Radstadt Konstanz – eine Bestandsaufnahme (II)

Mit dem Handlungsprogramm Radverkehr wird seit 2013 von der Stadtverwaltung ein Konzept entwickelt, das den Ausbau der Stadt Konstanz zu einer „Radstadt“ vorsieht. Aber was heißt das eigentlich? Gegenüber echten Radstädten wie etwa dem niederländischen Utrecht oder dem hochgelobten Kopenhagen liegt Konstanz um 30-40 Jahre zurück. Was ist geplant, was verwirklicht – und sind die Planungen nach dem aktuellen Erkenntnisstand tatsächlich geeignet, den Verkehr in Konstanz grundlegend zu verändern?

Teil I lesen Sie hier, Teil III hier.

Erinnern Sie sich? Die Hauptentwicklungsachse II zwischen Bahnhof und Fähre sollte eine Radschnellverbindung, man könnte auch „Radautobahn“ sagen, werden. Warum aber funktioniert die schon bestehende Fahrradstraße in der Petershauser bzw. Jahnstraße nicht richtig, wenn doch Fahrradstraßen so effektiv sein sollen?

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Das liegt nicht zuletzt am hohen Aufkommen des Kfz-Verkehrs, insbesondere aus der Von-Emmich-Straße, Moltkestraße und Steinstraße, am dort unerlaubten, aber üblichen Auto-Schleichverkehr sowie der mangelnden Wahrscheinlichkeit, bei diesem Verkehrsdelikt erwischt zu werden. Hier täten regelmäßige Kontrollen durch die Polizei und das Ordnungsamt not. Alternativ müssten an den Zufahrten zur Jahn-/Petershauser Straße versenkbare Poller zur Vermeidung des Schleichverkehrs eingerichtet werden. Und es liegt auch an der Tatsache, dass diese Straße nur einmal als Leuchtturmprojekt in Konstanz vorkommt und daher für die Verkehrsteilnehmer noch nicht zur Gewohnheit geworden ist.

Rad ist 3. Sieger

Teilen der Bevölkerung ist außerdem nicht klar, dass eine Fahrradstraße nach VwV-StVO deutlich mittels Beschilderung zu kennzeichnen ist und damit zunächst dem Radverkehr vorbehalten bleibt. Diese Unklarheit zeigt die Diskussion um den Vorrang auf dem Fahrradstraßenabschnitt Schotten- und künftig auch Schützenstraße. Sowohl an der Kreuzung Gartenstraße als auch am Lutherplatz soll der Bus bevorrechtigt bleiben. Das macht klar, dass das Fahrrad doch nicht (wie z.B. in der TUA-Sitzung vom 08.07.2020 behauptet) als das wichtigste Verkehrsmittel im Umweltverbund betrachtet wird.

Kfz dürfen Fahrradstraßen nur in Ausnahmen nutzen, was die Beschilderung „Kfz frei“ erfordert und zu einer sogenannten unechten Fahrradstraße führt, ergo den Radverkehr deutlich einschränkt. Autos müssen in den Fahrradstraßen einen Sicherheitsabstand von 1,50 Metern einhalten, FahrradfahrerInnen dürfen nebeneinander fahren und die Geschwindigkeit wird im Einzelfall von RadfahrerInnen bestimmt. Bei Bedarf müssen sich die AutofahrerInnen der Geschwindigkeit der RadfahrerInnen anpassen und hinterherfahren. Gerade in der Gartenstraße trägt aber ein erhöhtes Verkehrsaufkommen des MIV auch von der Schweizer Seite und der Europastraße aus zum eigentlichen Stocken des Verkehrs bei.

Alternativen denken

Wenn wir uns die gesamte Gruppe der RadfahrerInnen in unseren Betrachtungen von einer anderen Seite als der der Nutzertypen nähern, dann können wir bedürfnisorientiert in einer Touristen- und Einkaufsstadt wie Konstanz zumindest zwischen zwei großen Zielgruppen an RadlerInnen unterscheiden: Den Freizeit- oder TouristenradlerInnen und den Alltags- bzw. BerufsverkehrsradlerInnen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die RadlerInnen, insbesondere jene, die von der Alten Rheinbrücke kommen, auf zwei Routen verteilt würden? Die TouristInnen werden über die Route Seestraße, Eichhornstraße, Jakobstraße, Lindauer Straße geführt, die AlltagsradlerInnen hingegen über die Mainaustraße auf zu verbreiternden zweiseitigen Einrichtungsradwegen über die Staader Straße zur Fähre geleitet. Die Mainau-TouristInnen können ab der Mainaustraße über den Hockgraben zur Mainau geführt werden.

