„Rüstungskooperation mit der Türkei stoppen“
Während am letzten Wochenende am Rande der „Un-Sicherheitskonferenz“ in München demonstriert wurde, trafen sich bereits am Vortag gut 100 Demonstranten vor der MTU-Hauptverwaltung in Friedrichshafen. Hauptrednerin der Demo – organisiert von „Keine Waffen vom Bodensee e.V.“ – war Claudia Haydt, Vorstandsmitglied der Europäischen Linken. Wir dokumentieren diese Rede der gebürtigen Friedrichshafenerin – nur leicht redaktionell bearbeitet.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde und liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der MTU!
Wir sind hier, um darauf aufmerksam zu machen, dass mit aktiver deutscher Beihilfe Menschen im Norden Syriens sterben, verletzt und verstümmelt werden.
Ich erinnere an erschütternde Bilder, die nur wenige Jahre alt sind. Damals wurden im Norden des Iraks Jesidinnen und Jesiden durch den sogenannten Islamischen Staat ermordet und vertrieben. Das Entsetzen und das Mitgefühl war groß angesichts der Massaker und des Elends. Heute vertreibt und bombardiert der NATO-Verbündete Türkei Menschen im Norden Syriens. Darunter viele Kurdinnen und Kurden und wieder zahlreiche Angehörige der Jesidischen Minderheit.
Angesichts der Dramatik der Situation herrscht im politischen Raum heute ein gespenstische Stille.
Deswegen möchte ich hier meiner dringenden Bitte an die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel Ausdruck geben: Wenn Sie sich mit ihrem Amtskollegen Yildirim treffen, sagen Sie endlich Nein. Nein zu den Bombardements, Nein zum Rüstungsexport.
„Entscheidungen in Berlin sind Beihilfe zum Mord“
Die deutsche Regierung hat es in der Hand, das Morden heute schwieriger und morgen nahezu unmöglich zu machen. Sie kann die Bundeswehrsoldaten abziehen, die Beihilfe leisten für den Aufmarsch der türkischen Armee und sie kann die Kooperation in der NATO aussetzen. Sie kann die Lieferung von Rüstung, von Ersatzteilen, von Munition aus deutscher Produktion und den zugehörigen technischen Support unterbinden.
Bevor ich weiter darauf eingehe, wo Entscheidungen in Berlin de facto Beihilfe zum Mord im Norden Syriens sind, möchte ich auf die Dramatik der heutigen Situation verweisen und daran erinnern, dass es leider immer auch Profiteure des Krieges gibt.
Hundertausende von Menschen sind in Syrien bereits gestorben. Angesichts dessen müsste es doch selbstverständlich sein, heute alles dafür zu tun, dass es nicht noch mehr werden. Doch offensichtlich haben die regionalen und globalen Kriegsparteien andere Prioritäten. Wir erleben durch den völkerrechtswidrigen türkischen Angriffskrieg auf Syrien eine neue Eskalation des Krieges mit einer Dynamik, die noch vor wenigen Monaten kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Doch zurück zur deutschen Verantwortung: Im Kriegsgebiet findet man deutsche Waffen auf allen Seiten. Der Aggressor Türkei verfügt über deutsche Kleinwaffen von Heckler & Koch, wie Sturmgewehre HK33, Maschinengewehre MG3, Maschinenpistolen MP5. Durch Lizenzproduktion von Kriegsschiffen über U-Boote bis zur Munition für Kleinwaffen ist die türkische Armee ein starkes Machtzentrum im Südosten Europas geworden. All das kann nur produziert und eingesetzt werden, weil hier in Deutschland irgendwann einmal Ja gesagt wurde.
Wir sagen Nein: keine Lizenzen mehr, keine Rüstungskooperation!
Doch das ist längst nicht alles. Im Norden Syriens sieht man Unimogs und Militär-LKWs aus deutscher Produktion. MAN oder Daimler ermöglichen so die Mobilität türkischer Soldaten im Einsatzgebiet – und nicht wenige der Motoren stammen aus den Werken der MTU.
Lasst und deswegen alles tun – politisch und persönlich -, damit diese unsägliche Kooperation aufhört. Auch deutsche Panzerhaubitzen sorgen dafür, dass Menschen in Afrin und in vielen anderen Dörfern und Städten in den selbstverwalteten kurdischen Kantonen sterben.
Insgesamt besitzt die Türkei im Moment etwa 2.500 Panzer. Mehr als jeder vierte davon stammt aus deutscher Produktion. Die Vernichtungskraft der türkischen Armee wäre also deutlich geringer, wenn es die Rüstungskooperation mit Deutschland nicht geben würde. Wenn wir die türkische Armee – zurecht – dafür kritisieren, was sie im Norden Syriens tut, dann dürfen wir die Augen vor der deutschen Verantwortung nicht verschließen.
