Rathauschef schaut bei HausbesetzerInnen rein
Unerwarteten Besuch erhielten gestern die Grafi10-Leute, die am vergangenen Samstag das leerstehende Wohnhaus in der Markgrafenstraße wieder seinem eigentlichen Zweck zugeführt hatten. Oberbürgermeister Uli Burchardt und Bürgeramtsleiterin Anja Risse schauten am Nachmittag persönlich vorbei, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Es entspann sich ein Dialog über die Konstanzer Leerstandsproblematik und die Forderungen der BesetzerInnen dazu. Eine Duldung des von den AktivistInnen geplanten alternativen Wohnprojekts wollte der Rathauschef allerdings nicht versprechen.
Das Statement der HausbesetzerInnen zum OB-Besuch:
Schnell verwies Burchardt auf die Konstanzer Zweckentfremdungspolitik, die – wir er selbst zugeben musste – mehr ein Papiertiger als eine nachhaltige Lösung für die herrschende Wohnungsnot ist. Der Fall der Grafi10 macht das beispielhaft deutlich.
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Diese Zweckentfremdungssatzung beschloss der Konstanzer Gemeinderat ursprünglich 2015 mit einer Mehrheit von nur einer Stimme – damals übrigens gegen seinen Willen. Sie basiert auf dem landesweiten Zweckentfremdungsgesetz und besagt, dass vorhandener Wohnraum nicht ohne ausdrückliche Genehmigung dem Wohnungsmarkt entzogen werden darf. Darunter fallen beliebig langer Leerstand, anderweitige Verwendungen (Büroräume, Ferienwohnungen, etc.) oder Beseitigungen.
Nach 10 Jahren gescheiterter Versuche, den Eigentümer über den Rechtsweg (Bußgelder und Versuche der Zwangsversteigerung) zur Verantwortung zu ziehen, plane die Stadt, das Haus zu kaufen. Ausgerechnet die Markgrafenstraße 10 bilde einen Sonderfall, denn der Eigentümer sei „als Person schwer zugänglich“. Unsere Hausbesetzung machte also das Thema innerhalb weniger Tage zum Stadtgespräch und zeigt, dass sich endlich etwas ändern kann, wenn wir uns gemeinsam aktiv weigern, solche Zustände länger hinzunehmen.
Eine Duldung der Grafi10 könne er jedoch „nicht versprechen“, wich er unseren Nachfragen aus. Die Stadt fühle sich der Einhaltung „energetischer Standards“ verpflichtet. Was erst einmal nach Modernisierung, Umweltschutz und niedrigen Heizkosten klingt, ernüchtert bundesweit immer wieder mit damit einhergehenden stolzen Mieterhöhungen – Stichwort Gentrifizierung. Das klingt wohl kaum nach dem bezahlbaren Wohnraum, vor allem für junge Familien, mit dem Burchardt für seinen Wahlkampf 2020 wirbt. Jahrzehntelange Erfahrungen mit dem Wohnungsmarkt in Konstanz und der gesamten BRD zeigen leider, dass wir nicht mehr auf solche Lösungen vertrauen können.
Wir kämpfen für selbstverwaltete Wohn- und Freiräume, weil wir davon überzeugt sind, dass schönes und gemeinschaftliches Wohnen jedem Menschen zusteht – unabhängig von seinem Einkommen oder seiner Herkunft. Eine mögliche Unterbringung von Geflüchteten in der zukünftigen Grafi10 zeigt uns außerdem endlich den Weg für eine Einlösung des vom Oberbürgermeister torpedierten Versprechens vom sicheren Hafen Konstanz (https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/kreis-konstanz-kein-sicherer-hafen/).
MM/red (Foto: grafi.noblogs.org)
@Christoph Stolz
Auf der anderen Seite kann „man“ sich von Schleimereien nur angeekelt abwenden.
@Peter Groß
Bei so vielen haltlosen Anschuldigungen und Vermutungen kann man nur den Kopf schütteln. Also echt, das ist schon bisschen mager..
Da saß er nun, der sonst vermutlich von der Investorenlobby eingekreiste, gut behütete und umsorgte Oberbürgermeister Uli Burchardt mit seiner Amtsfrau. Kokettierte, wie ich annehme, mit seiner Ahnungslosigkeit und verbarg recht geschickt seine Mitleidlosigkeit.
Vermutlich war die spätere Räumung rechtmißbräuchlich, weil die BesetzerInnen vom Hauseigentümer wahrscheinlich keinen persönlichen Hinweis auf unrechtes Handel erhalten hatten und sich gegebenenfalls zur Erlangung eines Mietvertrages im Haus aufhielten. Dem „Hausfriedensbruch“ geht in der Regel, nach meiner Kenntnis, eine persönliche oder durch einen befugten Rechtsvertreter (Gerichtsvollzieher) übermittelte Willenserklärung und Aufforderung des Eigentümers voraus.
Dabei kommt es zu der Frage ob die Staatsanwaltschaft und Polizei sich eigenmächtig und privat als Räumungsunternehmen für einen privaten Eigentümer verdingt haben, was natürlich die Frage zulässt, ob solch ein Nebenerwerb im Staatskleid Uniform überhaupt zulässig ist oder ein Handeln ohne Auftrag war. Klären müssen das dann wohl, im Streit um die Kosten, Juristen, und ich meine fast, die Kostenerstattung (auch der Gerichtskostenhilfe), liegen bei der Stadt Konstanz oder dem Eigentümer, der diesen Einsatz augenscheinlich ohne die Regularien einer rechtliche Prüfung veranlasst hat. Die Polizei ist kein eigenverantwortlich, gewerblich handelndes Umzugsunternehmen, wie sich wohl schon bald herausstellen wird.
Hier fürchteten sich Oberbürgermeister und Amtsleiterin scheinbar vor einem öffentlichen Moratorium und Kritik seitens der UnterstützerInnen aus der Nachbarschaft, sowie vor der Meinung gesellschaftlich relevanter Kreise, einer sympathisierenden intellektuellen, künstlerischen Elite, der freien Presse oder auch MieterInnen und Sozialverbänden.
Sie haben sich durch ihr permanentes Handeln gegen die Interessen der BürgerInnenschaft eine längere Auszeit verdient, Herr Oberbürgermeister.
Eine Vielzahl von UnterstützerInnen konnte jedenfalls der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hinter sich vereinen, als er 450 Grundstücksbesitzer mit der Forderung konfrontierte zu erklären, ob sie innerhalb der nächsten vier Jahre auf dem Grundstück bauen, Sanieren oder der Stadt das Grundstück zum Verkehrswert verkaufen. Die Folgen wären im Fall der Weigerung Zwangsgelder bis zu Enteignung. In diesem Zusammenhang wurde an die Sozialbindung des Eigentums im Grundgesetz oder dem Baugebot, das sich im Baugesetzbuch findet und Kommunen den Zugriff auf Grundstücke ermöglicht, erinnert. Der fütterte allerdings mit seiner Auffassung von einer Zweckentfremdungssatzung keinen Papiertiger.
Wohnen ist Menschenrecht!
Warum wird das von vielen von uns gewählten Politikern vergessen und warum sind die Wähler so vergesslich?