Roland Biniossek: Für Überlingen zählt das Soziale
Der Ausgang der letzten Kommunalwahlen in Baden-Württemberg zeigte vor allem eines: Die Linke etabliert sich als feste Kraft in zahlreichen Kommunalparlamenten. Doch wer sind eigentlich die Leute, die versuchen, soziale Politik in Kreistagen und Gemeinderäten auf die Agenda zu setzen? In einer losen Reihe hakt seemoz nach und fängt mit Roland Biniossek aus Überlingen, Stadtrat in seiner Heimatstadt und Kreisrat im Bodenseeekreis, an. Seine Überzeugung: „Schulen und Soziales sind wichtiger als die Gartenschau“
Es ist Freitag Nachmittag, in einem kleinen Café nahe der Fähre spricht Roland Biniossek (62) über seine Ambitionen. Der studierte Diplomvolkswirt ist sowohl neugewählter Linke -Vertreter für den Kreisrat im Bodenseekreises als auch im Gemeinderat der Stadt Überlingen – in letzterem zusammen mit seiner Mitstreiterin Monika Behl. „Ich bin in den Ausläufern der Studentenbewegung politisiert worden“, erzählt er. Diese ist dann allerdings „Anfang der 80-er Jahre zerfallen, da haben sich dann die verschiedensten Gruppen aufgelöst und man war dann doch ziemlich vereinzelt.“
Mit Mitte 40 machte er sich dann mit anderen zusammen selbständig, gründete in Berlin das Hanfhaus und meint etwas selbstironisch: „In Berlin habe ich damals die Welt mit Hanf gerettet“, wo er mit seiner Frau und seinem Sohn lebte: „Als Firma haben wir den Nutzhanf wieder nach Deutschland gebracht – hier war ja alles verboten, es war schließlich eine Droge. Wir haben dann Textilien gemacht, Waschmittel … alles mögliche. Das war etwas größenwahnsinnig.“
Mitbegründer der WASG
Mit Kind aus dem Haus und neuem Arbeitsplatz am Bodensee wurde Biniossek nach Jahren der politischen Abstinenz zunächst wieder bei der Liste für Bürgerbeteiligung und Umweltschutz (LBU) aktiv – einer Liste aus dem Umfeld der Grünen. Diese sei dann aber inhaltlich nach rechts gewandert, was ihn veranlasste, die WASG im Bodenseekreis mitzugründen. Seit dem Zusammenschluss mit der PDS zur Linken hätten sich die Strukturen ganz gut entwickelt: „Es sind dann sehr viele gute neue Leute, insbesondere aus der Gewerkschaftsbewegung, dazugekommen. Wir sind in Friedrichshafen in den Großbetrieben sehr stark – beispielsweise ZF. Mein Mitkollege im Kreisrat ist bei ZF auch im Betriebsrat.“
Von 80 Parteimitgliedern ist im Kreisverband Bodensee aktuell rund ein Drittel aktiv. Das Linke-Büro der Bundestagsabgeordneten Annette Groth sei zudem Ausdruck für einen funktionierenden Kreisverband. Mit Blick auf die kleine Gemeinde Sipplingen muss Biniossek schmunzeln: „Sipplingen ist ja ein kleines Dorf mit 2500 Einwohnern. Es gibt dort nur drei Gruppen im Gemeinderat: Die CDU, die Freien Wähler und die Linke – keine SPD, keine Grüne, keine FDP“ Dem dortigen Linke-Vertreter Manuel Müller attestiert er eine „gute Politik“. Vor allem das Standing seiner Partei habe sich mit den Mandaten geändert. Als Überlingen noch keinen linken Stadtrat hatte, habe es sich ausgezahlt, „einmal im Monat in der Innenstadt einen Büchertisch zu machen“, unterstreicht Biniossek die Wichtigkeit einer aktiven Parteibasis.
Überlingen als Dienstleistungsstadt etablieren?
Im Kreisrat sei Biniossek gut aufgenommen worden, auch vom Landrat, dem er jüngst seine Ideen zur Entwicklung des Landkreises darlegen konnte. Im Gemeinderat von Überlingen gestalte sich die Sache da schon schwieriger: „Das ist ein richtig harter Kampf mit den anderen Gruppen“, findet er. Die sozialen Probleme der Stadt will Biniossek vor allem über ein stärkeres Steueraufkommen angehen: „Friedrichshafen hat eine sehr hohe Steuerkraft und dadurch die Möglichkeit, pro Schüler doppelt so viel Geld auszugeben wie Überlingen. Meine Vorstellung ist jetzt, Überlingen – eine sehr schöne, aber eine finanzschwache Stadt – zum zweiten Zentrum im Kreis aufzubauen, aber mit einem völlig anderen Profil als Friedrichshafen, nämlich als Dienstleistungsstadt mit den Schwerpunkten Tourismus, Gesundheit, Kliniken, Kultur und Dienstleistungen auch im Sinne einer kleinen Hochschule, was jetzt in der Diskussion ist, als Ableger von Ravensburg und Weingarten.“
Er hofft, dass so die Probleme, vor allem beim sozialen Wohnungsbau, gelöst werden können. Durch horrende, unbezahlbare Grundstückspreise müssten viele Leute aus Überlingen in die umliegenden Gemeinden ziehen. Sie kämen nur noch zum Arbeiten in die Stadt: „Daher wurde jetzt die Zweiwohnsitzsteuer erhöht, aber das ist immer noch zu wenig. Die degressive Staffelung haben wir jetzt per Gemeinderatsbeschluss beendet. Das war ein erster guter Schritt in die richtige Richtung. Es muss aber auch weitergehen“, plädiert Biniossek und wirbt für eine Stärkung der Baugenossenschaft: „Wir brauchen alles, um festzulegen, wie wir sozialen Wohnungsbau entwickeln.“ Auch könne er sich vorstellen, öffentliche Gebäude in Wohnraum umzuwandeln.
