Rojava: Bodenseeweite Demo in Friedrichshafen
Die Proteste gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei im nordsyrischen Rojava reißen nicht ab. Nachdem schon am vergangenen Wochenende Zehntausende ihre Solidarität mit der geschundenen Bevölkerung bekundet hatten, sind für die kommenden Tagen wieder zahlreiche öffentliche Aktionen angekündigt – auch in der Region. Das Solidaritätsbündnis Rojava ruft, zusammen mit anderen Gruppen, am Samstag zu einer bodenseeweiten Solidaritätsdemo in Friedrichshafen auf.
Die Stadt am Nordufer haben die Veranstalter mit Bedacht gewählt, beherbergt sie doch mit MTU, ZF oder Liebherr einige der nicht wenigen Konzerne im Bodenseegebiet, mit deren Rüstungsprodukten Erdogans Armee gegenwärtig ihre Blutspur zieht. Bei einem regionalen Treffen von Soli-AktivistInnen am 17.10. im Konstanzer Café Mondial wollten zudem vor allem auch viele KurdInnen noch aus einem anderen Grund, dass in Friedrichshafen demonstriert wird.
Einen Tag zuvor hatte die Polizei dort nämlich eine deutsch-kurdische Protestaktion vorzeitig abgewürgt. Als Anlass dafür musste ausgerechnet ein von türkischen Faschisten inszeniertes Störmanöver herhalten. Obschon mit ausreichend Kräften vor Ort präsent, ließ die Polizei einen erkennbar mit rechten Türken bestückten SUV bis in unmittelbare Nähe der DemonstrantInnen vorfahren. Erst als deren Provokationen, unter anderem mit dem berüchtigten „Wolfsgruß“ der für zahlreiche Morde verantwortlichen „Grauen Wölfe“, bei einigen DemonstrantInnen empörte Reaktionen auslöste, handelte die Einsatzleitung endlich.
Allerdings schritt sie nicht gegen die provozierenden Faschisten ein, sondern löste unverständlicherweise die genehmigte Demonstration vorzeitig auf. Zuvor schon hatte man Demo-TeilnehmerInnen untersagt, Fahnen der YPG zu zeigen, jene kurdische Volksverteidigungsmiliz, die gegenwärtig die Rojava-Region gegen die türkischen und islamistischen Okkupanten verteidigt.
Umso wichtiger war es den Kurd*innen jetzt, am Ort dieses skandalösen Vorfalls zeitnah erneut öffentlich Präsenz zu zeigen: Sie wollen ein Zeichen der Solidarität mit jenen Menschen setzen, die einen hohen Blutzoll für den Sieg über die islamistischen IS-Terroristen gezahlt hatten, und sich jetzt schon wieder zur Wehr setzen müssen – diesmal gegen die zweitgrößte NATO-Armee.
Die Medienmitteilung der VeranstalterInnen im Wortlaut:
Das Konstanzer Solidaritätsbündnis Rojava mobilisiert für Samstag, 26.10., zusammen mit weiteren Initiativen, der Partei Die Linke sowie kurdischen Bürger*innen zu einer bodenseeweiten Demonstration nach Friedrichshafen. Als Teil einer weltweiten Bewegung wollen die Initiator*innen damit ihre Solidarität mit den Menschen in Rojava zum Ausdruck bringen.
Seit mehr als zwei Wochen lässt der türkische Staatspräsident Erdogan seine Armee, verstärkt um islamistische Banden, Krieg gegen die Bevölkerung in Rojava führen. In der mehrheitlich von Kurd*innen bewohnten nordsyrischen Region bauen Menschen unterschiedlicher Nationalität auf den Trümmern des Bürgerkriegs friedlich selbstverwaltete Gemeinschaften auf. Sie sind basisdemokratisch organisiert, verhelfen Frauen zu ihren Rechten, schaffen ein Bildungs- und Gesundheitswesen und eröffnen der Bevölkerung und vielen Flüchtlingen die Perspektive eines Lebens in Selbstbestimmung und Würde.
Diesen demokratischen Aufbruch will der Erdogan mit allen Mitteln vernichten. Mit dem völkerrechtswidrigen Überfall will der angeschlagene Autokrat seine Position innenpolitisch wieder festigen und gleichzeitig die Macht der Türkei in der Region ausbauen. Seine Aggression richtet sich dabei gegen jene Menschen, die im Kampf gegen den islamistischen IS-Terror den höchsten Blutzoll gezahlt haben, und denen auch wir in Europa für den Sieg über den IS zu danken haben.
Für seinen irren Traum von einem neo-osmanischen Reich schreckt Erdogan auch vor Kriegsverbrechen nicht zurück, wie amnesty international dokumentierte. Die Zeche zahlt einmal mehr die Bevölkerung: Mehr als 100.000 Menschen sind inzwischen aus ihrer Heimat vertrieben, tausende Verletzte und Tote hat der Krieg schon gekostet, darunter viele Zivilist*innen.
