterien sind im Fall eines Demonstrationsverbots erfüllt, weil damit ein Eingriff in die nach Artikel 8 Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit vorgenommen wird.
Man durfte also gespannt sein auf die mündliche Verhandlung, zu der das Gericht die Prozessbeteiligten am 2. August ins Singener Rathaus geladen hatte. Doch das Verfahren geriet zur reinen Formsache, weil – ein weiteres Mal nur einen Tag vorher – die Stadt Radolfzell das Gericht wissen ließ, man erkenne den Vorwurf der Rechtswidrigkeit des verhängten Kundgebungsverbots an. Ein Eingeständnis, das von der Klägerin mit Genugtuung aufgenommen wurde, gleichwohl indes mehr als Stirnrunzeln hervorrufen muss. „Gerichtlich bestätigt ist damit, dass die Stadt Radolfzell das Demonstrationsrecht grundlos beschnitten hat“, kommentiert K. das Urteil. Ihr drängt sich allerdings der Eindruck auf, die Stadtverwaltung sei sich „ihrer Gesetzesbrüche gewiss bewusst, nimmt diese aber in Kauf, um linke Politik zu blockieren“.
Für diese Einschätzung spricht, dass die linke Aktivistin und die RathausvertreterInnen nicht zum ersten Mal juristisch die Klingen kreuzten. Konnte doch im April dieses Jahres eine vom selben Veranstalterkreis angemeldete Demonstration erst nach einer gerichtlichen Intervention über die Bühne gehen. Im Vorfeld hatte die Ordnungsbehörde versucht, den gegen lokale Neonazi-Strukturen und den Umgang der Stadt mit antifaschistischer Kritik gerichteten Protestmarsch mit einem Versammlungsverbot für den Luisenplatz und einer Reihe haarsträubender Auflagen zu verhindern (Unruhe im Hinterland). In einem Eilverfahren bescheinigte das von den AntifaschistInnen angerufene Freiburger Verwaltungsgericht der Stadt Radolfzell, die Auflagen seien „offensichtlich rechtswidrig“ und stünden im Widerspruch zur „herrschenden verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung“ – eine schallende Ohrfeige für die Hardliner im Radolfzeller Rathaus.
Zu den Gründen für das rabiate Agieren der Stadt gegenüber Linken und AntifaschistInnen und das überraschende Einknicken vor Gericht hätten wir gerne auch eine Stellungnahme aus dem Rathaus gehabt. Eine Anfrage von seemoz an die Pressestelle der Stadt blieb indes unbeantwortet.
Das Einlenken der Stadtspitze im aktuellen Rechtsstreit jedenfalls erhärtet den Verdacht, die Verantwortlichen um Oberbürgermeister Martin Staab und die für „Sicherheit und Ordnung“ zuständige Bürgermeisterin Monika Laule ließen rechtlich fünf gerne mal gerade sein, wenn es darum geht, den als Nestbeschmutzer empfundenen AntifaschistInnen in die Parade zu fahren. Ein Vorgehen, das Methode hat, befindet K.: „Bei der Kundgebung sollte kritisiert werden, dass den sechs Millionen verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden Jahr für Jahr ausgerechnet am Fuß eines Wehrmachtdenkmals gedacht wird. Außerdem sollten die NS-Geschichte der Kasernen-Stadt Radolfzell und aktuelle Nazi-Strukturen beleuchtet und aufgearbeitet werden.“ Das gehe der Stadtspitze gegen den Strich, die die braunen Flecken der Vergangenheit ebenso wie die heutigen Nazi-Umtriebe nur zu gerne unter den Teppich kehren wolle.
Mit dem Urteilsspruch vom 2.8. sind indes die juristischen Nachspiele der behördlichen Gängelungsversuche linker AktivistInnen längst nicht abgeschlossen. Trotz des Verbots war nämlich am 19.11. eine Gruppe von rund 25 Leuten spontan gegen Behördenwillkür auf die Straße gegangen. Die friedlich Versammelten wurden allerdings schon erwartet: Mehr als eine Stunde lang kesselten in großer Zahl aufgebotene Polizeikräfte die Protestierenden ein, es kam zu mehreren Festnahmen (Foto). Auch mit diesem brachialen Einsatz setzte die Polizeiführung eine Verfügung der Stadt Radolfzell um, die ein Versammlungsverbot angeordnet hatte (Schwarze Stunden für die Demokratie in Radolfzell). Die Folge: mehrere Ermittlungsverfahren (meist wegen „Ordnungswidrigkeit“), von denen bislang eines in einen Strafbefehl mündete. Das Eingeständnis der Stadt Radolfzell vor Gericht, sie habe am 19. November rechtswidrig gehandelt, dürfte nun für den Ausgang der zu erwartenden Verfahren keine geringe Rolle spielen.
Für Aktivistin K. jedenfalls ist klar: „Das Beschneiden von Rechten, das Blockieren von Engagierten und das Stoppen von Geschichtsaufarbeitung war das eigentliche Vergehen im November letzten Jahres!“ Das Verwaltungsgerichts-Urteil vom vergangenen Donnerstag sei deshalb ein wichtiges Signal für politisch Engagierte, sich von Behördenwillkür nicht einschüchtern zu lassen. „Wir lassen uns nicht stoppen, wir lassen nicht locker und holen uns unsere Straßen zurück, um weiterhin politische Arbeit zu leisten und nicht zu vergessen, was auch hier in Radolfzell Grausames geschehen ist.“
J. Geiger (Text und Foto)
Dann ist auch die weitere juristische Aufarbeitung gefragt.
Die Staatsanwaltschaft sollte aufgrund von Anzeigen prüfen dürfen, ob die Anordnung polizeilicher Maßnahmen in Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots von den Verantwortlichen nicht die Straftatbestände:
– Nötigung in besonders schwerem Fall (Einkesseln, Amtsträgermißbrauch, § 240 StGB),
– Freiheitsberaubung (Einkesseln, § 239 StGB),
– Falsche Verdächtigung (da keine verbotene Versammlung, § 160 StGB)
erfüllt, mit den entsprechenden Konsequenzen.
Benhard Wittlinger
Rechtsanwalt