Rotmilan bremst Windpark-Projekt „Brand“ bei Tengen aus

Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien geht es im Landkreis Konstanz bekanntlich sehr schleppend voran. Jetzt gibt es einen weiteren Rückschlag: Der geplante zweite Windpark mit drei Anlagen auf der Gemarkung der Stadt Tengen ruht vorerst. Grund dafür ist ein Rotmilan-Horst zu viel. Dies teilen die Projektgruppe „Hegauwind“, die den Windpark betreiben möchte, und die mit der Entwicklung des Windparks beauftragte Bürgergesellschaft solarcomplex AG aus Singen mit.

Hier der Wortlaut der Pressemitteilung und anschließend weitere Informationen zum Thema.

„Bezüglich der von der Hegauwind-Gruppe geplanten drei Windkraftanlagen am Standort Brand teilt der zuständige Projektierer solarcomplex mit, dass der für diesen Herbst geplante BImSchG-Antrag [Bundes-Imissionsschutzgesetz] nicht gestellt wird, sondern dass das Projekt vorerst ruht. Grund sind die Ergebnisse der aktualisierten Rotmilan-Kartierungen, wonach eine Genehmigungsfähigkeit mit der aktuellen Rechtslage nicht gegeben ist. Konkret wurde ein Rotmilan-Horst zu viel kartiert, so dass das Gebiet als Dichtezentrum eingestuft wird und Vermeidungsmaßnahmen nicht zulässig sind.

Dies ist umso bedauerlicher, als die Stadt Tengen einen aufwendigen Prozess zur Einbindung der Bürgerschaft organisiert hatte: In mehreren Veranstaltungen und Exkursionen diskutierte die Bürgerschaft das Für und Wider eines zweiten Windparks auf der Gemarkung der Stadt Tengen. Diese mündete schließlich in einen Bürgerentscheid, in dem sich zwei Drittel für den Windpark Brand aussprachen. Darüber hinaus wurde eine Absprache mit der Nachbargemeinde Engen getroffen, um dort bestehendes Konfliktpotenzial zu reduzieren. Damit erfüllt das Projekt die von der Landesregierung immer wieder gewünschte Bürgerbeteiligung in geradezu vorbildlicher Art und Weise. Vor diesem Hintergrund stößt bei den Akteuren der Hegauwind-Gruppe und der Stadt Tengen besonders sauer auf, dass eine Gesprächsanfrage an die neue Umweltministerin Walker abgelehnt wurde. Gerne hätten Hegauwind und die Stadt Tengen anhand konkreter Projektbeispiele aufgezeigt, woran der Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg ganz praktisch scheitert und Vorschläge unterbreitet, wie damit umgegangen werden kann.

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Aus Sicht von Hegauwind sind die im neuen Koalitionsvertrag formulierten ambitionierten Klimaschutz-Ziele und insbesondere das Ziel von 1000 neuen Windkraftanlagen unerreichbar, wenn keine ehrliche und auch selbstkritische Analyse des Status Quo erfolgt. Die schlechte Bilanz Baden-Württembergs beim Windkraftzubau im Bundesländervergleich liegt offenkundig auch am Handeln der Landesregierung und der regulatorischen Aufstellung in Baden-Württemberg. Angesichts einer Quote regenerativer Energien am Strombedarf von unter 30% in Baden-Württemberg und rund 20% im Landkreis Konstanz wäre der Zubau neuer, auch größerer Erzeugungseinheiten dringend geboten. Immerhin sollte der Windpark Brand mit drei Windenergieanlagen rund 30 Mio. kWh sauberen Strom liefern, was einen spürbaren Beitrag zum dringend notwendigen Klimaschutz darstellt.

Hegauwind versteht sich als Allianz der Willigen und ruft die Landesregierung auf, die Rahmenbedingungen für Windkraft-Projekte so zu gestalten, dass diese auch genehmigungsfähig sind.