Für sein Morden hat der Autokrat die Rückendeckung der Großmächte USA und Russland, auch die EU lässt ihn gewähren, trotz aller verbaler Kritik. Mit Trump, der mit dem Abzug seiner Truppen grünes Licht für den Krieg gegeben hatte, einigte sich Erdogan ebenso wie jetzt mit Putin darauf, aus einem 30 Kilometer tiefen Grenzstreifen die Bevölkerung zu vertreiben und dauerhaft zu okkupieren. Mit der geplanten Ansiedlung syrischer „Rebellen“ droht dort eine neue Brutstätte islamistischen Terrors.
Auch auf die Bundesregierung kann Ankara weiter zählen, sie verweigert sich allen Sanktionsforderungen. Berlin klammert sich an den Flüchtlingsdeal, hält an Wirtschaftsbeziehungen fest und lässt weiter Waffenexporte in Rekordhöhe zu, allen anderslautenden Behauptungen zum Trotz. Der aberwitzige Vorschlag der Verteidigungsministerin, im Rahmen einer NATO-Mission auch die Bundeswehr nach Rojava zu schicken, lässt vermuten, dass die deutsche Regierung selbst eine gewichtigere Rolle im Machtpoker der Großmächte spielen will.
Das alles wollen wir nicht mehr hinnehmen. Erdogans Expansion durch Krieg, seine Unterstützung islamistischer Gruppen und seine fortgesetzte Aggression gegen die Kurd*innen, auch im eigenen Land, machen ein Weiter-so gegenüber Ankara unmöglich.
Wir stehen an der Seite der Menschen in Rojava. Unseren Protest werden wir immer wieder auf Straßen und Plätze tragen. Wir machen Druck auf die Bundesregierung, endlich im Sinne des Völkerrechts und der Humanität zu handeln: Sie muss dafür eintreten, den Türkei-Deal mit der EU zu beenden. Alle Zahlungen an das Unrechtsregime müssen eingestellt, Rüstungsexporte umgehend und vollständig gestoppt werden.
SOLIDARITÄT MIT ROJAVA – Demonstration, Samstag, 26. Oktober, 14.00 Uhr, Friedrichshafen, Buchhornplatz
jüg (Text und Foto)
Kein Kind soll sein Leben für Erdöl geben müssen. Das amerikanische Militär ist mal eben umgezogen, um wie es Trump wohl twitterte, die Erdölfelder in Syrien vor IS – Banden zu schützen. Ähnlich wie in der Türkei versucht in Deutschland die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer vermutlich mit ihrer Christenunion einen politischen, aber auch wirtschaftlichen Vorteil aus einer deutschen Kriegsbeteiligung in Syrien zu ziehen.
Einerseits hofft sie auf den Job als Kanzlerin. Anderseits scharren Rüstungsbetriebe, Industrie und Rohstoffhändler mit den Hufen. Kriegseinsätze bedeuten schließlich Gewinnmaximierung.
Ich möchte kurz daran erinnern, dass Urgroßeltern 1955 gegen Wiederbewaffnung und Faschismus in der jungen Republik demonstrierten. Es folgten Demonstrationen gegen atomare Rüstung in den frühen 50er/60er Jahren, die Zeit der 68er sowie die Anti-Atom und Friedensbewegung der 80er. Jeweils mit Teilnehmerzahlen, die denen von „Fridays for Future“ zahlenmäßig glichen. Aus der alten Zeit ist die Kampagne von John Lennon und Yoko Ono (1969) heutigen Großeltern (Jahrgänge nach 1945) wohl noch bestens vertraut. In allen Metropolen erschienen Plakate zu den Weihnachtstagen mit dem Motto: WAR IS OVER – IF YOU WANT IT, Happy Christmas John & Yoko.
Begleitet wurde die Zeit von einem Lied: Give Peace A Chance – https://www.youtube.com/watch?v=0yU0JuE1jTk Der Song war so kraftvoll, dass er später half, die Berliner Mauer zum Einsturz zu bringen (Erlöserkirche Ostberlin, Oktober1989). Ich meine, es ist Zeit ihn aus dem Keller oder vom Dachboden zu holen. Richtig, wie den Geist aus der Flasche. Das ist genau das Lied, das heute wieder auf die Gassen und Straßen gehört, in diesen dunklen Zeiten. Nach 30 Jahren „Friedliche Revolution“ und dem „Konzert gegen Gewalt“ bekam ich kürzlich eine Einladung des Ev. Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree zu einem Solidaritätsabend für Opfer von Krieg und Gewalt in Syrien und der Türkei „Laut sein!“
Da gab es die Erinnerung an einen weiteren Song: https://www.youtube.com/watch?v=yN4Uu0OlmTg . Das wären zwei Lieder von denen ich hoffe, dass es gelingt Eltern und Großeltern zu wecken, denn im Gegensatz zu den frühen 50er Jahren gäbe es heute drei Generationen die sich für ein „Nie wieder Krieg“ zusammenschließen können. Eine beachtliche Zahl Menschen, die verstehen sollten, „Der Krieg ist zu Ende, wenn du es willst.“
Es gibt noch etwas, das mich im Sprachgebrauch der öffentlich-rechtlichen Medien irritiert, dass von Rechten, im anderen Fall von Türken die Rede ist. Es wäre wohl inzwischen richtig bei den ersten von Faschisten zu reden. In dem anderen Zusammenhang sind Türken nicht gleichzusetzen mit Erdogan und seinen Anhängern. Da wird ein völlig falsche Bild gezeichnet.