Flüchtlingspolitik: Warnung vor der AfD
Wie in so vielen Teilen des Landes liegt derzeit auch in Überlingen ein sehr großes Augenmerk auf Fragen der Flüchtlingsunterbringung. Biniossek lobt den 40-Personen-starken HelferInnenkreis, in dem man sich „um die Flüchtlinge kümmert und ihnen in vielerlei Weise behilflich ist.“ Sollten nicht bald Lösungen für die Unterbringung von Flüchtlingen gefunden werden, so fürchtet er „wird die AfD in die Höhe schießen, da bin ich mir sehr, sehr sicher. Da wird es Widerstand geben. Gegenwärtig ist die Stimmung noch gut, das kann aber schnell kippen. Wir haben schon die ersten Schmierereien in Überlingen – auch die ersten Hakenkreuze. Das gab es früher nicht. Wir werden politisch so drauf reagieren, dass wir fordern, dass man die Leute, die kommen, vernünftig unterbringt, sie menschlich behandelt und ihnen eine Perspektive gibt. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch darüber aufklären, warum diese Leute kommen. Wir müssen fragen, was dahintersteckt und wer die Flüchtlinge produziert“, prangert er vor allem die militaristische Außenpolitik der USA und der Regierung Merkel an, welche sich seiner Ansicht nach „von den USA abkoppeln muss.“
Er fürchtet, dass die Hetze von AfD und anderen Rechten gegen Flüchtlinge auf „fruchtbaren Boden“ treffen könnte: „Unsere Handlungsweise muss sein, aufzuklären und eine antiimperialistische Perspektive da reinzubringen.“
Ein Sozialpass zu Weihnachten
Besonders stolz ist Roland Biniossek auf den Vorstoß der Überlinger Linken für einen Sozialpass, der sich an einem Vorbild aus Stockach orientiert und um ein Sozialticket für den öffentlichen Personenverkehr erweitert werden soll: „Wir haben jetzt die Stadtverwaltung überzeugt, dass sie es in eine der Gemeinderatsitzung im Dezember als Beschlussvorlage einbringt. Plan ist, dass den Menschen schon zu Weihnachten dieser Pass von der Verwaltung überreicht werden soll.“
Die Linke schlug der Oberbürgermeisterin Sabine Becker jetzt vor, Weihnachten das erste Mal die Überlinger Tafel zu besuchen. Die versorgt mittlerweile über 700 Bedürftige, auch aus den umliegenden Gemeinden: „Leute von der Linken arbeiten dort mit und wir plädieren dafür, dass die Oberbürgermeisterin dort zu Weihnachten Sozialpässe verteilt. Diese Tafel ist zwar mitten in der Stadt in Überlingen, und trotzdem ist es ein Tabu, keiner sieht sie. Wir müssen das aufbrechen und bewusst machen, dass man für diese Leute etwas tun muss. Das sehen wir als eine unserer zentralen Aufgaben an.“
Gemeinderatsarbeit hat Vorrang
Überrascht wurde Roland Biniossek vor allem vom Papierkrieg, die neue Gemeinderatsposten für ihn und Monika Behl mit sich bringen. 400-seitige Vorlagen einer Sitzung, da kann man als Einzelkämpfer schon mal ins Schwitzen kommen: „Davon kannst du 100 überblättern, aber 300 eben nicht, die musst du durcharbeiten, du musst ja zu allem Stellung nehmen. Die anderen Parteien, die eine größere Fraktion haben, die können sich das noch aufteilen, aber bei uns geht das nicht.“ Große Bewunderung empfindet Biniossek für „Leute, die das neben dem Beruf noch machen. Das ist fast ein Ding der Unmöglichkeit und anders als bei mir, der kurz vor der Rente steht.“
Dass bisher kaum Zeit war, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, wie man mit öffentlichem Sponsoring durch Rüstungskonzerne umgeht – in Konstanz hin und wieder ein Thema für Linke -, wie man sich zu Fragen der Rüstungskonversion positioniert, klingt da nur logisch. Biniossek hält eine Debatte um die Kernaufgaben der Stadt für wichtiger. In Überlingen „läuft jetzt die große Auseinandersetzung über Pflichtaufgaben der Stadt? Was sind die Aufgaben im Kulturbereich? Können wir uns die Gartenschau leisten? Und da sind die Gewichtungen in dieser Stadt eben völlig unterschiedlich gesetzt. Die anderen Parteien meinen „Gartenschau“. Wir sagen „Nein. Schule, Soziales, Kultur, das ist das Wichtige.“
Bei den Haushaltsberatungen will Biniossek daran mitwirken, die Weichen für Überlingen zu stellen, das sich seiner Ansicht nach lieber um ruinenartige Turnhallen als um die Landesgartenschau kümmern soll.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: Ryk Fechner