‚Es bleiben noch rund acht Jahre, um wirkungsvolle Klimaschutz-Maßnahmen zu ergreifen. Da reicht es nicht – wie die Landesregierung – ständig nur neue Ziele ins Schaufenster zu stellen, sondern es kommt auf die Umsetzung an. In Baden-Württemberg stockt der Windkraftausbau nicht wegen fehlender Flächen oder dem mangelnden Willen der Kommunen. Vielmehr müssen dringend Genehmigungshindernisse, insbesondere im Arten- und Naturschutz, beseitigt werden. Wir unterstützen die Landesregierung hierbei gerne, z.B. mit einem Modellversuch zum Einsatz von Kameras zur Früherkennung von Rotmilanen‘, so Marian Schreier, Bürgermeister der Standortgemeinde Tengen.

‚Wir sind weiter an der Realisierung des Windparks interessiert. Sobald sich die Rahmenbedingungen ändern, werden wir den Antrag stellen. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, sind die Ausbauziele des Landes Makulatur‘, Bene Müller, Vorstand des beauftragten Projektierers solarcomplex.

‚Der Umgang mit den Projektträgern vor Ort, welche versuchen die Ziele der dringend notwendigen Energiewende umzusetzen, ist zutiefst frustrierend. Mit den derzeitigen Regelungen ist der Zeitplan zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht einzuhalten. Die Umsetzenden vor Ort brauchen zeitnah mutige Beschlüsse der Politik die pragmatische und rechtssichere Lösungen bieten‘, Benjamin Mors, Bürgermeister von Steißlingen.“

[Ende der Pressemitteilung]

Der Windpark „Brand“

Unmissverständliche harte Kritik, die hier die Projektträger an der inzwischen in der dritten Legislaturperiode grün geführten Landesregierung äußern. An der Projektgruppe „Hegauwind“, die sich selbst eine „Allianz der Willigen“ nennt und den geplanten Windpark Brand betreiben möchte, sind zehn Stadtwerke und Bürgerenergieunternehmen beteiligt. Dazu gehören die Stadtwerke aus Engen, Stockach, Singen und Radolfzell, die Gemeindewerke Steißlingen, die Thüga, die Bürgerenergie Bodensee eG und solarcomplex sowie aus der angrenzenden Schweiz die EKS und SH Power.

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Dabei sah es mit der Realisierung der drei neuen Windkraftanlagen zunächst sehr gut aus. Intensive Vorüberlegungen, in die immer wieder die Bürgerschaft der umliegenden Gemeinden einbezogen wurde, bestimmten den Entscheidungsprozess. Ein erstes, näher an der Stadt Engen und deren Ortsteil Stetten gelegenes Plangebiet scheiterte am Widerstand der StettenerInnen. Ein zweiter Standort schied von vorn herein wegen seines zu hohen Rotmilan-Bestandes aus. Gute Chancen für den Windpark, der rund 30 Mio. kWh sauberen Strom erzeugen könnte, erhoffte man sich nun auf dem Gewann „Brand“. Dies wäre – nach „Verenafohren“ – der zweite Windpark auf Tengener Gebiet, dem die BürgerInnen mehrheitlich zugestimmt hatten.

Der erforderliche BImSchG-Antrag hätte in Kürze gestellt werden können, wäre da nicht bei der Kartierung des als bedroht geltenden Rotmilans ein Horst zu viel – konkret sieben statt der zugelassenen sechs – entdeckt worden. Damit ist das Gebiet als sogenanntes „Dichtegebiet“ eingestuft, indem die Errichtung von Windkraftanlagen entsprechend der aktuellen Rechtslage – zwar nicht formal, aber aufgrund der an Ausnahme-Genehmigungen gestellten Bedingungen faktisch – ausgeschlossen wird.

Es bleiben noch rund acht Jahre, um wirkungsvolle Klimaschutz-Maßnahmen zu ergreifen. Da reicht es nicht – wie die Landesregierung – ständig nur neue Ziele ins Schaufenster zu stellen, sondern es kommt auf die Umsetzung an.