Ergänzend zum absolut notwendigen Protest gegen Erdogans und seiner Vasallen interne und externe Kriege, (vgl. SZ: https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-auf-permanentem-kriegsfuss-erdogan-und-die-syrienoffensive-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191010-99-244159), und aus aktuellem Anlaß, möchte ich kurz ein paar Passagen aus dem heutigen (25.10.) Newsletter (ozguruz.de) und Radiokommentar (ozguruz20.org) von Can Dündar zusammenfassen, in dem er sich auf ein von seiner Redaktionsmitarbeiterin Zübeyde Sari geführtes Interview mit dem Journalisten Nazim Dastan aus Rojava bezieht und auch daraus zitiert.
Zunächst wird die rhetorisch-sarkastische Frage gestellt, ob die türkische Invasion „Friedensquelle“ der Region tatsächlich „Frieden“ gebracht habe…., um anschliessend aufzuzeigen, was die türkische „Quelle“ hineingespült und hinweggespült hat…
Sodann wird die aktuelle, alles andere als friedliche, Situation geschildert:
Nachdem sich die „Demokratischen Syrischen Kräfte“ aus den Stadtzentren von Tel Abyad und Ras-ul-Ain zurückgezogen hatten, war die erste Tat der von der Türkei unterstützten und in die Städte eindringenden Gruppen, genauso wie der IS, ein sofortiges Rauchverbot zu erlassen und den Kopftuchzwang für Frauen einzuführen. Diese Verbote wurden unmittelbar über Lautsprecher von den Moscheen und in den Schulen verkündet. Innerhalb der sich als „Freie Syrische Armee“ bezeichnenden Gruppen befinden sich „runderneuerte“ IS Terrorbanden und radikale Salafisten, nur die Namen/Etiketten wurden geändert… Das laizistische und den Frauen gleiche Rechte gewährende autonome Selbstverwaltungssystem der Kurden soll systematisch zerstört und ein religiös-patriarchalischer Feudalstaat errichtet werden… Mit der türkischen Invasion hat nicht nur die Herrschaft in den Städten gewechselt,- auch die Fundamente eines sich entwickelnden multi-kulturellen laizistischen Systems wurden zerstört und die Grundlagen eines Unterdrückungsregimes gelegt, das die sich gerade befreiten und befreienden Frauen wieder in die Gefangenschaft eines Scharia-Regimes zwingt. „Die in die Städte eindringenden Mordbanden und Vandalen, die stolz die makabren Bilder von abgeschnittenen Köpfen als Trophäen im Netz verbreiten, und die unter ihren Füssen zertretenen kurdischen Frauen, sind wie ein Symbol dieser brutalen Veränderung.“ Während die türkische Armee behauptet gegen den IS zu kämpfen, passiert das genaue Gegenteil, es wurden,- unglaublich aber wahr,- tatsächlich der IS und die IS-Gesinnung mit Hilfe der schmutzigen Hände der türkischen Armee erneut in der Region installiert! Dass die türkische Armee und die mit ihr verbündeten Vasallen und Terrorgruppen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe ist mittlerweile unstrittig. Der von den USA und der Türkei gewaltsam erzwungene Rückzug der Kurden und der damit vorsätzlich bewirkte Rückfall der Region ins Mittelalter wird nicht ohne Folgen für die Region und auch die Türkei bleiben… Die „Quelle“ der neuerlichen Gewalt und Zerstörung ist eindeutig! Hauptsponsor des Erdogan-Regimes, ideell und monetär ist übrigens Katar, ja richtig, die Diktatur am Golf, in der 2022 die „ganz zivile und völlig unpolitische“ Fussball-WM stattfinden soll…. Wer da mitmacht fördert direkt und unmittelbar totalitäre Regime und die faschistische Erdogan-Diktatur. Aber das ist ja nichts Neues, Russland 2018 hat ja auch niemanden gestört….!? Spätestens seit Argentinien 1978 kennen wir das Verhältnis von Fussball und Diktatur…
Can Dündar: preisgekrönter regierungskritischer Ex-Cumhuriyet Journalist, Aktivist und Regimegegner. Zusammen mit seinen KollegInnen hatte er erstmals die geheimen Waffenlieferungen der Türkei an den IS aufgedeckt, daraufhin sollte er auf Dauer mundtot und eingekerkert werden. Seit 2016 kämpft er aus Deutschland gegen das türkische Unrechts-, Unterdrückungs- und Folterregime, vgl. auch die vielen bisher erschienenen Artikel von ihm und natürlich seine auch hier in Deutsch erschienen Bücher! Übrigens: Einmal in der Woche (Montags) erscheint sein täglicher Newsletter in Türkisch UND Deutsch.
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