Schwierigkeiten sind hingegen zu erwarten, wenn die Stadtverwaltung die Hauptentwicklungsachse II über Salesianerweg und Tannenhof führt. Zwar sind die RadlerInnen im Wald verkehrstechnisch geschützt, jedoch wird diese Strecke in der dunklen Jahreszeit gerade bei schlechter Witterung beschwerlich werden und schwierig auszuleuchten sein. Die Grundsätze für ein zügiges Vorankommen als RadfahrerInnen mittels möglichst kurzer, gut ausgeschilderter Wegstrecken, komfortabler und sicherer Wege in einem lückenlosen Radwegenetz wären in diesem Fall nicht mehr gewährleistet.

Ist das zukunftsfähig?

Aber warum sind denn für uns das Radfahren und eine echte Radstadt Konstanz so erstrebenswert?

Ziehen wir die SrV-„Studie Mobilität in Städten“ der TU Dresden 2018 zu Rate und gehen dabei auf die Pressemitteilung der Stadt Konstanz vom 15.01.2020 ein. Zunächst stellt sich auch hier wieder die Frage: Wie repräsentativ ist eine Verkehrsstudie mit 1.191 befragten KonstanzerInnen, nach welchen statistischen Kategorien wurde befragt, wie wurden die Befragungsgruppen segmentiert? Wer hat die zum Vergleich herangezogene Studie 2007 durchgeführt, auf der die neuerliche Studie basiert, und sind die Befragungskategorien wirklich miteinander vergleichbar?

Kommen wir zu den Ergebnissen: „Seit 2007 hat der motorisierte Individualverkehr der Konstanzer Bevölkerung innerhalb der Stadt (Binnenverkehr) um 31% abgenommen und der Radverkehr um 42 Prozent zugenommen.“ Dabei entsprächen 84% des Gesamtverkehrs dem Binnenverkehr (Quell-Ziel-Verkehr innerhalb von Konstanz) und 16% dem Quell-Ziel-Verkehr der Pendler aus Konstanz ausfahrend. Das Problem dieser Werte: Warum wurde der Durchgangs- und Besucherverkehr nicht erfasst? Oder die Einpendler, die außerhalb wohnen, aber in Konstanz arbeiten? Können die Zahlen für den Autoverkehr dann überhaupt noch stimmen? Denn nach Angaben des Statistischen Landesamtes ist die Zahl der in Konstanz zugelassenen Autos von 31.300 im Jahre 2007 auf 36.000 Pkw im Jahre 2019, also um 15%, angestiegen – und damit im beinahe gleichen Vergleichszeitraum, der von der TU Dresden bewertet wurde. Stimmt dann der Modal Split, die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel, mit den jeweiligen Anteilen der Verkehrsteilnehmer insgesamt überhaupt noch überein?

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Gestiegener Anteil am Modal Split

Wenn die Zahl der RadfahrerInnen zwischen 2007 und 2018 tatsächlich von 24% auf 34% gestiegen ist, welche Gründe hat das? Wäre hier nicht in der Befragung sinnvoll gewesen, auch auf die Motive der RadfahrerInnen näher einzugehen? Ist es nur die Freude am Radfahren? Ist es lediglich ein Modetrend? Nach unserer Ansicht nicht, denn nach vielen Gesprächen mit anderen RadlerInnen ist das Rad schlichtweg die einfachste Methode, zügig innerhalb von Konstanz von A nach B zu kommen und vor allem dem MIV mit seinen negativen Effekten wie den Schadkosten durch den Kfz-Verkehr, die nicht bepreist und stillschweigend in die Zukunft verlagert werden, zu entkommen.