Hegauwind und solarcomplex geben dennoch nicht auf. Das Projekt ruht vorerst, in der Hoffnung, dass sich die Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit doch noch ändern könnten. Für die an Hegauwind beteiligten allesamt eher kleineren Gemeinden und Unternehmen ist dieser Planungsstopp besonders bitter: Kosten von 300.000 Euro sind bislang für die Vorleistungen entstanden. Immerhin 30.000 Euro für jeden der Beteiligten – bei der ohnehin angespannten Finanzlage kein Pappenstiel. Zumal für diese vor vier Jahren mit dem Aus für die beiden auf dem Kirnberg bei Steißlingen geplanten Windkrafträder schon einmal ein Verlust in ähnlicher Höhe entstanden ist. Jenes Windparkprojekt scheiterte an der zusätzlichen Auflage des Landratsamtes Konstanz, den genauen Vogelzug bis nach Lindau zu dokumentieren. Eine Vorgabe – wohl unter dem Druck der Windkraftgegner herbeigeführt – die den finanziellen Rahmen und damit die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens gesprengt hätte. Sollte nun auch der Windpark Brand endgültig scheitern, dürfte dies – so Bene Müller – auch das Aus für jedwede weitere Windkraftplanungen im Hegau sein. Denn nur Verluste kann sich niemand leisten. Und nur Frust auch nicht. Doch wie und vor allem wann soll die Energiewende überhaupt noch zu schaffen sein? Denn auch mit dem Ausbau der Photovoltaik auf landeseigenen und kommunalen Gebäuden gehe es nicht voran, so Müller.

Alle Räder stehen still …

Arten- und Naturschutz gegen Umweltschutz immer wieder auszuspielen, kann keine Lösung sein. Sowieso nicht beim Rotmilan, dessen Bestand in Baden-Württemberg gar nicht gefährdet ist. Im Gegenteil: Seine Population entwickelt sich hier prächtig. Der Greifvogel ist anpassungsfähig und ein Gewinner des Klimawandels. Aufgrund der immer wärmer werdenden Winter besteht für die Jungvögel kaum Gefahr, diese einst für sie zu kalte Jahreszeit nicht zu überstehen. Zogen Rotmilane früher noch in den Süden, überwintern sie nun immer öfter in ihren Brutgebieten. Dem Nahrungsgeneralisten macht es auch nichts aus, dass seine Leibspeise wie Feldhamster und Feldmäuse aufgrund der zunehmend industriellen Landwirtschaft rarer wird. Kleinvögel nimmt er genauso gern und mancherorts ernährt er sich sogar von [Schlacht-]Abfällen auf Müllkippen. Etwa 15 Prozent des Weltbestandes leben in Baden-Württemberg, wie das Umweltministerium bestätigt [2] und deshalb 2020 den Schwellenwert für die Definition von Dichtezentren, in denen „Vermeidungsmaßnahmen“ praktisch ausgeschlossen sind, von vier auf sieben Horste anhob.

Dabei ließen sich solche Vermeidungsmaßnahmen einfach umsetzen. Zum Beispiel mit Bewegungsmeldern und Kameras als Frühwarnsystem, das eine Abschaltautomatik aktiviert, sobald sich ein Milan einem rotierenden Windrad nähert. Frei nach dem Motto: „Alle Räder stehen still, wenn der Rotmilan (und nicht der Mensch) es will!“ In einigen anderen Bundesländern ist diese Technik zulässig. Oder noch einfacher: Landwirte, die ihre Wiesen mähen und damit nicht nur dem Rotmilan, sondern auch Störchen, Krähen etc. ein reichhaltiges Buffet aus geschnetzelten Mäusen und anderem Kleingetier offerieren, melden dies vorab und während dieser Zeit stehen die Windräder wirklich still. Auch das Versetzen des verflixten siebten Horstes wäre eine Möglichkeit gewesen, so wie auch Ameisenhaufen (beim Bau von Verenafohren) oder Eidechsen (beim Neubau von Bahnstrecken oder Kiesgruben) umgesiedelt werden können. Windkraft und Rotmilan zusammen – das ginge. Aber nichts davon ist in Baden-Württemberg gemäß dem Status quo unserer Rechtslage beim Bau von Windkraftanlagen genehmigungsfähig.

