Roth zündelt: Verteidigungsschrift oder Kampagnenstart?

Jürgen Leipold ahnte es schon am 1. März, als der Konstanzer Gemeinderat erstmals über die mögliche Aberkennung der Ehrenbürger-Würde des Alt-OBs Bruno Helmle diskutierte und sich eine deutliche Mehrheit für eine Aberkennung abzeichnete. Man solle sehr genau hinschauen, so der SPD-Stadtrat damals, wer sich bis zum 3. Mai, wenn endgültig entschieden werden soll, als Persilschein-Lieferant für Helmle entpuppt. Mit Eberhard Roth hat sich jetzt der erste Stadtrat aus der Deckung getraut.

Seit zwei Tagen kursiert ein 11-Seiten-Schreiben von Roth in der Stadt. Adressaten sind neben den Gemeinderatsmitgliedern auch OB Frank und verschiedene Medien. Fazit des Schreibens, noch in Frageform gekleidet: Wollen wir wirklich einen so verdienstvollen Bürgermeister durch die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde posthum bestrafen und verurteilen?

Prof. Dr. Eberhard Roth hat zuletzt von sich reden gemacht als konsequenter Verteidiger seines Nachfolgers Prof. Dr. Müller-Esch auf dem Chefarztposten im Klinikum, als dieser vom Gemeinderat entlassen wurde. Danach erneut, als er aufgrund dieser Querelen die CDU-Fraktion verließ und mit anderen Einzelkämpfern im Konstanzer Gemeinderat die neue Unabhängige Fraktionsgemeinschaft (UFG) gründete. Und nun als nachdenklicher Verteidiger des Ex-Oberbürgermeisters Bruno Helmle.

Im Stadtarchiv gestöbert…

Anders als wohl die meisten StadträtInnen hat Roth im Stadtarchiv das Gutachten, das die Historiker Prof. Wolfgang Seibel, Prof. Lothar Burchardt und PD Dr. Jürgen Klöckler im Auftrag von OB Frank über Helmles Verstrickungen in der Nazizeit erstellt haben, und auch andere Unterlagen, wie zum Beispiel Personalakten, über deren Unvollständigkeit er sich allerdings nicht wundert, gewälzt. Die drei Wissenschaftler kamen in ihrem Gutachten, das im Internet nachlesbar ist, zu dem einhelligen Urteil, dass Helmle als Nazi-Mitläufer in höheren Diensten zu bewerten sei, der sich nachweislich und in großem Umfang an jüdischem Eigentum bereichert und dies in der Nachkriegszeit verschwiegen habe.

Roth teilt diese Einschätzung nach seinem Aktenstudium nicht. An mehreren Stellen seines Briefes hält er den Wissenschaftlern „Spekulationen“ und „Vermutungen“ vor. So zum Beispiel bei der Bewertung von „Bereicherungen an jüdischem Eigentum“. Oder bei der Interpretation der Beweggründe von Helmle, von der Justiz- zur Finanzverwaltung zu wechseln. Andererseits wirft er den Wissenschaftlern, unter ihnen immerhin zwei namhafte Historiker, vor, entlastende Aussagen pro Helmle im Entnazifizierungsverfahren unerwähnt zu lassen.

Schon bei der öffentlichen Vorstellung ihres Gutachtens (seemoz berichtete), auf der sich der ehemalige Schwiegersohn Helmles für ihn in die Bresche warf, hatten die drei Wissenschaftler solche Einwände mit dem Hinweis gekontert, noch nie sei so schamlos gelogen worden wie in diesen Verfahren. Roth hingegen nimmt sämtliche dieser Aussagen für bare Münze.

…und als Ewiggestriger angekommen

An Geschmacklosigkeit jedoch grenzt Roths Einschätzung: „Man kann davon ausgehen, dass es sich bei dem Umzugsgut ausgereister Juden, das zur Verschiffung bereit stand, um Möbel wohlhabender Juden handelte. Arme Juden konnten weder auswandern noch Möbel nach Rotterdam schaffen. Der Begriff Bereicherung, der üblicherweise die unrechtmäßige Vermehrung des eigenen Besitzes beinhaltet, kann hier nur spekulativ verwandt werden.“ Spätestens da verlässt Prof. Roth die Rolle des vermeintlich sachlichen Analytikers und gerät gefährlich in die Nähe der Ewiggestrigen.

Seine Kritik an der Historiker-Arbeit wird zusätzlich zweifelhaft, wenn er in seinem Brief mehrfach Lücken seines eigenen Geschichtsbewußtseins offenbart. So zeugen zum Beispiel seine historischen Bewertungen der „Blockwart-Position im Nazi-Reich“ oder der „Entnazifizierungs-Verfahren“ in der Nachkriegszeit nicht von ausgewiesener Informiertheit.

Provokation und/oder Kampagne?

Bleibt letztlich zu fragen, was Stadtrat Roth, wenige Tage vor der Gemeinderatssitzung, mit diesem Vorstoß bezweckt. Ohne Zweifel liefert er Argumentationshilfen all‘ denen, die bislang erfolglos nach Persilscheinen für Helmle fahndeten. Man denke nur an die hilflosen Verteidigungsversuche aus den Reihen der CDU-Fraktion in der fraglichen Gemeinderatssitzung am 1.3. Aufhorchen allerdings lässt die Veröffentlichung des Leserbriefes eines Dr. Heiderich aus Schorndorf im Südkurier just an dem Tag, an dem auch der Roth-Brief an die Öffentlichkeit drang.

In diesem Leserbrief wird Helmle für seine selbstlose Hilfe für die Flüchtlingsfamilie Heiderich vor nunmehr 65 Jahren gedankt. Zufall? Der Tonfall dieses Leserbriefes legt den Verdacht nahe, dass er von wem auch immer bestellt worden sein könnte. Oder Start einer Pro-Helmle-Kampagne, die uns vor Augen führen soll, wie verdienstvoll dieser Oberbürgermeister für Konstanz gewirkt hat? Universitätsgründung, Aussöhnung mit Frankreich undsoweiterundsoweiter. Dann jedoch geriete Prof. Dr. Eberhard Roth in die Rolle des Provokateurs, die ihm bisher niemand zutraute.

Autor: hpk

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