„Retter in der Krise nicht nach der Krise vergessen!“

Ein Umsteuern in der Gesundheitspolitik fordern zahlreiche Betriebs- und Personalräte in der Region Südbaden und Schwarzwald vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Die rund 300 Personal-VertreterInnen, unter ihnen auch Hannes Hänßler, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Gesundheitsverbunds im Landkreis Konstanz, wollen weniger Gewinnstreben und mehr Versorgungssicherheit für PatientInnen. Zudem müssten Beschäftigte endlich angemessen entlohnt werden.

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Die Corona-Pandemie hat offengelegt, auf welch tönernen Füßen das Gesundheitssystem hierzulande im Ernstfall steht. Ganz für Markt und Profit zurechtgestutzt, müssen seit Jahren Betten und Stationen möglichst immer ausgelastet sein, damit sich die Krankenhäuser nur ja rechnen. Steigen wie jetzt in der Corona-Krise die medizinischen Anforderungen, fehlen in vielen Bereichen Reserven. Nicht umsonst sah sich die Politik zu drastischen Maßnahmen genötigt, um solche Engpässe zu umschiffen. Schon im Normalbetrieb sterben in deutschen Kliniken nach Meinung von Experten jährlich um die 10.000 Menschen, deren Tod vermeidbar wäre; unter den Belastungen einer um sich greifenden Pandemie wären sie vermutlich zusammengebrochen.

An die beklagenswerten Zustände in ihrem Wirkungsfeld erinnern jetzt fast 300 gewählte betriebliche InteressenvertreterInnen aus Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens in Baden-Württemberg. Anfang Mai wendeten sie sich im Namen ihrer KollegInnen mit einem eindringlichen „Weckruf“ an die Landesregierung und die Öffentlichkeit. „Weniger Gewinnstreben, Versorgungssicherheit für alle unabhängig vom Geldbeutel, Gesundheitsschutz und finanzielle Anerkennung für die Beschäftigten im Gesundheitswesen!“ fasst Reiner Geis, ver.di Geschäftsführer Südbaden Schwarzwald, das Anliegen zusammen: „Die Retter in der Krise dürfen nicht nach der Krise vergessen werden!“

Vonnöten sind nach Überzeugung der Personalvertretungen neben mehr Schutzmaßnahmen von Beschäftigten und PatientInnen vor allem eine dauerhafte Aufwertung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Handfester Ausdruck der Anerkennung wäre eine Prämie, wichtig zudem eine „Abkehr von der Ökonomisierung des Sozial- und Gesundheitswesens“.

Die Mängelliste im neoliberal zurechtgestutzten Gesundheitsbereich ist dabei lang. Julian Bellmann, Betriebsratsvorsitzender beim DRK Rheinfelden, beklagt etwa fehlende Schutzmaßnahmen in Pflege und Rettungsdiensten. Auch hier brauche es dringend eine Schutzpflicht auf dem von Virologen empfohlenen FFP2-Niveau. „Nur so können wir die uns anvertrauten Menschen und uns vor Infektionen schützen. Es muss viel mehr getestet werden.“

Franka Weis, Personalratsvorsitzende im Kreiskrankenhaus Emmendingen, übt Kritik an einer Aussage des baden-württembergischen Sozialministers Lucha, die Pflegekräfte hätten nur eine ganz kurze Belastungsspitze für den Umbau des Systems gehabt. Lucha lasse völlig außer Acht, „dass wir alle dem Infektionsrisiko ausgesetzt sind, ganztägig in Schutzkleidung arbeiten müssen und natürlich auch Angst haben. Deshalb haben alle, wirklich alle, die gerade im Gesundheits- und Sozialsystem Einsatz zeigen, die von ver.di geforderte monatliche Prämie von 500 Euro mehr als verdient.“

Tiefgreifende strukturelle Eingriffe verlangt derweil Thomas Böhm, Koordinator der betrieblichen Interessenvertretungen der Krankenhäuser Baden-Württembergs (BIV): Das Gesundheits- und Sozialwesen müsse flächendeckend und am Bedarf orientiert umgestaltet werden. Die Fallpauschalen im Krankenhaus gehörten abgeschafft, zudem müssten Investitionskosten viel stärker gefördert werden. Böhm: „Ohne am Bedarf orientierte Personalbemessungssysteme schaffen es die Beschäftigten nicht mehr. Und wir brauchen Krankenhäuser in öffentlicher Hand. Privatisierungen müssen rückgängig gemacht werden. Unsere Arbeit dient der öffentlichen Daseinsvorsorge, nicht privaten Konzernen beziehungsweise den Dividenden von Aktionär*innen.“

MM/jüg (Bild: ver.di)