1000 neue Windkraftanlagen auf dem Papier und ein paar reale Zahlen

1000 neue Windkraftanlagen bis 2030 sieht der im Sommer in Kraft getretene Koalitionsvertrag von Grünen und CDU vor – auf dem Papier. Und diese 1000 werden auch dringend benötigt, um die Energiewende und das geplante Ziel des Pariser Klimaabkommens irgendwie doch noch zu schaffen. Mit dem derzeitigen gesetzlichen Regelwerk, das der aktuellen Situation nicht angemessen ist, sei das aber nicht zu erreichen, mahnt solarcomplex-Vorstand Bene Müller schon seit Langem an. Nach zehn Jahren grün geführter Landesregierung sieht er Baden-Württemberg auf eine Stromlücke bei der Eigenversorgung zusteuern. Schon jetzt und erst recht nach dem beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft 2023 deckt unser Musterländle seinen Energiebedarf zum größten Teil aus Importen (also vermutlich – neben Wasserkraft – aus einem entsprechend hohen Anteil Kernkraft vor allem aus der Schweiz und Frankreich) (Grafik 1). Während 2019 bundesweit der Anteil erneuerbarer Energien am Strombedarf 42,1 Prozent betrug, lag er in Baden-Württemberg gerade mal bei 25,7 Prozent (Grafik 2). Und wie schwach wir in Sachen Windkraft aufgestellt sind, zeigt ein Blick auf das benachbarte Rheinland-Pfalz (Grafik 3), das – geographisch mit Baden-Württemberg vergleichbar (Windenergie nur an Land) – bei nur halber Fläche den doppelten Bestand an Windparks aufweisen kann.

Verhinderung der Energiewende hausgemacht?

Wie schlecht es um den Zubau der Windkraft steht, ist auch im jüngsten Monitoring-Bericht zur Energiewende in Baden-Württemberg (Stand November 2020) nachzulesen [1]: An geeigneten Flächen mangle es nicht. Baden-Württemberg verfüge sogar über mehr windkrafttaugliche Flächen als bisher angenommen – etwa 220.000 Hektar, das sind immerhin rund sechs Prozent der Landesfläche, auf der sich rechnerisch 12.000 Windenergieanlagen realisieren ließen! Es mangle dagegen an genehmigten Projekten. Jedes genehmigte Projekt hätte auch eine Chance gehabt, bei den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur angenommen zu werden, da diese Ausschreibungen seit 2018 regelmäßig unterzeichnet seien, wird im Monitoring eindeutig bestätigt. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Dass es zu wenige Genehmigungen gibt, ist ein hausgemachtes landeseigenes Problem, das nicht ohne Änderung des bestehenden gesetzlichen Regelwerkes behoben werden kann.

Gern hätten daher die Akteure von Hegauwind mit der neuen Umweltministerin Thekla Walker über diese Problematik gesprochen. Aber wegen gerade mal drei Windrädern mehr oder weniger lohnt sich der Gesprächsaufwand für Stuttgart anscheinend nicht. Was durchaus verständlich wäre, wenn es im Ländle 100 andere neu genehmigte gäbe … Es sei eine „Task Force geplant“, ließ die Ministerin wissen. Also der große Wurf mit „1000 auf einen Streich“? Nur wann, bleibt offen. Und planen ist noch lange nicht handeln. Trübe Aussichten, auch für all jene, die sich, wie die jungen Menschen im Konstanzer Klimacamp, um ihre Zukunft sorgen. Und für alle, die am kommenden Freitag wieder mit Fridays for Future auf die Straße gehen müssen, um für mehr Tempo beim Kampf gegen die Erderhitzung zu streiten.

Quellen
[1] https://um.baden-wuerttemberg.de/de/service/publikationen/publikation/did/monitoring-der-energiewende-in-baden-wuerttemberg-statusbericht-2020/ . Siehe dort S. 36 ff.
[2] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/gute-loesung-fuer-artenschutz-und-windkraft-im-land-1/

Uta Preimesser (Text und Foto), Grafiken: solarcomplex