Eines aber können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festhalten: Wenn die Zahl der RadfahrerInnen signifikant um 42% (bzw. um einen Anteil von 10% am gesamten Verkehrsmix) gestiegen ist, dann ist jedenfalls der Anteil an baulich getrennten Radwegen nicht in gleichem Maße mitgestiegen. Die RadfahrerInnen ballen sich zu Stoßzeiten regelrecht auf den Radwegen, was einer der Gründe für Verkehrsdelikte oder Ausweichbewegungen auf andere Straßenabschnitte wie Gehwege ist. Es stellt sich also eine weitere Grundsatzfrage: Was versteht die selbsternannte „Radstadt Konstanz“ unter Flächengerechtigkeit?

Gerechtigkeit hat viele Seiten

In Berlin hat beispielsweise die BEST-Sabel-Hochschule 2014 einen Flächen-Gerechtigkeits-Report erstellt [2] und dabei über 200 Straßen vermessen. Ergebnis: Nur 3% der Verkehrsfläche entfielen auf Radwege, obwohl der Anteil der RadfahrerInnen am Modal Split bereits 15% betrug. Ist es um die Flächengerechtigkeit in Konstanz wesentlich besser bestellt? Nach unserer Meinung wäre die Beauftragung der HTWG mit einer Studie zur Flächengerechtigkeit sinnvoll. So könnte überprüft werden, ob der Ausbau der dem Radverkehr vorbehaltenen Flächen tatsächlich mit der Zunahme des Radverkehrs Schritt gehalten hat oder aber deutlich forciert werden muss – gerade im Hinblick auf die große Nutzergruppe der interessierten RadfahrerInnen.

Was aber hieße das für die Prosperität von Einzelhandel und Tourismus in Konstanz? Die AGFK in Bayern e.V hat das Ergebnis mehrerer internationaler Studien veröffentlicht, die unisono zu folgendem Ergebnis kommen: RadfahrerInnen und implizit auch FußgängerInnen erzeugen einen höheren Umsatz als AutofahrerInnen und vermindern gleichzeitig auch noch den Verkehr in den Städten. Viele weitere Studien unterstreichen dies. In London geben RadfahrerInnen auf Basis der sukzessiven Umgestaltung nach niederländischen Standards sogar 40% mehr aus als AutofahrerInnen, so das britische Wirtschaftsmagazin „Forbes“. Im Gegenzug müssen Handel und Gastronomie auch bereit sein, einladende, d.h. überdachte und sichere, Radabstellanlagen für Fahrräder und Fahrradanhänger sowie künftig auch für Lastenfahrräder bereitzustellen.

Norbert Wannenmacher von CICLO Konstanz Kreuzlingen – Aktionsbündnis für eine lebenswertere Stadt (Foto: N. Wannenmacher)


Anmerkungen:
[2] https://www.clevere-staedte.de/files/tao/img/blog-news/dokumente/2014-08-05_Flaechen-Gerechtigkeits-Report.pdf

Weitere Informationen & Abbildungen:

https://barcelonarchitecturewalks.com/superblocks/

https://fahrradklima-test.adfc.de/fileadmin/BV/FKT/Download-Materal/Ergebnisse_2018/STAEDTERANKING_inkl._Uebersicht_Gewinnerstaedte_FKT2018.pdf

https://geospatialmedia.s3.amazonaws.com/wp-content/uploads/2016/11/Eindhoven1.jpg

https://karlsruherfaecher.de/sites/default/files/faltblatt_ka_fahrradstationen_18-0181_druck.pdf

https://media.treehugger.com/assets/images/2017/03/dw- china1.jpg.662x0_q70_crop-scale.jpg

https://www.adfc.de/fileadmin/user_upload/Expertenbereich/Politik_und_Verwaltung/Download/adfc_radverkehr_infrastruktur_2019_sw_web.pdf

https://www.konstanz.de/leben+in+konstanz/radstadt+konstanz/handlungsprogramm+radverkehr/entwicklungsachse+ii

https://www.konstanz.de/service/pressereferat/pressemitteilungen/31+prozent+weniger+autos_+42+prozent+mehr+radfahrten

https://www.konstanz.de/site/Konstanz/get/documents_E-%201888505584/konstanz/Dateien/Stadt%20gestalten/Radstadt/Webversion_4789_KNHPRad_Altarfalzolder_1702_RZ_FINAL.pdf

https://www.stadtwerke-konstanz.de/unternehmen/mehr-konstanz-im-leben/jetzt-umsteigen/

https://www.stvo2go.de/fahrradstrasse-einrichten/