Save me gegen Aussetzung der Flüchtlingsaufnahme
Auch Save me Konstanz schlägt jetzt Alarm wegen der elenden Situation tausender Geflüchteter, die an den EU-Außengrenzen ausharren müssen. Die Hilfsorganisation kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung, der Corona-Krise wegen die Aufnahme von Betroffenen zu stoppen. Sie fordert, die überfüllten Lager sofort zu evakuieren und Corona-Maßnahmen auch für Schutzsuchende umzusetzen. Nötig seien zudem EU-Hilfen für besonders betroffene Länder wie Griechenland. Die Mitteilung im Wortlaut.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Helferinnen und Helfer,
liebe Konstanzerinnen und Konstanzer,
wegen der anhaltenden Corona-Pandemie in Europa und weltweit hat die Bundesregierung zu unserem Bedauern entschieden, die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten bis auf Weiteres auszusetzen. Hierbei sei wegen Reise- und anderer Beschränkungen das deutsche Aufnahmeverfahren zum Erliegen gekommen, teilte der Sprecher des Bundesministeriums des Inneren mit. Dies betrifft insbesondere die Aufnahme von Schutzbedürftigen auf Basis des EU-Türkei-Abkommens sowie weitere Resettlement-Verfahren der Bundesrepublik (https://bit.ly/3a87gCS).
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Besonders tragisch ist die Entscheidung der Bundesregierung im Hinblick auf die humanitären Notlagen in der syrischen Region Idlib sowie an der griechisch-türkischen Grenze. In Syrien leben unzählige Syrerinnen und Syrer unter schwersten Bedingungen in einem von Krieg gebeutelten Land unter katastrophalen humanitären Umständen. Auch an den europäischen Außengrenzen müssen tausende Geflüchtete unter schlimmsten Lebensbedingungen ausharren. Sie leben dort auf engstem Raum unter freiem Himmel oder in Zelten. Es fehlt an Wasser, Nahrung und Hygieneartikeln. Es fehlt am Nötigsten, um das Überleben der eigenen Familie und Freunde zu gewährleisten. Diese Menschen haben absolut keine Möglichkeit nur die geringsten Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus durchzuführen. Somit wird die Corona-Pandemie Menschen in humanitären Notlagen am schlimmsten treffen Es sind die Menschen, die es ohnehin schon am schwersten haben und auf uneingeschränkte Solidarität von uns angewiesen sind!
Das Virus differenziert nicht nach Hautfarbe, Religion, Alter oder Geschlecht. Diese Situation betrifft uns alle! Wir müssen solidarisch zusammenstehen und niemanden zurücklassen! Nie war es wichtiger, Werte wie Anstand, Gemeinschaft und Zusammenhalt hochzuhalten und zu leben als Hier und Heute! Wir müssen dieser Herausforderung gemeinsam entgegentreten. Die europäische Gemeinschaft muss jetzt handeln, sonst machen wir uns für die bevorstehende Katastrophe mitschuldig, die den Menschen in Not unmittelbar droht.
Hierfür fordern wir, zusammen mit einer Reihe von Unterstützerinnen und Unterstützern, die überfüllten Flüchtlingslager möglichst rasch zu evakuieren. Dabei braucht das griechische Festland ebenso europäische Unterstützung wie die Menschen auf den griechischen Inseln. Kein Mensch darf im Stich gelassen werden! Soziale Distanzierung, Quarantäne und Händewasche sind immens wichtig, aber nicht möglich, wenn man in einem überfüllten Lager leben muss. Es droht eine rasante Ausbreitung des Virus ohne ausreichende humanitäre Versorgung und die europäische Gemeinschaft überlässt Menschen in Not ihrem Schicksal.
Deshalb fordern wir von der Bundesregierung, der Europäischen Kommission und den anderen EU-Regierungen:
- Sofortige Evakuierung der überfüllten Flüchtlingslager und Unterbringen der Menschen an Orten, an denen die Geflüchteten vor dem Virus geschützt sind. Es gibt genügend Platz in Europa für Menschen in Not und Menschlichkeit!
- Quarantäne- und Schutzmaßnahmen vor Corona müssen auch in Flüchtlingslagern umgesetzt werden, um eine exponentielle Ausbreitung zu verhindern.
- Eine unmittelbare europäische Initiative zur humanitären und finanziellen Unterstützung der besonders betroffenen Gebiete, insbesondere in Griechenland.
- Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Zugang zu Asylverfahren, insbesondere in Krisenzeiten.
Wir rufen daher auch die Kommune Konstanz und Oberbürgermeister Uli Burchardt eindringlich dazu auf, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, Einfluss auf die Durchsetzung dieser Forderungen zu nehmen und sich für die schnellstmögliche Aufnahme gefährdeter Geflüchteter einzusetzen!
Mehr noch möchten wir Sie alle zur Solidarität aufrufen und bitten, folgende Petition zu unterstützen (https://bit.ly/3a2UrJY)! #LeaveNoOneBehind
Gemeinsam können wir die Krise bewältigen und gehen gestärkt als Gemeinschaft daraus hervor, wenn wir Toleranz, Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft über alle Grenzen hinaus leben! Lassen wir niemanden zurück! Zusammen für mehr Menschlichkeit und Solidarität mit den Menschen in höchster Not!
Euer Save me Konstanz e.V.
MM/jüg
Das Foto wurde im Februar 2020 während einer Delegationsreise von AktivistInnen im Lager Moria auf Lesvos aufgenommen. (c) Jörn Neumann, via flickr (CC BY-ND 2.0)
Es gibt zahlreiche Personengruppen, die in diesen Tagen einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, auch wenn wir auf soziale Distanz angewiesen sind. Ob es nun Obdachlose sind, die momentan in vielen Unterkünften abgewiesen werden und aus Hygienemaßnahmen nicht einmal bei den Essensausgaben das tägliche Brot entgegennehmen können. Ob es Strafgefangene sind, die in unseren Justizvollzugsanstalten ohne jeden Kontakt zu Angehörigen dem permanenten „Lagerkoller“ ausgeliefert sind. Oder die Pflegebedürftigen, die in den Heimen eingesperrt und ohne Zugang zu frischer Luft ihr ohnehin oftmals träges Dasein in noch größerer Einsamkeit verrichten müssen. Oder aber die Flüchtlinge, die durch Klimakrise und Pandemie völlig aus dem Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit verschwunden zu sein scheinen.
Not und Elend kennen aber keine Grenzen durch „Corona“, deshalb ist es falsch, gerade in der jetzigen Zeit die Möglichkeit auf Asyl in den Ländern der Europäischen Union derart zu verkomplizieren, dass ein Durchkommen kaum mehr denkbar ist. Wenn die Regierung sich schon weigert, Menschen ins Land zu lassen, so besitzt sie dennoch die ethische und völkerrechtliche Verpflichtung, Geflüchteten dort beizustehen, wo sie momentan festsitzen. Dazu gehört auch, die Asylsuchenden, die oftmals auf engstem Raum gedrängt sind, medizinisch zu betreuen und ihnen bei Gewissheit über eine Infektion den nötigen Schutz gegenüber ihren Angehörigen und den restlichen Mitreisenden zu garantieren.
Der allseits beschworene Zusammenhalt unserer Bevölkerung darf nicht an den Außengrenzen enden, sondern muss uns jetzt, fünf Jahre nach der großen „Flüchtlingskrise“, zu besonderer Verantwortung für diejenigen drängen, die kaum Möglichkeiten haben, soziale Distanz zu praktizieren. Es wäre eine Katastrophe, wenn sich in den Lagern das „Corona“-Virus explosionsartig vermehren und außer Kontrolle geraten würde. Solidarität gilt nicht nur mit dem eigenen Nachbarn, der Familie und den Nächsten, sondern gerade mit jenen, die ob der Situation in einer doppelten Hilfsbedürftigkeit stecken. Wir brauchen deutliche Unterstützung, um die Ausbreitung des Virus in den Camps zu unterbinden. Es braucht Fachpersonal vor Ort, das testet und berät. Deutschland ist in finanzieller Verfassung, die entsprechenden Mittel aufzuwenden, um Nothilfe zu leisten. Spätestens nach Beendigung der hiesigen Quarantäne-Maßnahmen muss es die Bundesrepublik sein, die seine Grenzen umgehend für Neuankömmlinge öffnet. Unter dem Deckmantel von „Corona“ dürfen die Geflüchteten in der Türkei und Griechenland nicht leiden. Wenn 2015 galt, dass wir das schaffen, dann schaffen wir es heute allemal – im Blick auf das Virus, aber auch in Hinsicht auf den Flüchtlingsstrom, der uns zur Verantwortung zwingt.