Radolfzeller Streuhau-Gelände wird Landschaftsschutzgebiet
Das Streuhau-Gelände am Radolfzeller Bodensee-Ufer wird in ein Landschaftsschutzgebiet umgewandelt werden. So wurde es im März im Gemeinderat beschlossen. Die bisher geplante Bebauung mit einer Feriendorf-Freizeitanlage ist damit für diese sechs Hektar Gesamtfläche ausgeschlossen. Ein Beispiel dafür, dass konsequente BürgerInnen-Proteste manchmal auch zum Erfolg führen können.
Initiative „Hände weg vom Streuhau“ sammelte 3.449 Unterschriften
Jahrelange kontroverse Diskussionen, Demonstrationen im vergangenen Jahr – initiiert von Radolfzeller BürgerInnen, Fridays for Future und Vertretern der Naturschutzverbände – sowie die Unterschriftenaktion der Initiative „Hände weg vom Streuhau“ haben schließlich zum Umdenken bei Stadtverwaltung und Gemeinderat geführt. Diese Kehrtwende zeichnete sich bereits im letzten Sommer ab. Die Zukunft des Streuhau war eines der dominierenden Themen des OB-Wahlkampfes. Der damalige Kandidat und heutige Radolfzeller Oberbürgermeister Simon Gröger hatte sich gegen die Überbauung dieses im Laufe der Jahre entstandenen Auwald-Biotops ausgesprochen. Als vor wenigen Wochen Inge Baier, Martina Poll und Raphaela Weiland als Vertreterinnen der Initiative „Hände weg vom Streuhau“ ihre Petition OB Gröger übergaben, war dies eher ein symbolischer Akt: Planungen für einen alternativen Standort der Hotelanlage sowie zur Umwandlung des Streuhau in ein Landschaftsschutzgebiet und eine Änderung des Flächennutzungsplans waren bereits in Vorbereitung. Mittlerweile sind die entsprechenden Beschlüsse dafür auch im Gemeinderat mit großer Mehrheit getroffen worden. Das Streuhau ist gerettet! Als Teil des Herzen-Areals, zwischen dem Bora-Hotel und dem „Bodenseereiter“ gelegen, wird es künftig ein ökologischer Puffer für das Naturschutzgebiet „Untere Aach“ sein.
Nur zufriedene Mienen?
Nicht ganz: Die Erweiterung des Bora-Komplexes (Vier-Sterne-Hotel und Sauna) soll weiterhin wie geplant mit einem neuen Hotel und Chalets im Herzen-Areal umgesetzt werden. Die Zusage seitens der Stadt gegenüber Investor und Bora-Inhaber Bernd Schuler bleibt unangetastet bestehen. Ohne diese wären eine Gemeinderatsmehrheit zur Umwandlung des Streuhau auch illusorisch gewesen, denn die wirtschaftliche und touristische Weiterentwicklung von Radolfzell soll ja gefördert werden … Als Kompromiss wird statt einer Erweiterung in Richtung Westen nun eine nach Osten anvisiert: Weichen soll dafür ein gegenüber dem Bora auf der anderen Seite der Straße bestehendes Wäldchen. Und die Chalets könnten auf der Wiese daneben Platz finden. Dieser Standort ist ein bereits vollständig erschlossenes Baugebiet.
Doch auch dieser Vorschlag löst nicht überall Begeisterung aus. Der geplante Hotelkomplex läge dann in direkter Nachbarschaft zum beliebten Skate-Platz. Laute Musik und Feiern könnten Konfliktpotential mit den künftigen Hotelgästen bedeuten, so die Bedenken der Mitglieder des Radolfzeller Jugendgemeinderats. Ähnliche Probleme sieht Christoph Manz von der „Tanke Haus am See“ – ebenfalls ein potentieller direkter Nachbar – wenn bei ihm größere Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Live-Musik-Konzerte stattfinden. Auch die in der Umgebung des Bora angesiedelten Wassersportvereine sehen die Pläne mit Bauchschmerzen: Schon jetzt sei das Herzen-Areal völlig überlaufen, im Sommer herrsche Verkehrschaos und eine extrem angespannte Parkplatzsituation, viele RadolfzellerInnen würden während der Tourismus-Hochsaison bereits die Seenähe meiden – all dies würde durch einen weiteren Hotelneubau noch verschärft. Wer bleiben kann und wer weichen müssen wird, wenn die Interessen- und Nutzungskonflikte weiter eskalieren sollten, fragen sich deshalb so manche …
Existenzsorgen treiben auch die nahe des „Bodenseereiter“ bestehenden Wassersportvereine um. Was wird aus ihnen, wenn das gesamte Gelände als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen wird? Seit 52 Jahren ist z.B. der „Club der Wasserfreunde“ dort ansässig. Auch die „Segelgemeinschaft Radolfzell“ möchte auf ihrem gewohnten Vereinsgelände bleiben. Grundsätzlich können zwar bestehende Nutzungen in einem Landschaftsschutzgebiet durch die Bestandsschutzordnung gesichert werden. Es gibt aber auch Kritiker, die bereits in der bestehenden Nutzung eine zu große Beeinträchtigung der Natur sehen und mit der Ausweisung zum Landschaftsschutzgebiet entsprechende Änderungen fordern.
Fakt ist: Die Bürgerinitiative hat ihr Ziel erreicht. Und auch die Ortsverbände von BUND und NABU zeigen sich zufrieden mit dem Beschluss, dass das sechs Hektar umfassende Gesamtgebiet des Streuhau unter Schutz gestellt wird. Den jetzt vorliegenden Kompromissvorschlag hätte Anfang letzten Jahres noch niemand für möglich gehalten. Und dennoch bleibt Konfliktpotential bestehen: Wo die einen sich eine (sanftere) touristische Weiterentwicklung wünschen, sehen andere die Gefahr eines verdrängenden Overtourismus. Insbesondere seit vielen Jahren bestehende Vereine mit Angeboten für BürgerInnen und Jugendliche könnten dabei das Nachsehen haben. Und durch den gnadenlosen Verdrängungswettbewerb bei der Vermarktung der letzten freien Flächen an den jeweils meistbietenden homo oeconomicus stehen alle anderen Spezies der belebten Natur ohnehin längst auf der Verliererseite – auch wenn ihnen mit dem Streuhau nun ein kleines Stückchen naturnaher Lebensraum auf Dauer zugestanden wird.
Lösungsvorschläge in Arbeit
Alle Pro- und Contra-Argumente zum Kompromiss-Vorschlag im Herzen-Areal wurden bei einem großen Runden Tisch, zu dem Stadt und OB die betroffenen Akteure noch vor der Beschlussfassung im Gemeinderat geladen hatten, zusammengetragen und können samt dem geplanten Nutzungskonzept von der Homepage der Stadt heruntergeladen werden. Die Frage, wie es im Herzen-Areal weitergeht, wird weiter für Diskussionen sorgen – im Gemeinderat und bei den BürgerInnen. Lösungsvorschläge werden von der Stadtverwaltung „gemeinsam mit Anliegern, Beteiligten, Interessensgruppen und benachbarten Vereinen erarbeitet“.
Text: Uta Preimesser
Bild: Dieter Heise