„Eine ganze Panzerfabrik soll in der Türkei gebaut werden“
Für die nächsten Jahre ist leider noch eine deutliche Ausweitung der Rüstungskooperation geplant. Momentan gibt es 350 Leopard2 Panzer die in der Türkei und im Norden Syriens unterwegs sind – mit MTU Motoren. Die Wartung und der Betrieb dieser Panzer wird kontinuierlich aus Deutschland sicher gestellt. Noch im letzten Jahr wurden Ersatzteile für diese Panzer geliefert und erst jüngst hat die Bundesregierung zustimmt, dass diese Panzer eine zusätzliche hochmoderne Schutzausrüstung bekommen.
Die Bundesregierung beruft sich auf den „defensiven“ Charakter dieser Lieferung. Doch der Schutz eines offensiven Mordinstrumentes macht wesentlich aggressivere Einsatzszenarien möglich. Die „Schutzausrüstung“ macht die Leopardpanzer noch gefährlicher für die Menschen in den Einsatzgebieten.
Deswegen: Nein zum Rüstungsexport! Nein zum Krieg!
In den nächsten Jahren sollen mit deutscher Unterstützung in einem türkisch-deutschen Joint Venture 1000 neue Panzer hergestellt werden. Eine ganze Panzerfabrik soll in der Türkei gebaut werden. Letztes Jahr wurde bereits der Prototyp des neuen Altay-Panzers vorgestellt. Es ist wenig überraschend, welche Motoren in diesen Panzern zukünftig eingebaut werden sollen – die (leider) bewährten Diesel-Motoren aus den MTU-Werken.
Diese Panzerfabrik darf nicht gebaut werden und die Motoren aus MTU-Produktion dürfen nicht geliefert (und auch nicht in Lizenz gebaut) werden.
Es ist für schwer fassbar, welchen Namen das türkische Militär seiner Operation im Norden Syriens gegeben hat: „Operation Olivenzweig.“ Für mich und wohl für viele aus der Friedensbewegung war ein Olivenzweig bisher Zeichen des Friedens und der Hoffnung.
„Was in Rojava passiert, ist eine Tragödie“
In geradezu Orwellscher Manier wird durch die türkische Militärführung unter dem „Olivenzweig“ ein demokratisches Projekt angegriffen, dass Zuflucht und Hoffnung für hunderttausende, vielleicht für Millionen von Menschen war und ist. Die selbstverwaltete Region Rojava ist eine der ganz wenigen positiven Entwicklungen für ein multiethnisches, demokratisches und respektvolles Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen. Dass dieses nun mit deutscher Hilfe so massiv durch den türkischen Staat bedroht wird, ist eine echte Tragödie.
Es ist deswegen eine zentrale politische Aufgabe, die wir hier in Deutschland haben, diesen Krieg und diese Eskalation nicht weiter zu befeuern. Die Menschen, die in Rüstungsunternehmen arbeiten, auch hier in der MTU, haben es politisch nicht in der Hand ,ob Rüstung exportiert wird, sie geben nicht die Genehmigungen oder Lizenzen. Aber sie können dennoch klar machen, dass sie diese Entscheidung von Politik und Unternehmensleitung nicht stützen.
Die Menschen in den Betrieben können ein Motor sein für Konversion zu ziviler Produktion, sie könne Betriebsgruppen bilden und gemeinsam erarbeiten, welche zivilen Produkte mit dem versammelten Knowhow entstehen können. Es liegt auch an den Menschen in den Betrieben, das Märchen von der angeblichen Notwendigkeit der Exporte „zum Erhalt von Arbeitsplätzen“ zu entkräften. Es gibt gute Beispiele von konstruktivem Protest in den Betrieben aus den 1980er Jahren. Es wäre ein starkes Zeichen, wenn auch heute Belegschaften sagen würden „wir sind nicht damit einverstanden, für den Tod zu produzieren.“
Diese Einladung meine ich sehr ernst. Wenn Ihr, Mitglieder der MTU Belegschaft, Fragen habt, dann wendet Euch ans uns, an die Friedensbewegung, und lasst uns gemeinsam zeigen, wie eine „Produktion für das Leben“ aussehen könnte.
Auf dem Weg zu dieser Kundgebung fiel mir ein Plakat der Handwerkskammer auf. Darauf stand „Und? Was hast du heute gemacht?“ Ich bin mir sicher, es ist schöner nach Hause zu kommen und seinen Kindern zu erzählen, „ich habe für die Umwelt gearbeitet“ oder „ich habe für die Gesundheit von Menschen gearbeitet“ als zu erzählen „ich habe Waffen produziert“.
Lasst uns gemeinsam dafür einstehen, dass zukünftig immer mehr Menschen sagen können: „Ich habe mich für den Frieden eingesetzt. Wir waren gegen den Krieg aktiv! Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht für eine gerechte und friedliche Welt. Hier und in Afrin.“
Claudia Haydt (Fotos: Doris Künzel/Die Linke)